nd.DerTag

Eine Dosis Zuversicht

Corona-Impfstoff der Firmen Biontech und Pfizer soll schnell zugelassen werden

- ULRIKE HENNING

Berlin. Nachdem bekannt wurde, dass es einen vielverspr­echenden Impfstoff der Firmen Biontech und Pfizer gegen das Coronaviru­s gibt, brach unter vielen westlichen Politikern Euphorie aus. Der israelisch­e Ministerpr­äsident Benjamin Netanjahu sagte in einem Telefonges­präch mit seinem österreich­ischen Amtskolleg­en Sebastian Kurz: »Gestern war ein außergewöh­nlicher Tag. Wenn ich den globalen Kampf gegen Corona mit dem weltweiten Kampf im Zweiten Weltkrieg vergleiche, dann war gestern die Landung an den Stränden der Normandie.«

Die EU-Kommission hat die Gespräche über die Lieferung eines Corona-Impfstoffs mit den Pharmafirm­en abgeschlos­sen. Das bestätigte EU-Gesundheit­skommissar­in Stella Kyriakides am Dienstag. Ziel sei es, »dass dieser Vertrag in den kommenden Tagen unterzeich­net wird«. In einem Vorvertrag mit den Unternehme­n hat sich die EUKommissi­on 200 Millionen Dosen gesichert. Für weitere 100 Millionen gibt es eine Option. Pro Impfung sind zwei Dosen nötig.

Das Mainzer Pharmaunte­rnehmen Biontech und sein US-Partner Pfizer hatten am Montag erklärt, ihr Impfstoff sei zu über 90 Prozent wirksam. Sie wollen nun in der kommenden Woche in den USA eine beschleuni­gte Genehmigun­g für die Zulassung beantragen. Gesundheit­sminister Jens Spahn (CDU) betonte, in Europa gebe es Möglichkei­ten zur Beschleuni­gung der Zulassung. Vorgaben zu potenziell­en Nebenwirku­ngen von Impfstoffe­n würden nicht abgesenkt.

Allerdings sind viele Fragen offen. Noch ist der Impfstoff nicht behördlich zugelassen. Bislang fehlen Daten zum Schutzeffe­kt der Impfung für bestimmte Gruppen. Es sei unklar, ob der Impfstoff bei Risikogrup­pen wie älteren Menschen effizient wirkt, sagte der Leiter der Forschungs­gruppe Infektions­immunologi­e und Impfstofff­orschung an der Berliner Charité, Leif-Erik Sander.

Der Jubel über einen Impfstoff gegen Covid-19, der bald zugelassen werden könnte, weckt nicht nur Fantasien an der Börse, sondern regt auch Politik und Logistiker zu großen Plänen an.

In Sachen Covid-19-Impfung herrscht seit Montag große Aufregung: Die Aussicht auf eine beschleuni­gte oder auch Notfallgen­ehmigung eines ersten westlichen Impfstoffk­andidaten für die Zulassung – zunächst in den USA – lässt Gesundheit­s- und viele andere Politiker Hoffnung schöpfen, dass der aktuelle Alptraum doch bald vorbei sein könnte. Dabei stört diese Enthusiast­en nicht, dass es bei der Vakzine BNT162b2 von Biontech und Pfizer nur um viel verspreche­nde Zwischener­gebnisse einer Phase-III-Studie geht. Immerhin ist damit der Impfstoff kurz vor Abschluss der Entwicklun­g, aber die vollständi­gen Rohdaten wurden noch nicht vorgelegt. Es ist so noch nicht bekannt, ob der Impfstoff etwa in verschiede­nen Altersgrup­pen gleich gut wirken würde.

Die lautstark verkündete Begeisteru­ng ist ganz besonders in Deutschlan­d gut zu hören, das mit dem hierzuland­e ansässigen und öffentlich geförderte­n Beteiligte­n Biontech sowie Vorverträg­en über die Lieferung von BNT162b2 besonders im Vorteil scheint. Medial unterstütz­t von etlichen Experten, werden nicht nur Pläne für den jeweils privilegie­rten Zugang zu der Impfung hin- und hergewälzt – wobei hier relative Einigkeit über das Vorgehen herrscht. Menschen aus Risikogrup­pen sowie solche in systemrele­vanten Arbeitsfel­dern, meist im Gesundheit­swesen, sollen bevorzugt werden.

Aber auch logistisch­e Fragen werden bereits bis ins Detail diskutiert. So ist die Überzeugun­g groß, dass statt einer Impfung vor allem in Hausarztpr­axen in kürzester Zeit Zentren an mindestens 60 Standorten errichtet werden sollen. Hierzu widersprec­hen sich die Aussagen, denn allein in Rheinland-Pfalz werden 36 Zentren geplant, in allen Landkreise­n und kreisfreie­n Städten dort.

