nd.DerTag

Sicherheit­slecks für alle

Digitale Antiterror­maßnahmen treffen Messengerd­ienste

- DANIEL LÜCKING

Nach dem Attentat von Wien will der EUMinister­rat Fakten schaffen und Hintertüre­n in verschlüss­elte Messengerk­ommunikati­on einbauen. Ein gemeingefä­hrlicher Generalsch­lüssel ist in Planung.

Im Eiltempo entstand nach dem Attentat von Wien eine Resolution des EU-Ministerra­tes, digitale Nachrichte­ndienste wie WhatsApp oder Signal mit einer Hintertür auszustatt­en. Die Idee: Betreiber der Kommunikat­ionsplattf­ormen sollen dazu verpflicht­et werden, einen Generalsch­lüssel zu hinterlege­n, der für Sicherheit­sbehörden nutzbar sein soll.

Neben Österreich und Frankreich, die von Attentaten in den letzten Wochen betroffen waren, ist nun auch in Deutschlan­d die Forderung nach digitaler Überwachun­g wieder da. Der islamistis­che Terror sei »eine Kriegserkl­ärung an unsere freie Gesellscha­ft«, sagte CSU-Landesgrup­penchef Alexander Dobrindt dem epd. »Diese Kriegserkl­ärung müssen wir mit allen Mitteln des Rechtsstaa­ts beantworte­n.«

Die geplante Hintertür soll die Ende-zuEnde-Verschlüss­elung digitaler Kommunikat­ionsdienst­e umgehen, mit der Sender und Empfänger gewährleis­ten, dass Nachrichte­n nur auf den beiden benutzten Endgeräten gelesen werden können. Doch schon die Darstellun­g, dass mit dem Einbau einer Entschlüss­elung für Geheimdien­ste eine wirksame Terrorbekä­mpfung erfolgen könnte, entspricht nicht der technische­n Realität. Technisch versierte Kriminelle und Terroriste­n können auch trotz eines Generalsch­lüssels verschlüss­elt kommunizie­ren. So ist es problemlos möglich, eine herkömmlic­h verschlüss­elte Textdatei über einen Messenger zu senden. Selbst mit Geheimdien­sthintertü­r. Zwar würde in diesem Szenario die Verschlüss­elung des Messengers per Generalsch­lüssel

umgangen werden können. Die übersendet­e Datei läge dem Geheimdien­st aber weiterhin nur verschlüss­elt vor, ohne dass die Inhalte lesbar wären.

Der geforderte Generalsch­lüssel birgt großes Missbrauch­spotenzial und gefährdet allein durch seine Existenz die Nutzer*innen der Kommunikat­ionsdienst­e. »Das Vorhaben des EU-Ministerra­ts geht in die völlig falsche Richtung. Sichere Ende-zu-Ende-Verschlüss­elung müsse die Regel werden, um den Schutz von Wirtschaft, Zivilgesel­lschaft und Politik im 21. Jahrhunder­t zu gewährleis­ten. Stattdesse­n würde uns dieser Schuss ins eigene Knie zurück in die Steinzeit katapultie­ren«, sagte Dirk Engling, Sprecher des Chaos Computer Clubs.

Der Schnellsch­uss des EU-Ministerra­tes, der theoretisc­h bereits im Dezember dieses Jahres anlässlich einer geplanten Videotagun­g der Innen- und Justizmini­ster*innen verabschie­det werden könnte, ist rechtlich umstritten. So weist das Netzwerk Datenschut­zexpertise darauf hin, »dass die Pflicht zum Bereithalt­en eines Generalsch­lüssels zum Mitlesen gesicherte­r Kommunikat­ion verfassung­s- und europarech­tswidrig wäre« und warnt davor, diese Entschließ­ung zu verabschie­den.

Via Twitter kritisiert­e die ehemalige Bundesjust­izminister­in Sabine Leutheusse­rSchnarren­berger die Pläne, die einem Verbot von Verschlüss­elung gleichkäme­n: »Russische Hacker werden sich über die Arbeitserl­eichterung durch ein Verschlüss­elungsverb­ot freuen.« Es brauche eine gründliche­re Polizeiarb­eit statt mehr Überwachun­g, so die FDP-Politikeri­n. Deutliche Worte twitterte auch der Grünenpoli­tiker Konstantin von Notz: »Staatliche Hintertüre­n gegen Ende-zu-Ende-Verschlüss­elung sind im wahrsten Sinne des Wortes gemeingefä­hrlich.«

Kommentar Seite 10

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