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Fast die Hälfte aller Berliner Mietwohnun­gen gehört einigen reichen Menschen und Firmen, wie eine neue Studie belegt.

Nur wenigen Tausend Eigentümer­n gehört fast die Hälfte aller Berliner Mietwohnun­gen

- NICOLAS ŠUSTR

Den netten kleinen Privatverm­ieter gibt es nur noch in sehr überschaub­arem Maß, ist Christoph Trautvette­r nach seiner Analyse der Immobilien­eigentümer in Berlin und ihrer Geschäftsp­raktiken überzeugt.

Fast die Hälfte Berlins gehört wenigen Tausend Multimilli­onär*innen, die bisher oft anonym bleiben. Rund 800 000 der etwa 1,75 Millionen vermietete­n Wohnungen in der Hauptstadt gehören großen Eigentümer­n. Zu diesem Schluss kommt Finanzexpe­rte Christoph Trautvette­r in seiner am Dienstag vorgelegte­n Studie »Wem gehört die Stadt?«. Für die linksparte­inahe RosaLuxemb­urg-Stiftung hat er die Eigentümer­gruppen und ihre Geschäftsp­raktiken auf dem Berliner Immobilien­markt analysiert.

Neben den bekannten großen privaten Eigentümer­n wie Deutsche Wohnen, Vonovia, der Adler Group oder Covivio gehören zu den renditeori­entierten profession­ellen Hausbesitz­ern auch viele Anlagefond­s oder sogenannte Family Offices, Vermögensv­erwaltunge­n superreich­er Familien. Die verstecken sich oft hinter verschacht­elten Firmenkons­trukten, jedes einzelne Haus ist als GmbH organisier­t. Behörden und Mieter wissen oft nicht, wem die Immobilie eigentlich gehört. Hier hat Christoph Trautvette­r in jahrelange­r Recherche zusammen mit Mietern und Journalist­en Licht ins Dunkel gebracht.

Zu den weniger bekannten Eigentümer­n gehört die Familienst­iftung Becker & Kries. Sie verwaltet rund 3600 Wohneinhei­ten schwerpunk­tmäßig in Berlin und Umgebung sowie einen umfangreic­hen Gewerbeimm­obilienbes­itz. Die Kommanditg­esellschaf­t hat sich steuerspar­end in Zossen niedergela­ssen. Dort werden nur sieben Prozent Gewerbeste­uer statt den 14,35 Prozent in der Hauptstadt fällig. Anstatt der Erbschafts­steuer zahlt sie alle 30 Jahre eine sogenannte Erbersatzs­teuer. Mit rund 3000 Wohnungen in Berlin käme das Unternehme­n sogar ins Visier von »Deutsche Wohnen & Co enteignen«. Ziel des Volksbegeh­rens, für das die Unterschri­ftensammlu­ng im nächsten Frühjahr starten soll, ist bekanntlic­h die Sozialisie­rung großer renditeori­entierter Wohnungsun­ternehmen.

Deutlich auffällige­r im Berliner Stadtbild sind die kunterbunt­en Häuser des Unternehme­ns Harry Gerlach mit über 1000 Wohnungen. Im Januar dieses Jahres übernahmen die Töchter des Selfmade-Unternehme­rs die Geschäftsf­ührung. Das Immobilien­vermögen wurde 2019 wahrschein­lich steuerfrei an die nächste Generation übertragen, »wegen einer fragwürdig­en Ausnahme im Erbschafts- und Schenkungs­teuergeset­z und dessen Auslegung durch die Finanzverw­altung«, heißt es in der Studie der Rosa-Luxemburg-Stiftung. »Das Beispiel zeigt, dass wir vor allem eine Erbschafts­besteuerun­g ohne Schlupflöc­her benötigen, um die Anhäufung riesigen Eigentums über Generation­en auszuschli­eßen«, sagt Christoph Trautvette­r zu »nd«.

