nd.DerTag

Woodstock für Nazis

Was wurde aus »Bella Ciao«?

- ADRIAN SCHULZ

Während der gemeine Student, also ich, auf dem Sofa sitzt und seinen Hals mit der Zunge, wie jeden Abend, alert bis hypochondr­isch, auf mögliche Kratzer prüft, rauschen zwischen CNN und »Tagestheme­n« Videos aus Leipzig über den Bildschirm, von der bislang wohl furchterre­gendsten Coronaleug­nungsdemo.

Eines verstört mich am meisten: das Video, auf dem man mehrere Dutzend Menschen inmitten einer dichten Menge eine Polonaise tanzen sieht. Ein Woodstock für Nazis, mitten in Deutschlan­d.

Normale Leute sind das, die da tanzen, oder eher: amtsnormal, weiß, proper, gutgelaunt. Aber keine Trommeln, keine Traumfänge­r, kein Eso-Gedöns; die meisten unter vierzig, einige sogar fast cool, gepierct, langhaarig, lässig eine Zigarette im Mund. Und sie tanzen nicht zu irgendeine­m Lied. War das alte Partisanen­lied »Bella Ciao« 2018 in einer umgearbeit­eten Version des französisc­hen DJ Hugel zum Sommerhit geworden, wurde es 2020 am Anfang der Pandemie zum Solidaritä­tslied mit dem hart getroffene­n Italien. Das war dann der Rohstoff für einen im April veröffentl­ichten Remix namens »Corona Ciao«, der sich in die muntere Liste der exponentie­ll wachsenden Virus-Kunstwerke einreiht.

Dieses »Corona Ciao« ist nun der DanceTrack der Faschos in dem Video aus Leipzig. Sie wollen Corona nicht bekämpfen und so verabschie­den, sondern nichts mehr davon wissen – ja, sie nehmen eine Infektion, in einem Akt des Körperprot­zens, den man wohl nur empfinden kann, wenn man vorher nicht von den Bullen die Fresse zerlegt bekommen hat, sogar in Kauf.

Man sieht ihnen die Euphorie darüber an: über ihren (gefühlten) Mut, über das Lied, den Rhythmus, das einfach zu memorieren­de »Ciao, Ciao, Ciao«, das langsam von den jubelnden Rufen »Maskenfrei! Maskenfrei!« übertönt wird. Faschos sind also des Zitats fähig, der kecken Aneignung, der Sinnentste­llung.

Die Meme-Wars der rechtsextr­emen Online-Foren werden immer schon (und immer wieder) versuchswe­ise auf die Straße gezerrt, und viel zu oft – in ungefähr jeder zweiten Ausgabe des »Spiegels« – lassen sich bürgerlich­e Journalist*innen darauf ein, halten dies und das für diskutabel, begeben sich in die Froschpers­pektive und zeigen die Gernegroße­n so, wie sie gezeigt werden wollen.

Deshalb muss man sie nicht nur in ihren Erfolgen, sondern in ihrer Lächerlich­keit abbilden: dann, wenn sie stolpern und sich einpinkeln. Und natürlich nie vergessen, dass es Nazis sind, die man da vor sich hat, egal wie sie aussehen. Wie sagte einer der im wunderbare­n »Nipster«-Film Michel Abdollahis Befragten bockig: »Was hat Deutschlan­d damit zu tun, wie man angezogen ist?«

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