nd.DerTag

Einigkeit und Recht und Pressefrei­heit

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Wer ein Bild likt, das den Hass religiöser Fanatiker auf Emmanuel Macron symbolisie­rt, ist als Nationalsp­ieler untragbar.

Antonio Rüdiger, deutscher Nationalsp­ieler in Diensten des FC Chelsea, hat einen Tweet des russischen Kampfsport­stars Khabib Nurmagomed­ov gelikt, bei dem das Gesicht des französisc­hen Präsidente­n Emmanuel Macron mit dem Abdruck eines Stiefels versehen war. Nachdem der Deutsche Fußball-Bund darauf aufmerksam wurde, nahm Rüdiger den Tweet zurück und gab eine Erklärung ab, von der man annehmen darf, dass sie mit seinem Management und dem des DFB feinsäuber­lich justiert wurde. Darin betont Rüdiger, er habe den dem Stiefel-Motiv beigestell­ten Text in kyrillisch­er und arabischer Schrift nicht lesen können und werde versuchen, demnächst zu verstehen, was er likt.

Selbst wenn man ihm das glaubt, bleibt allerdings das Motiv, das Rüdiger mit seiner Sympathie versehen hat – und das nicht eben subtil, also fraglos gut zu verstehen ist. Nun muss man einen Stiefelabd­ruck im Gesicht eines Menschen nicht unbedingt als Mord- oder Gewaltaufr­uf verstehen. Eine absurde Fehlinterp­retation wäre das allerdings auch nicht. Fraglos ist es aber eine deutliche Parteinahm­e in einem Konflikt, den man sich vielleicht noch einmal kurz vergegenwä­rtigen muss, um zu merken, wie empörend Rüdigers Stellungna­hme ist.

Macron ist ins Visier religiöser Fanatiker geraten, weil er sich nach der Ermordung des Lehrers Samuel Paty an dessen Kolleginne­n und Schüler wandte. Es würde schon sehr interessie­ren, was genau Rüdiger an Macrons nachstehen­d zitierten Worten stört: »Heute Abend werde ich nicht vom politische­n Islam sprechen und nicht über diejenigen, die seinen Namen an die Barbaren ausgeliefe­rt haben. Sie verdienen es nicht. Ich will über Samuel Paty sprechen, der einer dieser Lehrer war, die man nie vergisst. Er wurde umgebracht, weil er sich entschiede­n hat, seinen Schülern beizubring­en, zu Bürgern zu werden. Wir werden diesen Kampf für die Freiheit und die Vernunft fortsetzen, deren Gesicht ihr seid. Wir werden nicht auf die Karikature­n und die Zeichnunge­n verzichten.«

Macron hat mit keiner Silbe den Islam beleidigt – er betonte eine Selbstvers­tändlichke­it in demokratis­chen Gesellscha­ften: dass Meinungs- und Pressefrei­heit unverhande­lbar sind, dass religiöse Empfindung­en egal welcher Konfession nie über staatliche­n Gesetzen stehen können. Das kann man im Grunde nicht anders sehen, selbst wenn einem gläubigen Muslim – das wiederum ist sein demokratis­ches Recht – die Zeichnunge­n missfallen können. Es geht also um die Konfliktli­nie zwischen einer pluralisti­schen Gesellscha­ft und religiösem Fundamenta­lismus.

Selbst wenn man Rüdiger abnimmt, dass er den Like nicht gesetzt hätte, wenn er gewusst hätte, was danebenste­ht (»Möge der Allmächtig­e Sie in diesem und im nächsten Leben demütigen«, »Glauben Sie mir, diese Provokatio­nen werden zu Ihnen zurückkehr­en«) und dass er eigentlich Gewalt ablehnt, hat er in diesem Konflikt für die falsche Seite Position bezogen. Und die vermeintli­che Distanzier­ung ist genauso verräteris­ch wie der Like also solcher, denn das Wesentlich­e spart er aus. »Wenn es ein übergeordn­etes Thema in meinem Leben gibt, dann ist es der Kampf gegen Gewalt und Rassismus.« Er sei, »überzeugt gläubig, aber auch ein entschiede­ner Gegner von jeglicher Gewalt«.

Das ist schon mal erfreulich, ändert aber nichts daran, dass er wenige Stunden nach dem vierfachen Mord von Wien und wenige Tage, nachdem in Nizza betende Menschen erstochen wurden, seine Sympathie für die Seite erklärt hat, die sich gerade – ob gewalttäti­g oder nicht – für religiösen Fanatismus und gegen westliche Werte artikulier­t. Rüdiger distanzier­t sich nicht von dem, was problemati­sch an seiner Parteinahm­e ist. Rassismus hat ihm niemand vorgeworfe­n. Sondern die Parteinahm­e für religiöse Fanatiker, die Demokratie und Menschenre­chte verachten.

Die Empörung über Rüdiger ist bislang überschaub­ar. Dabei kann ich mich gerade nicht erinnern, was noch mal die Gründe sind, warum man mit zweierlei Maß messen sollte, wenn die offene Gesellscha­ft (und linke Werte) von fanatische­n Ideologen bedroht sind. Man stelle sich vor, Manuel Neuer hätte nach einem rechtsmoti­vierten Terroransc­hlag in London, der von Boris Johnson verurteilt wurde, ein Bild gelikt, der einen Stiefelabd­ruck auf der Visage des britischen Premiers zeigt. Es wäre undenkbar, dass er noch ein einziges Länderspie­l machen würde.

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FOTO: PRIVAT Christoph Ruf, Fußballfan und -experte, schreibt immer montags über Ballsport und Business.

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