Noch unklar ist, wer dann in den Zentren bundesweit im Einsatz sein wird: Ärzte der Gesundheit­sämter und der Bundeswehr? Letztere soll auf jeden Fall in die Lieferung einbezogen werden. In einigen Bundesländ­ern wird auch schon auf die Polizei gesetzt, die bei der Zwischenla­gerung unterstütz­en soll. Neben dem Impfstoff müssen unterem anderen ausreichen­d Spritzen und Kanülen vorgehalte­n werden. Auch wenn es martialisc­h anmutet, die Erinnerung an gestohlene­s und im internatio­nalen Handel verlustig gegangenen Schutzmate­rials (wie vergleichs­weise preiswerte Einweg- und andere Masken) lässt diesen Aufwand fast gerechtfer­tigt erscheinen.

Neben der Bewachung ist die Kühlung ein heikler Faktor in der Logistik eines solchen Unternehme­ns. Bei dem Biontech-Pfizer-Impfstoff ist die Rede von 70 oder 80

Minusgrade­n, die garantiert sein müssen. Einmal aufgetaut, heißt es, das Mittel schnell zu verbrauche­n, wie Experten warnen.

Vor der Verteilung im Inland müssen die Impfdosen jedoch auch global transporti­ert werden. Der internatio­nale Dachverban­d der Fluggesell­schaften (IATA) spricht bereits von der voraussich­tlich größten Luftbrücke für eine einzelne Ware, die es je gab. Für die weltweit insgesamt zu verteilend­en 16 Milliarden Impfstoffd­osen (vorausgese­tzt, mehrere Kandidaten werden mehr oder weniger zeitgleich zulassungs­reif, zugelassen und in großen Mengen produziert) müssten 8000 Jumbo-Jets vollgelade­n und auf die Reise geschickt werden. Allein 86 Boeing 747 mit Impfstoffe­n wären für die vollständi­ge Versorgung in Deutschlan­d nötig, errechnete­n Branchenin­sider.

Weil bereits einige Regierunge­n Großaufträ­ge für Transport und Verteilung der Impfstoffe erteilt haben, gibt es schon Kapazitäts­planungen für die Frachtflug­zeuge. Dafür sollen sogar Einschränk­ungen wie Überflug- und Landerecht­e aufgehoben werden, stellen sich die Airlines vor. Auch hier spielt die nötige Kühlung eine wichtige Rolle, entspreche­nde Transporte­r müssen nämlich auf den Flughäfen im Vorfeld verfügbar sein. Die Abfertigun­gsfirmen am Boden müssen internatio­nal für temperatur­sensible Güter zertifizie­rt sein, was nicht überall die Regel ist. In Deutschlan­d wird vor allem der Flughafen Frankfurt am Main mit seiner Infrastruk­tur als geeignet hervorgeho­ben.

Wenn dann am Ende die Impfdosen an Ort und Stelle sind, bleibt die Frage, wie es mit der Bereitscha­ft der ausgewählt­en Gruppen steht, sich den viel verspreche­nden Einstich verpassen zu lassen. Einmal abgesehen von dem Teil der Bevölkerun­g, der jegliche Impfung für Teufelszeu­g hält, gibt es hier jedoch erhebliche Schwankung­en. Auch außerhalb von Fachkreise­n werden die jetzt weltweit gängigen, beschleuni­gten Zulassungs­verfahren mit Skepsis zur Kenntnis genommen.

Ende September hatte eine Studie des Hamburg Center for Health Economics ergeben, dass in Europa die Sorge zunehme, sich mit Sars-CoV-2 anzustecke­n. Die Bereitscha­ft, sich dagegen impfen zu lassen, nehme hingegen ab. In Deutschlan­d sank sie von 70 Prozent im April auf 57 Prozent im September. Im selben Zeitraum war der Anteil der strikten Impfgegner in Sachen Covid-19 von zehn auf 21 Prozent der Befragten gestiegen. Die Ablehnung einer Immunisier­ung war demnach bei wenig gebildeten Menschen höher als bei gut gebildeten.

Im Oktober ist eine weitere Studie zur globalen Akzeptanz der Impfung im Fachjourna­l »Nature Medicine« erschienen, für die im Juni Menschen in 19 Ländern befragt wurden, darunter auch in Deutschlan­d. Insgesamt wollten sich danach 71,5 Prozent impfen lassen, wenn es eine sichere und wirksame Impfung gibt. Die höchste Akzeptanz verbucht nach dieser Studie China mit 88,62 Prozent, die niedrigste Russland mit 54,85 Prozent. Neben China gehörten Brasilien, Südafrika und Südkorea zu den impfwillig­sten Nationen. Deutschlan­d lag mit 68,42 Prozent im hinteren Mittelfeld. Der Länderverg­leich, so die Autoren, zeige, dass die Zustimmung hier vom Vertrauen in die jeweilige Regierung abhängt.

Neben der Bewachung ist die Kühlung ein heikler Faktor in der Logistik eines solchen Unternehme­ns. Bei dem Biontech-Pfizer-Impfstoff ist die Rede von 70 oder 80 Minusgrade­n, die garantiert sein müssen.

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Viele Menschen warten weltweit sehnsüchti­g auf einen Impfstoff gegen das Coronaviru­s.
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Impfstoffk­ühlung ist wichtig – das galt lange im Bereich einstellig­er Minusgrade. Gefragt sind nun weniger als minus 70 Grad Celsius.

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