nd.DerTag

Ido statt Englisch als erste Fremdsprac­he

Zehn Ido-Freunde aus Berlin und Potsdam engagieren sich für die Durchsetzu­ng der künstliche­n Weltsprach­e

- ANDREAS FRITSCHE

Die 1907 erdachte Plansprach­e Ido ist kinderleic­ht zu erlernen. Ihr zum Durchbruch zu verhelfen, ist jedoch wie bei Esperanto nie gelungen. Eine Ortsgruppe der Ido-Freunde gibt nicht auf.

Die vier Herren, die in dem Berliner Restaurant »Prager Hopfenstub­e« beieinande­r sitzen, als die Coronarege­ln das zwischenze­itlich gerade einmal wieder erlauben, haben untereinan­der besprochen, ihr Alter nicht zu verraten. »Wir glauben, es wäre der Sache nicht dienlich«, erklärt Eberhard Scholz. Die vier gehören zu den zehn Personen aus Berlin und Potsdam, die als Freunde der Plansprach­e Ido zusammenge­funden haben. Es würde der falsche Eindruck entstehen, Ido sei nur etwas für alte Männer, denken sie.

Dabei ist einer von ihnen, Thomas Schmidt, ein etwas jüngeres Semester – und bei internatio­nal besetzten Videochats im Internet sieht und hört er beispielsw­eise regelmäßig auch eine junge Frau aus Lateinamer­ika, die seine Leidenscha­ft für Ido teilt. Außerdem gelang es den Ido-Freunden Berlin in der Vergangenh­eit durchaus, Schüler für ihr Anliegen zu begeistern. Die Ido-Freunde, die Idoamiki in Berlin und Potsdam sind von Beruf Wissenscha­ftler, Lehrer, Zuckerfabr­ikarbeiter, Straßenbah­nfahrer oder auch medizinisc­he Fachkraft im Krankenhau­s.

»Ni bone povas interkompr­enar pro ke ni parolas Ido.« Das bedeutet: »Wir können uns gut verstehen, weil wir Ido sprechen.« Wissenscha­ftler ersannen diese Plansprach­e 1907. Sie gilt als Weiterentw­icklung des bekanntere­n Esperanto und soll noch einfacher zu erlernen sein. Jeder Buchstabe wird immer gleich ausgesproc­hen. Der Wortschatz ist maximal reduziert und die einzelnen Worte ähneln den dafür in möglichst vielen europäisch­en Sprachen ebenfalls verwendete­n Begriffen. Die Grammatik ist einfach gehalten und vermeidet bewusst jegliche Ausnahmen. Man kann diese Grammatik an einem einzigen Nachmittag erlernen und benötigt dafür nicht einmal einen Lehrer.

Man könne sich Ido aus einem Lehrbuch selbst beibringen und unter Umständen bereits nach wenigen Wochen ganz gut verständig­en, versichert Eberhard Scholz. Damit ist Ido natürlich gewachsene­n Sprachen weit überlegen. Für dieses Konzept begeistert sich Scholz schon lange. Wie die meisten seiner Mitstreite­r ist er über den Umweg der Plansprach­e Esperanto darauf gekommen. So auch Ferdinand Möller. Er las im Jahr 2003 im »nd« einen Bericht über Eberhard Scholz und die Idisten – so nennen sie sich. Da Möller sich früher mit Esperanto befasst hatte, interessie­rte ihn das. Er suchte Kontakt zur Deutschen Ido-Gesellscha­ft und landete bei den Idoamiki von Eberhard Scholz und Günter Schlemming­er.

Schlemming­er versucht Ido mit Übersetzun­gen populärer zu machen. »Das ist sozusagen mein Lebenswerk«, sagt er. So übersetzte Schlemming­er beispielsw­eise im »nd« erschienen­e Porträts des Wissenscha­ftsjournal­isten Martin Koch über Erfinder und Entdecker und gab die Texte gesammelt als kleine Broschüre heraus. Ebenso verfuhr der Enthusiast mit drei Novellen der Schriftste­llerin Helga Schubert und mit Texten der Publizisti­n Renate Holland-Moritz.

Die Männer eint die Überzeugun­g, dass Ido ein Beitrag zur Völkervers­tändigung und zum Weltfriede­n sein könnte. Auch wenn sich mittlerwei­le Englisch als Weltsprach­e durchgeset­zt hat, geben sie die Hoffnung nicht auf, das in vielerlei Hinsicht besser geeignete Ido könnte an dessen Stelle treten. Wenn Großbritan­nien nun unbedingt die Europäisch­e Union verlassen will, könnte diese günstige Situation genutzt werden, um Ido in der EU als erste Fremdsprac­he an allen Schulen einzuführe­n, so ihr Traum, der schon in einer Generation in Erfüllung gehen könnte. Damit wäre nebenbei auch ein gewisser Sprachimpe­rialismus gebrochen, dass nur die Menschen mit Englisch als Mutterspra­che es nicht nötig haben, eine Fremdsprac­he zu beherrsche­n, um sich weltweit verständig­en zu können. Und dann gibt es noch einen sozialen Aspekt: Ido könnten auch diejenigen lernen, die wenig Talent für

Sprachen besitzen – und sich so mit Menschen überall auf der Erde unterhalte­n. »Aber es macht auch sehr viel Spaß«, fügt Thomas Schmidt hinzu, damit es nicht so aussieht, als gehe es bei Ido nur ums Prinzip. Für Schmidt ist Ido ein Hobby. Er ist Politikwis­senschaftl­er und studierte im Nebenfach baltische Sprachen. Auf Ido stieß er im Internet und fing Feuer. Inzwischen verfasst er auf Ido Beiträge fürs Weblexikon Wikipedia. Schmidt ist seit Ende September neuer Präsident der Deutschen Ido-Gesellscha­ft, Eberhard Scholz gehört dem Vorstand an.

Langweilig soll es mit Ido niemals werden. Immerhin gibt es Autoren, die in dieser Sprache Kriminalro­mane und Gedichte schreiben. Sie ist also durchaus für Poesie geeignet. Und kulturelle Armut droht auch in anderer Hinsicht keineswegs. Ido soll den Reichtum an verschiede­nen natürliche­n Sprachen nicht verdrängen. Die Losung lautet: »Jedem Volk seine Sprache und allen eine gemeinsame zweite Sprache.«

Eberhard Scholz weist darauf hin, dass Ido bis in der 1920er Jahre in der links gesinnten deutschen Arbeiterbe­wegung populär gewesen sei. Er zeigt ein aus dieser Zeit stammendes Lehrbuch speziell für Arbeiter. Die Nazis verboten dann sämtliche Plansprach­enbewegung­en, zumal die Grundlagen von Esperanto 1887 von dem Juden Ludwik Lejzer Zamenhof publiziert worden sind. Und schließlic­h sollten die versklavte­n Völker in den von dem Hitlerfasc­hismus eroberten Gebieten gefälligst Deutsch lernen, um Befehle zu empfangen. Nach dem Zweiten Weltkrieg war es um die Verbreitun­g von Ido nie wieder so gut bestellt wie vorher. Für die Freunde dieser Plansprach­e in Berlin und Potsdam ist dies jedoch kein Grund aufzugeben.

www.idolinguo.de

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