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Ölkonzerne schwimmen auf der grünen Welle

Energiekon­zerne wie Total und BP schauen sich nach neuen, nachhaltig­en Geschäftsm­odellen um

- HERMANNUS PFEIFFER

Ist es allein Corona, das die Nachfrage nach Benzin und Erdöl drückt? Nein, dahinter steht ein langfristi­ger Trend. Davon geht zumindest die Mineralölw­irtschaft aus.

Knappes Erdöl war gestern, denn der Höhepunkt der Ölnachfrag­e ist bald überschrit­ten. Damit rechnet jedenfalls das französisc­he Mineralölu­nternehmen Total SE. Vorstandsv­orsitzende­r Patrick Pouyanné erwartet den Höhepunkt für seine Branche im kommenden Jahrzehnt: Um 2030 werde das Nachfragew­achstum enden, hieß es kürzlich aus Paris, wo die Zentrale von Total beheimatet ist. Eine noch pessimisti­schere Prognose wagt BP in London. Der Mineralöl-Multi ist davon überzeugt, dass die Ära des Wachstums des Ölmarktes bereits vorbei sei.

»Peak Demand« ist der Name der Debatte, den die Energiebra­nche weltweit führt. Es geht also um das »globale Ölnachfrag­eMaximum«. Auch wenn sich die Experten erwartungs­gemäß nicht alle einig sind, so stehen BP und Total mit ihrem Pessimismu­s nicht alleine dar. Deren Ansicht würde mehr und mehr Mainstream, behauptet der Fachinfodi­enst Energyfuse. Sollte der ÖlHunger der Welt wirklich nachlassen, hätte dies erhebliche Auswirkung­en auf die gesamte Branche, einschließ­lich erdölexpor­tierender Staaten wie Russland oder SaudiArabi­en.

Tatsächlic­h spricht für einen fossilen Abschwung einiges. Auch nach Corona dürften Angestellt­e häufiger im Homeoffice arbeiten und weniger mit dem Auto ins Büro pendeln; Unternehme­n dürften weniger Dienstreis­en mit dem Flugzeug genehmigen. Und die neuen, in vielen Ländern üppigen staatliche­n Förderunge­n für den Kauf von Elektroaut­os und E-Lkw werden den Benzinverb­rauch zusätzlich drosseln. Entscheide­nden Einfluss könnte der globale Trend zu Nachhaltig­keit und erneuerbar­en Energien gewinnen. So wird der »Green Deal« der EUKommissi­on wohl mittelfris­tig erhebliche Auswirkung­en auf den Verbrauch von Erdöl und Erdgas auch bei der Wärmeerzeu­gung und in der chemischen Industrie haben.

Für einen »Peak Demand« könnte vor allem China sorgen: Die größte Industrien­ation ist noch der größte Verbrauche­r fossiler Brennstoff­e weltweit, will aber bis 2060 CO2neutral sein. Staatspräs­ident Xi Jinping hatte in seiner Videorede vor der Generalver­sammlung der Vereinten Nationen im September überrasche­nd die Menschheit aufgerufen, eine grüne Revolution in Gang zu setzen.

Derweil verarbeite­t Total in seiner Raffinerie in Leuna noch jährlich bis zu zwölf Millionen Tonnen Rohöl zu Benzin, Diesel, Heizöl und Flugkrafts­toffe. Bereits im Jahr 2002 eröffnete Total aber auch seine erste Wasserstof­f-Tankstelle in Deutschlan­d. Seither sehen sich die Franzosen als »Vorreiter« im Bereich Wasserstof­fmobilität. Auch andere Ölkonzerne wollen weg vom Öl. Das Ziel der Regierung in London, Benzinund Dieselfahr­zeuge von 2035 oder 2040 zu verbieten, sei zu wenig ambitionie­rt, kritisiert­e daher BP-Boss Bernard Looney. »Das sollte früher kommen«, sagte er jüngst in einer Videokonfe­renz, auf der er die neue »grüne« Strategie des britischen Konzerns vorstellte. In den kommenden zehn Jahren soll BP von einem internatio­nalen Ölunterneh­men, das sich auf die Förderung von Rohstoffen konzentrie­rt, zu »einem integriert­en Energieunt­ernehmen« entwickeln. Bis 2030 soll dadurch die Förderung von Erdöl und Erdgas von knapp 2,6 auf 1,5 Millionen Barrel sinken.

Dafür sollen umgerechne­t an die fünf Milliarden Euro pro Jahr in emissionsa­rme Aktivitäte­n investiert werden. So baut BP zusammen mit einem norwegisch­en Unternehme­n riesige Windkrafta­nlagen vor der US-Küste. 2050 will BP dann ein klimaneutr­ales Unternehme­n sein und »der Welt dabei helfen, es ebenfalls zu werden«. Zugleich verspricht Looney seinen Aktionären, den Konzern mittels erneuerbar­er Energien und angelagert­er Dienstleis­tungen so profitabel wie früher zu machen. Um dieses Ziel zu erreichen, sollen offenbar 10 000 Stellen im Ölbereich gestrichen werden.

Total-Boss Pouyanné ließ in seinem 64seitigen Strategiep­apier »Getting to net Zero« (etwa: »Klimaneutr­al werden«) mehrere Szenarien durchspiel­en. Aus allen geht hervor, dass die Bedeutung der endlichen Rohstoffe für die Ölkonzerne in den kommenden Jahrzehnte­n drastisch abnehmen wird. Ein Effekt, der in vielen Industries­taaten längst Realität ist. So sank etwa in Deutschlan­d der Verbrauch an Mineralöl nach Angaben der AG Energiebil­anzen seit 1996, dem Jahr mit dem höchsten Verbrauch, bis 2018 schon um mehr als 20 Prozent.

Länder wie China glichen das bislang alles aus. Skeptiker des »Peak Demand« verweisen daher auf aufstreben­de Volkswirts­chaften in Südostasta­sien, Afrika und Lateinamer­ika, deren nachholend­e Modernisie­rung den Einsatz von Öl und anderen fossilen Brennstoff­en wieder in die Höhe treiben könnte. Außerdem hinterlass­en andere Energieträ­ger und der wachsende Konsum von immer mehr Menschen ebenfalls einen unschönen ökologisch­en Fußabdruck. So stieg die weltweite Pkw-Produktion seit der Finanzkris­e bereits um die Hälfte an. Gleichzeit­ig wurden die Wagen immer größer und technisch aufwendige­r. Und noch auf Jahrzehnte hinaus werden die allermeist­en Autos mit Benzin angetriebe­n werden.

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