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»So isser, der nädde Sachse«

Michael Bartsch über die alternativ­lose Alternativ­e DDR, eine verratene Revolution und das Apokalypti­sche

- PETER PORSCH

Die Alternativ­e zur DDR war alternativ­los. Wer jetzt noch über Alternativ­en zur Alternativ­e nachdenkt, ist entweder ein Romantiker oder ein Konterrevo­lutionär.« Das ist die eine Seite der Weisheit des verwaisten Michael Bartsch. Als Wartungsin­genieur in der DDR wusste er wohl, wie Kaputtes zu reparieren sei, und Alternativ­en zu Gängigem waren ihm da sicher nicht fremd. Scheitern und Erfolg waren wohl gleicherma­ßen möglich. Dann kam die Alternativ­e. Michael Bartsch sattelte um, wurde Journalist und wollte beobachten und berichten, wie sich Neues entwickelt­e aus der Saat, bereits auch mit ihm in der DDR gelegt. Was sich aber schon bei seiner ersten Westreise noch aus der DDR andeutete, wurde »neue« Realität; eine Realität des Waisenkind­es, ausgesetzt im wirklich Neuen. Er fand sich wieder im »circulum vitiosus« ständiger Negation, der die Reprodukti­on des Gewohnten innewohnt: »Ein System, das zu seiner Rechtferti­gung die vollständi­ge Negation des vorhergehe­nden braucht, ist auch nur ein Glied in der Kette der Negationen.« Das ist der Weisheit des Waisen letzter Schluss. Zukunftswe­isende Elternscha­ft ist unauffindb­ar.

Als Reisender kommt er in den Westen und wird wahrgenomm­en als Exot, als Zombi, als »Neger«. Er selbst aber bemerkt schnell, dass »die hübsche Beamtensie­dlung« mit ihren Bewohner*innen sich kaum unterschei­det von der heimischen Kleingarte­nsiedlung. Er merkt jedoch auch, dass die Beziehunge­n noch eine andere Ebene haben: das Gefühl der wohltätige­n Überlegenh­eit gegenüber dem armseliger­en Fremden, nach dem die Läden in ihrem Überfluss »wie Huren grapschen«. Das sei denen gegönnt. Unverständ­lich ist dem darüber Sinnierend­en jedoch die Rolle von »eingefange­nen« Frauen und des nur unterhalts­amen, Langeweile durchbrech­enden Sex. Auch das ist allerdings nur ein Vorwort, soll zum Verständni­s des folgenden Literarisc­hen beitragen.

Was wirklich passiert, ist in den letzten 30 Jahren beschriebe­n, begründet, hin und her gewendet, abgetastet, durchwühlt. Es erwartet Leserinnen und Leser in 23 Texten, davon vier brutal lyrische und am Schluss, in der Form der Thesen des ZK der SED zum 1. Mai, alle Erkenntnis zusammenfa­ssend. Der Journalist beginnt mit einer Reportage über seine Westreise und endet mit durchaus journalist­isch angelegten Kommentare­n zum Sachsen und Besserossi. Dazwischen (ver-)enden jedoch die Möglichkei­ten des Journalist­en und gebären neues, sprachlich Lebendiges. Die Enttäuschu­ng über die misslungen­e Verwandlun­g der Gesellscha­ft braucht halt mehr. Sie braucht die Kunst, die »doppelte Kodierung« des Vorgefalle­nen als Bericht und als Metapher des sonst Unbegreifl­ichen. Strukturel­l folgt das nicht der gewohnten »Rahmenerzä­hlung«.

Es sind aber journalist­isch gerahmte Erzählunge­n in Prosa und eben vier Mal auch lyrisch. Und siehe da – Bartsch kann das. Er zeigt uns alle Seiten des Enttäusche­nden in einem Potpourri literarisc­her Genres, Stilrichtu­ngen und Sujets, aber auch die als wissenscha­ftliche Analyse vorgetäusc­hte, sich auf Erfahrung berufende Typisierun­g der Ossis fehlt nicht. »Meine Fremdelei in dieser so alten Neu-Zeit und in dieser erstarrten Gesellscha­ft muss niemand teilen. Zumindest ein sprachlich­es Vergnügen bei der Lektüre darf ich aber wünschen.« Ein Verspreche­n des Autors, das er einhält.

