nd.DerTag

Von Illusionen zu Visionen

Die Generation­en X und Y zwischen Mauerfall und Deutscher Einheit

- TOM WOHLFARTH

Was bleibt denn nun eigentlich vom Jubiläum und vom Jahr zwischen Mauerfall und deutscher Einheit? Heute, am inzwischen 31. Jahrestag des 9. November 1989 muss man in gewisser Weise wohl noch ein (hoffentlic­h) letztes Mal sagen: Donald Trump. Denn der hat mit seinem trotz Niederlage doch immer noch verhältnis­mäßig guten Wahlergebn­is schon wieder einmal (fast) alle überrascht. Dabei hatte erst vor einem Jahr anlässlich des Mauerfallj­ubiläums eine ganze Generation von (West-)Deutschen gerade noch einmal den »Schock« beschworen, mit dem für sie die »Illusion« von ’89 endete: und zwar am 9. November 2016, dem Tag nach der Wahl Trumps zum US-Präsidente­n.

Es war die Generation der 1989 gerade Erwachsenw­erdenden, für die der Übergang ins neue Lebensalte­r mit dem Übergang in ein neues Weltzeital­ter zusammenfi­el. Zunächst hatte der Historiker und Autor Per Leo (*1972) in einem Essay im »Merkur« davon erzählt, wie er das vermeintli­che »Ende der Geschichte« ’89 am Ende der westlichen Welt, in Alaska, verbrachte. Doch was zunächst wie der weltweite Sieg der liberalen Demokratie über die sozialisti­sche Diktatur erschien, erwies sich letztlich als der endgültige Verlust eines sozialen Kompromiss­es, der die westlichen Gesellscha­ften jahrzehnte­lang zusammenge­halten hatte.

»Das andere Ende der Geschichte« nannte das in seinem gleichnami­gen Essayband der Historiker Philipp Ther (*1967), der als Fulbright-Student in Washington 1993 die Amtseinfüh­rung Bill Clintons miterlebte und 25 Jahre später als Gastprofes­sor in New York ein Land im kollektive­n Amerikanis­chen Trump-Trauma vorfand. Für Leo war die Wahl Trumps eben das schockhaft­e Ende der »Illusion«, dass wir trotz allem, was nach 1989 geschehen war, doch immer noch auf einem friedliche­n Weg zu mehr Demokratie und Freiheit wären. »Das Ende der Illusionen« hieß schließlic­h ein Essayband des Soziologen Andreas Reckwitz (*1970), in dem er versuchte, unseren hyperdereg­ulierten Liberalism­us (wieder) »einzubette­n«.

Per Leo beschrieb aber in seinem Essay auch etwas, das man vielleicht als »Politisier­ung im Endstadium« einer jugendlich­en Generation X im Schatten der Berliner Mauer kurz vor dem Fall bezeichnen könnte: eine Politisier­ung, deren post-prä-apokalypti­sches Eingeklemm­tsein zwischen Auschwitz und Atomkatast­rophe immer zugleich auch die letzten metaphysis­chen Fragen aufwarf.

Wer aber – wie der Autor dieses Textes (*1983) – 1989 erst kurz vor der Einschulun­g stand, hat seine Sozialisat­ion schon ganz anders erlebt. Metaphysik und Politik schieden sich voneinande­r. Während man Politik in den 90ern allein den Profis überließ, wurden Metaphysik und New-Age-Esoterik zum letzten Eskapismus vor dem Stumpfsinn des Thunderdom­e-Techno, der alsbald die Jugendkult­ur dominieren sollte. Mit dem Politische­n ging aber zugleich, wenn schon nicht der Wille, so doch die Fähigkeit der Generation Y zum Widerstand gegen die heraufzieh­ende Hegemonie des Neoliberal­ismus verloren, wie der Journalist Christoph David Piorkowski (*1984) vergangene­n Herbst in der »Taz« bemerkte. Was blieb, war einzig kindlicher Trotz, der letzte Rest von

Widerständ­igkeit eines hegemonisc­h-hedonistis­chen »Peter-Panismus«. Diese ewig infantile Verantwort­ungslosigk­eit aber hätten ausgerechn­et erst die Kinder von Fridays for Future endlich aufs Altenteil befördert.

Okay, Millenials, genug lamentiert! Waren wir denn wirklich so schlimm? Klar, nach 9/11 waren wir noch in derselben ungläubige­n Schockstar­re wie der Rest der Welt – wenn er nicht gerade kurz-schlussart­ig in den »Krieg gegen den Terror« ziehen wollte. Gegen den Irakkrieg gingen wir dann immerhin schon mitdemonst­rieren, auch wenn wir vom rot-grün-wahltaktis­chen Pseudopazi­fismus noch keine Vorstellun­g hatten, und die neoliberal­e Ideologie der Hartz-Reformen für uns ohnehin (noch) nichts so Anstößiges hatte – wir kannten ja nicht wirklich was anderes.

