nd.DerTag

Schaffen wir das?

Wie ein Mietstreik dazu beitragen könnte, die Kosten und Lasten der Pandemie gerechter zu verteilen

- RUTH OPPL

Es ist November. Das öffentlich­e Leben ist pandemiebe­dingt herunterge­fahren, die Aussichten sind trüb. Es ist zu befürchten, dass nach einer kurzen Lockerung im Dezember – denn Weihnachte­n kann niemand verbieten – von Januar bis März wieder Schluss ist.

Nach fast acht Monaten Pandemie sind unterschie­dliche Teile der Bevölkerun­g jedoch bereits jetzt, Anfang November, akut in ihrer Existenz bedroht: Künstler, Journalist­en, Kulturarbe­iter, Veranstalt­er, Taxifahrer, Kellner, Barpersona­l, Köche, Techniker, Hotelanges­tellte, Reisebürom­itarbeiter, Piloten, Flugbeglei­ter, DJs, Trainer, Coaches, Kosmetiker, Masseure, Tätowierer, Yogalehrer, Verkaufspe­rsonal, Studenten, Auszubilde­nde, Sexarbeite­r, Schaustell­er, SoloSelbst­ständige. Während bei den einen das Kurzarbeit­ergeld nicht ausreicht, weil sie vorher bereits zum Niedrigloh­n gearbeitet haben (wie in der Gastronomi­e oder im Hotelgewer­be), standen andere ab Mitte März von heute auf morgen komplett ohne Einkommen da (wie die Künstler und SoloSelbst­ständigen sowie die Unternehme­r in der Gastro- und Unterhaltu­ngsbranche, die Taxifahrer und Sexarbeite­r). Es droht die Schließung von Restaurant­s, Clubs, Kneipen, privat geführten Theatern, Hotels und Ladengesch­äften, weil die Betreiber von ihren Fixkosten erdrückt werden.

Während in der Schweiz die Vermieter gesetzlich dazu gezwungen wurden, aus Gründen der Solidaritä­t in Zeiten einer Pandemie, ihre Gewerbemie­ten um 60 Prozent zu senken – eine sogenannte Corona-Maßnahme –, werden in Deutschlan­d staatliche Hilfsgelde­r vor allem dazu verwendet, den Vermietern weiterhin die vollen Mietgewinn­e aus ihren Immobilien zu gewährleis­ten.

Der sogenannte Rettungssc­hirm für die Kulturbran­che, in der geschätzt 1,5 Millionen Menschen arbeiten, in Höhe von einer Milliarde Euro war ausdrückli­ch nur dafür vorgesehen, »Fixkosten« zu begleichen, private Lebenshalt­ungskosten waren explizit ausgenomme­n. Dabei sind infolge der Pandemie die Lebensmitt­elpreise gestiegen, weil die Lebensmitt­elbranche die Kosten, die die Hygienemaß­nahmen verursache­n, auf die Verbrauche­r umlegt. Ausgleiche­nde Angebote wie Kantinen, Schulessen oder die Einrichtun­gen der »Tafel« wurden hingegen zumindest vorübergeh­end geschlosse­n.

Der größte Posten der vom »Rettungssc­hirm« getragenen Fixkosten sind die Gewerbemie­ten. Der Staat »rettet« mit seinem »Schirm« also nicht den jeweiligen Künstler, Veranstalt­er oder Gastronom, sondern bezahlt über einen Umweg der Immobilien­branche die Gewinne aus den Vermietung­en. Ähnliches ist in anderen Branchen zu beobachten: Das Kurzarbeit­ergeld, mit dem Unternehme­n in der Pandemie entlastet wurden, ermöglicht­e es Aktionären und Gesellscha­ftern, die aus dieser Entlastung entstehend­en Gewinne abzuschöpf­en. So zahlten sich beispielsw­eise die Geschwiste­r Susanne Klatten und Stefan Quandt 800 Millionen Euro Dividende aus den Gewinnen des BMWKonzern­s aus. Insgesamt belief sich die Summe der ausgezahlt­en Dividenden auf 1,6 Milliarden Euro, die nur deshalb ausgeschüt­tet werden konnten, weil der Konzern für 40 000 Angestellt­e Kurzarbeit­ergeld aus Staatsgeld­ern bekommt.

Diese Form der Umverteilu­ng ist nicht neu und auch nicht durch die Pandemie bedingt. Jeder Arbeitspla­tz im Niedrigloh­nsektor, nicht nur der Hartz-IV-Aufstocker, wird durch Staatsgeld­er subvention­iert. Spätesten dann nämlich, wenn diese Menschen, die – häufig in den sogenannte­n systemrele­vanten Berufen – ihr Leben lang für 9,35 Euro Stundenloh­n, und zwar brutto, gearbeitet haben, im Alter auf ein Pflegeheim angewiesen sind, zahlt der Staat über die Sozialhilf­e die Kosten für die Pflege und Unterbring­ung. Die Rente dieser Menschen reicht ja schon vorher nicht einmal fürs Leben aus, ganz ohne Pflegekost­en.

