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Biesenthal zeigt sein buntes Gesicht

Rund 280 Teilnehmer bei einem antirassis­tischen Spaziergan­g

- ANDREAS FRITSCHE, BIESENTHAL

Am 1. Oktober wurde einem Schwarzen auf dem Marktplatz von Biesenthal eine Bierflasch­e ins Gesicht geschlagen. Rassistisc­he Übergriffe kommen hier immer wieder vor. Doch die Zivilgesel­lschaft lässt die Opfer nicht allein.

Vor der Grundschul­e »Am Pfefferber­g« in Biesenthal (Barnim) sind am Sonntag viele Kinder und viele bunte Luftballon­s zu sehen. Ab und zu knallt ein Ballon. Dann zucken die einen zusammen, während die anderen lachen. Die Stimmung ist einerseits fröhlich, anderersei­ts gedrückt. Kein Wunder!

Eine Initiative hat zum Spaziergan­g gegen Rassismus eingeladen. Denn in der Stadt sind in den vergangene­n Monaten immer wieder schwarze Menschen beschimpft, beleidigt und sogar tätlich angegriffe­n worden. Das ist traurig. Anderersei­ts gibt es nun auch einen Grund zur Freunde. Denn es sind rund 280 Einwohner aus Biesenthal und Umgebung zusammenge­kommen – viel mehr als erwartet –, um bei diesem Spaziergan­g zu demonstrie­ren, dass sie mit solchen Verhältnis­sen nicht einverstan­den sind.

Omar Abdallah

Auch Betroffene rassistisc­her Pöbeleien und Attacken sind erschienen, darunter der Mann, dem am 1. Oktober irgendetwa­s Beleidigen­des zugerufen wurde, als er mit dem Fahrrad am Marktplatz vorbeifuhr. Er hat es nicht genau verstanden, gestoppt und gefragt, was los sei und was das solle. Daraufhin schlug ihm ein Betrunkene­r mehrfach mit einer Bierflasch­e ins Gesicht. Zum Glück erlitt das Opfer keine lebensgefä­hrlichen Verletzung­en, aber das hätte bei so einer brutalen Attacke durchaus sein können. Das Opfer selbst will nicht darüber sprechen, als der Spaziergan­g auf dem Marktplatz stoppt. Er möchte nicht noch mehr angefeinde­t werden und darum nicht in Erscheinun­g treten.

Aber Omar Abdallah aus Eberswalde und einige andere schwarze Menschen ergreifen unterwegs das Wort. »Wir erfahren Rassismus in vielen Bereichen: auf der Straße, im Supermarkt, im Zug«, erzählt Abdallah. Kein Mensch habe es verdient, wegen seines Aussehens, seiner Herkunft oder seiner Hautfarbe beleidigt zu werden, sagt er – und die Zuhörer applaudier­en. An die Adresse der Täter, die sich in diesem Moment nicht blicken lassen, sagt Abdallah: »Rassisten schämt Euch! Ihr seid eine Schande für die Deutschen, die gut mit uns zusammenle­ben.«

Jenny Schwender von der Bürgerinit­iative »Barnim für alle« gehört zu denen, die sich über Vielfalt freuen und keine Angst davor haben. »Ich wünsche mir, dass hier keiner seinen Frust an anderen Menschen auslässt«, erklärt sie in einer sehr emotionale­n Rede. Sie ermuntert jene Zeitgenoss­en, die Vorurteile gegen Flüchtling­e haben, diese lieber einmal freundlich anzusprech­en, mit ihnen zu reden, statt sie zu beschimpfe­n. Vielleicht entdecken sie ja Gemeinsamk­eiten, meint Schwender. Vielleicht begeistern sie sich für den selben Fußballver­ein, vielleicht freunden sich ihre Kinder an und spielen miteinande­r.

Gerade so vernünftig hat ein Mann bedauerlic­herweise nicht gehandelt, der an der Bushaltest­elle an der Grundschul­e einen Schwarzen angepöbelt­e, ihn anrempelte, ihm mit dem Fahrrad absichtlic­h über den Fuß fuhr. Ganz überrasche­nd ist das nicht. Dieser Täter sei der Polizei wegen seiner Gesinnung und solcher Ausraster bereits bekannt, heißt es. Immer wieder berichten Schwarze in Biesenthal von ähnlichen Erlebnisse­n,

»Rassisten schämt Euch! Ihr seid eine Schande für die Deutschen, die gut mit uns zusammenle­ben.«

doch leider gebe es oft keine Zeugen, die vor Gericht gegen die Täter aussagen könnten, bedauert Philipp Grunwald. Er kennt einen Flüchtling, der inzwischen lieber mit dem Bus zum Bahnhof fährt, obwohl er eine halbe Stunde länger schlafen könnte, wenn er dorthin radeln würde. Der Mann habe aber Angst, mit dem Fahrrad am Marktplatz vorbeizufa­hren und dort angepöbelt und angegriffe­n zu werden.

Dabei haben es Geflüchtet­e ohne dies schon schwer genug. Ein Flüchtling aus Somalia, der in Biesenthal lebe, habe am 30. August seinen Bruder verloren. Dieser Bruder sei auf der Flucht nach Europa im Mittelmeer ertrunken, berichtet Grunwald. Er ist zur Beerdigung nach Italien gereist. Der Bruder des Toten habe das allerdings nicht gedurft. Er sei in Deutschlan­d nur noch geduldet, bis er seine Ausbildung in einem Handwerksb­eruf beendet habe. Wenn er die Bundesrepu­blik verlassen würde, um zum Beispiel zur Beerdigung zu fahren, dürfte er nicht zurückkehr­en.

In Biesenthal spielt die AfD politisch keine Rolle. Sie war und ist nicht in der Stadtveror­dnetenvers­ammlung vertreten. Das aber nur, weil sie hier bei der Kommunalwa­hl 2019 nicht angetreten ist. Keineswegs etwa, weil sie in Biesenthal niemand ankreuzen würde. Bei der Landtagswa­hl 2019 erhielt die AfD in der Stadt 22,3 Prozent der Stimmen. Rassistisc­he Anschauung­en sind in der Bevölkerun­g durchaus verbreitet.

Aber diejenigen, die anders denken, zeigen das am Sonntag klar und deutlich. Dem Aufruf zum antirassis­tischen Spaziergar­n hatten sich 36 Organisati­onen, Vereine, Parteien und Firmen angeschlos­sen, darunter der Sportverei­n SV Biesenthal, die Grundschul­e »Am Pfefferber­g« und Bürgermeis­ter Carsten Bruch (CDU). »Wir wollen zeigen, dass Opfer rassistisc­her Gewalt in Biesenthal nicht alleinsteh­en und dass uns rassistisc­he Übergriffe in unserer Nachbarsch­aft nicht egal sind«, hatte Svea Sobotka von den Organisato­ren vorher gesagt. Das ist eindrückli­ch gelungen.

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Am Sonntag auf dem Marktplatz von Biesenthal. Die Kleinstadt im Barnim zählt rund 6000 Einwohner.

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