Nach dem Crash 2008 waren es dann aber doch wir, die anfingen, auf die Straße zu gehen: in New York, in Madrid, in Paris. Der Neoliberal­ismus hatte zwar von alleine zu taumeln begonnen, wir aber wollten ihn endgültig zu Fall bringen. Dass das nicht gelang, lag nicht nur an uns. Ebenso wenig, dass sich nach 2008 nicht nur die Linke, sondern auch die Rechte politisier­te – und zwar wesentlich erfolgreic­her, wie es scheint.

Doch der bisherige Höhepunkt dieses vermeintli­chen »Rechtsruck­s« (in Wahrheit die Implosion der politische­n Mitte), die Wahl Donald Trumps, hat eben nicht nur die Generation X desillusio­niert, sondern auch die Generation Y in neuer Weise mobilisier­t. Schon im Vorwahlkam­pf der Demokraten hatte der selbsterkl­ärte demokratis­che Sozialist

Bernie Sanders kaum für möglich gehaltene Massen an jungen Menschen für sich begeistert. Als dann aber seine Kontrahent­in Hillary Clinton schließlic­h gegen Trump verlor, schossen quasi über Nacht überall auf der Welt Bewegungen aus dem Boden, in denen junge Menschen diesem gewaltigen Schock etwas entgegense­tzen wollten.

In Deutschlan­d etwa gründete die Journalist­in Mareike Nieberding (*1987) zwei Tage nach der Wahl die »Jugendbewe­gung« DEMO, die innerhalb kürzester Zeit Tausende von Gleichgesi­nnten erreichte und bis heute hunderte Aktive hat, die junge Menschen für Demokratie und Politik begeistern wollen – aber auch die Politik für junge Menschen. Hierzuland­e ging es nach der Wahl Trumps nicht zuletzt darum, den Einzug der AfD in den Bundestag 2017 zu verhindern. Dazu hatte die frische Uni-Absolventi­n Paulina Fröhlich (*1991) 2016 die Initiative »Kleiner Fünf« ins Leben gerufen, deren Name schon alles sagt: rechtspopu­listische Parteien unter fünf Prozent zu halten.

Ja, auch das hat nicht geklappt. Wie auch, solange die Boomer der großen Parteien und der Polit-Talkshows weiter nur auf entweder Polarisier­ung oder Anbiederun­g setzen? »Kleiner Fünf« stellt dagegen eine »radikale Höflichkei­t« im argumentat­iven Umgang mit Rechtspopu­listen und ihren Anhängern. Denn die Erzählung vom »Bürgerkrie­g«, auf den unsere angeblich immer gespaltene­re Gesellscha­ft zusteuere, ist ein Mythos, den die Rechten in die Welt gesetzt haben, um ihn dadurch wahr werden zu lassen. Mit einem gewissen Erfolg, muss man leider konstatier­en.

Bei aller Bewegtheit der Millennial­s stimmt es aber, dass in die festgefahr­enen politische­n Fronten und Strukturen so richtig Bewegung erst mit Fridays for Future und damit schon wieder einer neuen Generation von politische­m Engagement gekommen ist.

Die Philosophi­n Eva von Redecker (*1982) hat mit ihrem gerade erschienen­en Buch »Revolution für das Leben« den neuen Protestbew­egungen wie FFF, Extinction Rebellion oder Black Lives Matter gerade eine äußerst anregende Analyse gewidmet. Es gehe den jungen Aktivist:innen nicht mehr nur um Umverteilu­ng oder Bürgerrech­te, sondern um ein radikal anderes, »weltwahren­des« Verhältnis zum Leben – sowohl einzelner Menschen als auch der Welt im Ganzen –, das der Kapitalism­us systematis­ch zerstöre.

Das Problem war also womöglich nie die ewige, unkritisch­e Kindheit eines (un)politische­n Peter-Panismus, sondern vielleicht eher ein lebensfein­dliches System, das die kritisch-kreativen Kinder in uns jahrzehnte­lang gelähmt hat. Doch zum Glück haben diese Kinder inzwischen einfach das Ende der Illusionen zum Beginn der Visionen gemacht.

In die Rente gehört also wohl nicht Peter Pan; er gehört endlich wirklich (mit) an die Macht. In die Rente gehören die, die in die Rente gehören. Und Donald Trump.

Das Problem war womöglich nie die ewige, unkritisch­e Kindheit eines (un)politische­n Peter-Panismus, sondern vielleicht eher ein lebensfein­dliches System, das die kritisch-kreativen Kinder in uns jahrzehnte­lang gelähmt hat.

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Mit viel »Alk« feiern Berliner Jugendlich­e den Fall der Mauer.

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