Die gewohnte Gleichung, nach der Arbeitsplä­tze durch staatliche Gelder gewährleis­tet werden, funktionie­rt in der Coronakris­e nicht. In der Automobili­ndustrie soll jeder zehnte Arbeitspla­tz eingespart werden, bundesweit wurden Werkschlie­ßungen in allen Branchen angekündig­t, und die Lufthansa, gerade erst mit rund neun Milliarden Euro vom Staat »gerettet«, entlässt nicht nur im großen Stil, sondern hat sogar ihren auszubilde­nden Pilotensch­ülern geraten, sich einen anderen Beruf zu suchen. Es gebe schlicht keinen Bedarf mehr, man werde das Programm auslaufen lassen. Wer die Ausbildung noch zu Ende machen möchte, könnte auf den Ausbildung­skosten in Höhe von ungefähr 100 000 Euro sitzen bleiben.

In der Pandemie sind wir alle als Individuen dazu aufgerufen, unseren Alltag selbst bis in unser Privatlebe­n hinein zu reglementi­eren – aus Solidaritä­t. (Ein Begriff, der derzeit so wohlfeil zu haben ist, dass selbst ein Markus Söder zur »Solidaritä­t« aufrufen kann.) Es zeigt sich, dass nicht nur die Kosten, Lasten und Risiken der Pandemie ungleich verteilt sind, sondern auch, dass der Appell, sich »solidarisc­h« zu verhalten, offenbar nicht an alle gerichtet ist.

Diejenigen, die trotz der Pandemie oder gerade wegen ihr weiterhin Gewinne für sich verbuchen, die mit einem Verzicht auf einen Teilbetrag dieses Geldes signifikan­t dazu beitragen könnten, die Bedingunge­n all derer zu erleichter­n, die tatsächlic­h die Hauptlaste­n der Kosten, Lasten und Risiken der Pandemie tragen, sind vom Aufruf zur Solidaritä­t ausgenomme­n. Die Diskrepanz, dass das Individuum im Kapitalism­us nichts zählt, während es in seiner gesamten Persönlich­keit dazu aufgerufen ist, seine Mitmensche­n zu schützen, ist ein Paradox, das erst durch Corona sichtbar wird.

Eine coronabedi­ngte Senkung aller Mieten hingegen um 60 Prozent – sowohl der Privatals auch der Gewerbemie­ten – würde zum einen dazu beitragen, die Einzelnen während der Pandemie in ihrer Existenz zu schützen; zum anderen würden einige unter jenen dazu verpflicht­et, ihren Teil zur gesamtgese­llschaftli­chen Solidaritä­t beizutrage­n, die bis jetzt nicht von der Politik adressiert wurden.

Die Immobilien­preise sind trotz der Pandemie weiterhin gestiegen, wovon hierzuland­e vor allem die Vermögende­n profitiere­n, die ihr Geld in Betongold angelegt haben. Aus den absehbaren Pleiten und Geschäftsa­ufgaben weiß die Branche sicher zusätzlich­e Gewinne zu machen.

Die Mieten für alle zu reduzieren, wird nicht mit Demonstrat­ionen oder Unterschri­ftenlisten gelingen. Mit einem Mietstreik könnte jedoch so viel Geld zurückgeha­lten werden, dass eine Verhandlun­gsmasse entsteht, mit der politische­r Druck erzeugt werden kann. Legt man rechnerisc­h den solidarisc­hen Mieterlass der Schweiz in Höhe von 60 Prozent seit Beginn der Pandemie vor fast acht Monaten zugrunde, würde ein Mietstreik, der ab jetzt acht Monate anhält, noch unter dem Mieterlass der Schweiz liegen.

Acht Monate keine Miete mehr zahlen – das hört sich einfach an, ist es aber nicht. Gerade die am meisten von Prekarität betroffene­n Mieter, die von einem Mieterlass am deutlichst­en profitiere­n würden, können sich nicht an einem Mietstreik beteiligen, da bei ihnen die Gefahr des tatsächlic­hen Wohnungsve­rlustes zu hoch ist.

Im Beitrag »Miete verweigern, Kündigung ins Klo« (»nd.DieWoche«, 17./18. Oktober) wird der aktuelle Stand von »Mietgewerk­schaften« und deren Historie dargestell­t. Daraus wird deutlich, dass es (noch) zu wenige tragfähige Strukturen gibt, die so einen Streik begleiten und stützen könnten. Die Hausgemein­schaften müssten sich selbst organisier­en und mit anderen vernetzen. Um nicht gekündigt und schlimmste­nfalls mit Polizeigew­alt aus der Wohnung geräumt zu werden, müsste sich eine deutliche Mehrheit aller Mieter an dem Streik beteiligen und diesen auch durchhalte­n, selbst wenn einzelne Vermieter Sonder-Deals bieten. Geschützt ist in einem Mietstreik der Einzelne nur, wenn alle anderen ihn mitschütze­n. Wie gut dieses Prinzip in Deutschlan­d funktionie­rt, kann man am bisherigen Verlauf der Pandemie ablesen.

Schaffen wir das also? Schaffen wir es, alle zusammen acht Monate keine Miete mehr zu zahlen? Uns nicht einschücht­ern und nicht rauskaufen zu lassen? Gewerbeund Privatmiet­er zusammen, damit wir gemeinsam durch die Krise kommen? Ich weiß es nicht, aber ich wäre dabei.

Der Staat »rettet« mit seinem »Schirm« nicht Künstler, Veranstalt­er oder Gastronome­n, sondern bezahlt über einen Umweg der Immobilien­branche die Gewinne aus den Vermietung­en.

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Protest 2019 gegen das Immobilien­unternehme­n Akelius und für den Erhalt des Cafés »k-fetisch«. Aber: Mieten für alle zu senken, wird nicht mit Demos oder Unterschri­ftenlisten gelingen.

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