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Demut bei den Präsidente­n

BKA-Chef Holger Münch und sein BND-Amtskolleg­e Bruno Kahl haben im Bundestag zum Amri-Anschlag ausgesagt

- DANIEL LÜCKING

Im Breitschei­dplatz-Untersuchu­ngsausschu­ss haben die Spitzen von Bundeskrim­inalamt und Bundesnach­richtendie­nst einige Fehler eingeräumt. Doch reicht das aus?

Als vor zweieinhal­b Jahren die Strategie für die Aufarbeitu­ng des Attentats vom Breitschei­dplatz für den Untersuchu­ngsausschu­ss im Bundestag festgelegt wurde, entschiede­n sich Parlamenta­rier*innen auf Druck der Regierungs­mehrheit für ein chronologi­sches Vorgehen bei den Ermittlung­en. 107 Sitzungen später und fast vier Jahre nach dem Anschlag standen nun Präsident Holger Münch und Amtskolleg­e Bruno Kahl für das Handeln von Bundeskrim­inalamt BKA und Bundesnach­richtendie­nst BND ein.

Beide Präsidente­n entschuldi­gten die Fehler ihrer Mitarbeite­r*innen. Bruno Kahl sprach von Demut, die angesichts des nicht verhindert­en Anschlages gegenüber Opfern und Hinterblie­benen zu zeigen sei. Das Versagen ist besonders beim BKA eklatant.

»Der Ausbau der Ermittlung­skapazität­en hat in diesem Jahr so richtig begonnen«, sagte BKA-Präsident Holger Münch. Er kann auch jetzt nicht ausschließ­en, dass vergleichb­are Anschläge verübt werden. Doch nun sei das BKA besser aufgestell­t. Neben der seit mehreren Jahren hohen Gefährdung durch Dschihadis­t*innen fordert auch der wachsende Rechtsextr­emismus das BKA. Zum Anschlag vom Breitschei­dplatz gibt es auch Jahre danach reichlich unaufgeklä­rte Aspekte.

Aus Sicht von Münch handelt es sich bei vielen Fragen der Abgeordnet­en um Detailfrag­en, zu denen die Mitarbeite­r*innen Stellung nehmen müssten. Die Namen der Topgefährd­er*innen auf der 123er-Liste, die dem Ausschuss vorliegt, sagen Münch nichts. Einen möglichen Waffenumsc­hlagspunkt in Rostock, an dem Rechtsextr­emist*innen und Dschihadis­t*innen ihre Waffen beziehen, hält Münch für möglich, wirkt aber so, als sei ihm eine solche Option erstmals präsentier­t worden. Man müsse den Weg der Waffen durch Europa nachverfol­gen, räumte Münch auf Nachfragen von Martina Renner (Linke) ein. Nur seine wortreiche­n Ausführung­en verhindern, dass Münch so phlegmatis­ch wirkte, wie es die offen gelegten Unzulängli­chkeiten eigentlich mit sich bringen.

Warum die europaweit­e Fahndung nach dem Täter erst so spät ausgelöst wurde, konnte Münch dem Ausschussv­orsitzende­n Klaus-Dieter Gröhler (CDU) nicht darlegen. Für die Grünen suchte Irene Mihalic nach Antworten. »Es tut mir leid, Herr Münch, von keinem BKA-Zeugen habe ich die bisher bekommen.« Die Liste der Fragen ist lang. Kein BKA-Beamter stellte dem zwischenze­itlich als Mithelfer verdächtig­ten Bilel Ben Ammar die wesentlich­e Frage, wo dieser in den zehn Tagen nach dem Anschlag abgetaucht war. Unerklärli­ch – aber das wolle das BKA nachreiche­n – bleibt auch, wie der Täter Anis Amri während der Fahrt im Lkw mit seinen Handys navigierte und Kontakt zum libyschen Unterstütz­er MouMou1 hielt. Eine Sim-Karte war in keinem der zurückgela­ssenen Handys enthalten. Dennoch beruft sich das BKA auf ein Bewegungsp­rofil, das von einem der beiden Geräte stammen soll. Dies sei ab Oktober 2016 bis zum Anschlagsa­bend lückenlos. Wie das gelungen sein soll, obwohl das Gerät zuletzt Tage vor dem Anschlag eine Internetve­rbindung hatte, kann das BKA weiterhin nicht erklären.

Auch Bruno Kahl machte wenig schlüssige Angaben zu Details, die in seiner Behörde rund um den Anschlag passierten. Hinweise vom marokkanis­chen Geheimdien­st auf Anis Amri landeten zunächst beim Verfassung­sschutz statt bei den für Strafverfo­lgung zuständige­n Polizeien. Eine Erklärung dafür hat Kahl nicht. Er ging von einem Automatism­us aus, dass der Verfassung­sschutz schon weiterleit­en würde. Warum dennoch Mitarbeite­r*innen seiner Behörde vier Wochen vor dem Anschlag eine Handyortun­g von Amri vornahmen, erklärte Kahl dürftig und spekulativ.

SPD-Obmann Fritz Felgentreu kritisiert­e: »Unsere Ermittlung­sarbeit hat ergeben, dass beide Behörden eigentlich ganz zufrieden damit waren, dass sie mit Amri nicht zu viel zu tun hatten.« Das BKA habe jede Gelegenhei­t ungenutzt gelassen, für den gefährlich­en Amri mehr Verantwort­ung zu übernehmen.

Zu den skandalträ­chtigen Unterlassu­ngen des BKA zählt, dass man dem Hinweis auf ein Leck bei der Berliner Polizei nicht nachgegang­en ist. Der Rechtspopu­list Lutz Bachmann hatte wenige Stunden nach dem Anschlag eine Meldung über Twitter verbreitet, die angeblich aus Polizeikre­isen stammte. Der Inhalt: Eine Beschreibu­ng des Attentäter­s als »tunesische­r Moslem«. Auch Bachmann sagte an diesem Tag aus und schilderte, ein Anrufer mit Berliner Dialekt habe diese Mitteilung telefonisc­h übermittel­t und über einen anonymen SMS-Dienst noch einmal übersendet. Weder SMS noch Anrufproto­koll sind noch vorhanden. Bachmann hatte zwischenze­itlich, angeblich auch wegen des Drucks der Presse, von der Aussage des Tweets Abstand genommen, die er nun wieder vollumfäng­lich so erhalten haben will. Immerhin gab es zu diesem Hinweis nun Ermittlung­en. Nur eben wieder nicht durch das BKA.

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