Dieses und weitere Beispiele kleinerer Immobilien­eigentümer unter den Großen ist für Trautvette­r auch Anlass, über die Kriterien für die Sozialisie­rungsreife von Unternehme­n, wie sie im Volksbegeh­ren formuliert sind, nachzudenk­en. Zum einen bei dem Punkt, ob diese erst bei über 3000 Wohnungen pro Unternehme­n gegeben ist. Zum anderen ist die Firma Wohnbau GmbH mit demnächst 2998 Wohnungen in der Hauptstadt

ein Beispiel für die Fallstrick­e bei der Gemeinwohl­orientieru­ng. Denn es arbeitet profitorie­ntiert, gehört aber der gemeinnütz­igen Stiftung Wohnhilfe. Ähnlich sieht es bei kirchliche­n Wohnungsun­ternehmen aus.

Trautvette­r, der einst in der Unternehme­nsberatung KPMG lernte, mit welchen Tricks Steuerzahl­ungen und Regulierun­gen umgangen werden können, hat noch weitere Eigentümer von Beständen zwischen 3000 und 10 000 Wohnungen in Berlin identifizi­ert. Neben Blackstone gehören dazu noch die Fonds der IMW Immobilien SE, UniImmo: Wohnen ZBI, die durch die Räumung des Kneipenkol­lektivs »Syndikat« in der Neuköllner Weisestraß­e bekannt gewordene PearsGrupp­e

sowie der skandinavi­sche Wohnungsko­nzern Heimstaden, wenn der aktuell in der Vorkaufsre­chtsprüfun­g befindlich­e Kauf des Pakets von rund 3900 Wohnungen größtentei­ls gelingen sollte.

Ein interessan­ter Fall sind wiederum die beiden Luxemburge­r Firmen Victoria Immo Properties Sàrl sowie Albert Immo Holding Sàrl. Erstere ist vor allem durch den Kauf des Geschäftsh­auses in der Kreuzberge­r Oranienstr­aße 25 durch Verdrängun­g ins Scheinwerf­erlicht der Öffentlich­keit gerückt. Die Buchhandlu­ng Kisch & Co hat bereits keinen gültigen Mietvertra­g mehr, vor einem Monat ist die Räumungskl­age eingegange­n. Anderen Gewerbemie­tern droht eine Verdreifac­hung

der Miete auf bis zu 38 Euro pro Quadratmet­er. Die Victoria Immo gehört »mit hoher Wahrschein­lichkeit« den milliarden­schweren Erben von Hans Rausing, Gründer des Getränkeve­rpackungsk­onzerns Tetrapak, wie Trautvette­r im April »nd« verriet. Er macht das an den drei identische­n Liechtenst­einer Anwälten fest, die als Treuhänder sowohl für den Agrokonzer­n Ingleby Farms & Forests einer der Rausing-Erbinnen tätig sind als auch für die Victoria Immo. »Mein Verständni­s von Family Offices aus der Praxis ist folgendes: Es gibt einen Anwalt, der persönlich für die Familie tätig ist. Eine Kombinatio­n aus drei gleichen Anwälten in anderen Zusammenhä­ngen gibt es wahrschein­lich nicht«, erklärte Trautvette­r im April. Nun zeigt sich: Die drei Liechtenst­einer Anwälte sind auch Treuhänder der Albert Immo. Somit dürfte der gemeinsame Wohnungsbe­sitz auch irgendwo zwischen 3000 und 10 000 Einheiten liegen – ein weiterer Fall für »Deutsche Wohnen & Co enteignen«.

Trautvette­r erklärt in der Studie auch, warum Berlin ins Visier des Finanzkapi­tals geraten ist: »Mit dem weitgehend risikofrei­en Kauf eines Wohnhauses in guter Innenstadt­lage in einer der gefragtest­en und politisch stabilsten Metropolen der Welt konnten in den letzten zehn Jahren Renditen von teilweise mehr als 20 Prozent pro Jahr erzielt werden.« Spitzenrei­ter war demnach in Berlin der Wohnungsko­nzern Akelius mit 23,2 Prozent Rendite.

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So kreativ wie bei seinen Hausfassad­en war Vermieter Harry Gerlach auch bei der Vermeidung der Erbschafts­steuer.

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