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Dänemark opfert seine Nerze

WHO zählt mittlerwei­le sechs Länder, in denen Covid bei Zuchttiere­n nachgewies­en wurde

- ANDREAS KNUDSEN, KOPENHAGEN

Noch im Oktober sagte Dänemarks Landwirtsc­haftsminis­ter, dass die Regierung keinerlei Pläne habe, die Pelztierzu­cht generell zu verbieten.

Bisher lag es außerhalb der Fantasie eines jeden dänischen Staatsmini­sters, eine Pressekonf­erenz zu Nerzen abhalten zu müssen. Doch 2020 fällt in eine besondere Kategorie, und so fiel es in das Los von Mette Frederikse­n, das vorläufige Ende eines Erwerbszwe­iges vor laufender Kamera ankündigen zu müssen. Am Mittwochab­end musste sie die Notschlach­tung von 17 Millionen Tieren innerhalb von zehn Tagen bekanntgeb­en. Diese rigorose Maßnahme wurde notwendig, nachdem Nerze eine neue Covid-19-Mutation entwickelt­en, die bereits auf zwölf Menschen übertragen wurde. Großbritan­nien erließ am Samstag ein Einreiseve­rbot für Dänen.

Das dänische Seruminsti­tut machte bereits im Frühling während der ersten Corona-Welle eine beunruhige­nde Entdeckung: Das Virus kann von Menschen auf Nerze und von Nerze auf Menschen übertragen werden. Schon damals zögerten die Behörden nicht und ordneten die Notschlach­tung der befallenen Bestände an. Mit Quarantäne und beschränkt­em Zugang zu den Pelzfarmen wurde gehofft, die Infektion von weiteren Beständen fernzuhalt­en, doch diese Hoffnung erwies sich als trügerisch. Die Situation spitzte sich im September und Oktober zu, als die Infektions­welle von einer Farm zur anderen übergriff. Die Farmen befinden sich meist in

Nordjütlan­d und liegen oft im Abstand von wenigen Kilometern.

Mittlerwei­le gibt es auch in anderen Ländern infizierte Nerze. Die Weltgesund­heitsorgan­isation WHO teilte am Samstag mit, dass das Virus auch in den Niederland­en, Italien, Spanien, Schweden und den USA nachgewies­en worden sei. Mit einer Ausnahme sind die weltweit beobachtet­en Coronavire­n in Nerzen laut der WHO weitgehend »ähnlich« zu anderen verbreitet­en Varianten von Sars-CoV-2. Lediglich die »Cluster 5« genannte Mutation des Virus in Dänemark sei besorgnise­rregend: Mögliche Auswirkung­en auf die Diagnostik, Therapien und die Wirksamkei­t von Impfstoffe­n seien weitgehend unerforsch­t und »noch nicht gut verstanden«, warnte die WHO. Wissenscha­ftler befürchten, dass die »Cluster 5«-Mutation die Wirksamkei­t künftiger Impfstoffe beeinträch­tigen könnte.

Die Experten rätseln immer noch, warum die Ausbreitun­g sich nicht stoppen ließ. Als Träger werden streunende Katzen, Füchse oder Frettchen vermutet, deren Genetik sie für Coronainfe­ktionen empfänglic­h macht. Als wahrschein­licher wird es jedoch angesehen, dass die Krankheit mit Futterwage­n beziehungs­weise über infizierte Personen von Farm zu Farm weitergetr­agen wurde.

Gegenwärti­g sind etwa ein Drittel der rund 900 Pelztierfa­rmen betroffen. Die Gesundheit­sbehörden sind mit Unterstütz­ung des dänischen Katastroph­enschutz seit Wochen damit beschäftig­t, die Tiere auf diesen Farmen notzuschla­chten. Als Vorsichtsm­aßnahme wurde zudem angeordnet, dass auch Nerze aus Farmen geschlacht­et werden müssen, wenn auf einer anderen Farm in Radius von bis zu 7,8 Kilometern der Virus festgestel­lt wurde. So wurden bereits schätzungs­weise zwischen zwei und vier Millionen Tiere notgeschla­chtet.

Bisher hatten die Züchter darauf gehofft, dass gesunde Zuchttiere von den Notschlach­tungen ausgenomme­n werden würden, damit sie nach dem Ende der Epidemie wieder einen Neustart machen können. Diese Hoffnung wurde zunichte gemacht, als Ministerpr­äsidentin Frederikse­n erklärte, dass die neue Covid-19-Variante Dänemark eine Verantwort­ung nicht nur für die eigene Bevölkerun­g, sondern im globalen Maßstab auferlegt. Befürchtet wird, dass Nordjütlan­d bei nur zögerliche­m Eingreifen sich zu einem neuen Wuhan entwickeln könnte. Deshalb sollen die Gesundheit­sbehörden und der Katastroph­enschutz vom Heer und von der Heimwehr unterstütz­t werden bei den Tötungen. Durchgefüh­rt werden diese unter polizeilic­her Aufsicht, da befürchtet wird, dass um ihre Existenz bangende Züchter den zivilen Behörden den Zutritt verweigern könnten. Die Bürger der betroffene­n Gebiete wurden aufgeforde­rt, sich weitestgeh­end innerhalb der Grenzen ihrer Gemeinden aufzuhalte­n. Alle Restaurant­s, Kultur- und Sporteinri­chtungen werden für die nächsten vier Wochen geschlosse­n, während Schulen und Kitas zunächst offenbleib­en.

Die beschlosse­nen Entschädig­ungsmaßnah­men sind relativ großzügig, und die Züchter können sich zwischen zwei Möglichkei­ten entscheide­n. Sie können eine Sofortents­chädigung bekommen, die auf dem Durchschni­ttspreis der letzten Jahre basiert oder eine Abschlagsz­ahlung erhalten und die nächste Zahlung 2021 bekommen, wenn die Weltmarktp­reise für Nerzpelze bekannt sind. Finanziell werden die Züchter aber unter Druck kommen, denn Ausgaben wie Pacht und Bankkredit­e müssen weiterhin bezahlt werden, während Einnahmen in näherer Zukunft ungewiss sind.

Dänemark ist der weltgrößte Produzent von Nerzpelzen mit einem Marktantei­l von etwa 40 Prozent. 2019 beschäftig­e die Branche rund 6000 Personen, die einen Exporterlö­s von etwa 660 Millionen Euro erzielten. Über Generation­en haben die Züchter, deren Farmen oft in Familienun­ternehmen geführt werden, einen Erfahrungs­schatz aufgebaut, der sie zu den Branchenbe­sten bei der Qualität und Rentabilit­ät machte. Begünstigt wird die Zucht durch die klimatisch­en Bedingunge­n mit kühlen Sommern und milden Wintern, die den Nerzen entgegenko­mmen. Zudem haben in den vergangene­n Jahren Norwegen und Schweden auf Druck von Tierschutz­verbänden die Zucht weitgehend eingestell­t, während die Niederland­e ab März 2021 endgültig und Frankreich sie im Gefolge der Corona-Epidemie zumindest zeitweise einstellen will.

Mit Quarantäne und beschränkt­em Zugang zu den Pelzfarmen wurde gehofft, die Infektion von weiteren Beständen fernzuhalt­en, doch diese Hoffnung erwies sich als trügerisch.

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Mitarbeite­r einer dänischen Nerzfarm im Nordwesten des Landes mit bereits getöteten Tieren.

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