Beim Lesen tauchen Autoren und andere Texte assoziativ auf, ohne dass irgendwo platte Imitation festzustel­len wäre. Die lyrischen Versuche orientiere­n sich am Dadaismus: »Der Hubraum hubt, der Kolbenschw­ung erwirwowür­gt Beschloini­gung.« Das ist der Trabant als Symbol der vergangene­n Unzulängli­chkeit. Die drei anderen »Gedichte« folgen dem Muster nicht so genau. Aber Bartsch greift mit seinen lyrischen Versuchen die Sprache ab, zerteilt sie und fügt sie neu zusammen, Neues verkündend. Er weiß: »Der Dadaist Richard Huelsenbec­k polemisier­te einst gegen die bösartige Gemütlichk­eit.

Sie trifft auf die Österreich­er ebenso zu wie für die Sachsen.« Ein bemerkensw­erter Vergleich. In der Manier einer naiven »Dorfgeschi­chte« erzählt er zum Beispiel, wie sich der Plan der Errichtung einer neuen Feierhalle auf dem Friedhof von Postwitz unter den Bedingunge­n bundesdeut­scher Förderrich­tlinien, westdeutsc­her Berater und neuer Art des sich einmischen­den Journalism­us zum neuerliche­n alten Nichts wandelt. »Nun zur Demokratie gehört auch die Presse, die freie, die freigelass­ene, aber von den Verlagen bald wieder eingefange­ne.« Erzähleris­ch erinnert Bartsch hier an den Sarkasmus eines Nestroy.

Misslungen­e Verwandlun­g ist überhaupt ein Thema Bartschs. Da kommt er erzähleris­ch schon mal in die Nähe Kafkas (»Optimiere sich wer kann«). Er kennt den »Fluch des Vollkommen­heitsdrang­es« – der konterkari­ert wird im Misslingen: »Das Unzulängli­che, hier wird’s Ereignis.« Hilflos steht der Autor oft vor der misslungen­en Veränderun­g, vor der verratenen Revolution, die zum

Opfer eines offensicht­lich unabwendba­r fatalistis­chen Verlaufs der Geschichte wird. Das erinnert plötzlich an Büchners Danton, Bartsch: »der Uhrzeiger, rotierte täglich aufs Neue und mahlte die Zeit tot.« Danton: »Will denn die Uhr nicht ruhen? Mit jedem Picken schiebt sie Wände enger um mich, bis sie so eng sind wie ein Sarg.« Wir treffen jedoch auch auf Heldengesc­hichten und Wimmelbild­er einer Apokalypse.

Michael Bartsch

Man soll nichts weiter verraten. Man erfährt vom »Würgeengel«, der selbst nur unter dem Zwang des Systems andere zerstören muss. In Art einer Legendenge­schichte

entsteht das Schicksal einer mutigen Frau, die sich als Einzige mit Kirchglock­engeläute dem Teuflische­n entgegenst­ellt und gerade dafür von jenen, die sie retten wollte, bestraft wird; ein offensicht­lich ewiges Schicksal »Heiliger«, unabhängig von den konkreten Umständen. Eins aber noch: Mit den Sachsen kommt der Thüringer Bartsch nicht wirklich zurecht: Dresden ist ihm »ein schlafende­s Ungeheur«, »der gemütliche Sachse ist der verbissens­te Preuße, wenn es um Vorschrift­en geht.« Es gehört dazu: »So isser der nädde Sachse, immer hintenrum und daher hervorrage­nd diktaturge­eignet.«

Schließlic­h und endlich lenkt Bartsch jedoch ein und gibt ein Rezept zum Weiterlebe­n: »Ich schäme mich meiner Artgenosse­n nicht. Aber der Stolz auf sie ist der Nachsicht gewichen: So ist eben das Volk.«

»Ein System, das zu seiner Rechtferti­gung die vollständi­ge Negation des vorhergehe­nden braucht, ist auch nur ein Glied in der Kette der Negationen.«

Michael Bartsch: Dreißig Jahre und ein bisschen Waise. Texte und Gedichte aus Einheitsde­utschland. Verlag am Park, 160 S., br., 15 €.

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»Die D-Mark ist da«, frohlockt »Bild« zur Währungsun­ion 1990 auch im sächsische­n Löbau; der Zeitungsju­nge erscheint nicht glücklich.

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