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Corona tödlich für Festivals

Spielstätt­en und Messen leiden unter der Pandemie. Wie kann der Staat helfen?

- ANDREAS FRITSCHE

Kaum einen anderen Wirtschaft­szweig hat die Corona-Pandemie so hart getroffen wie die Veranstalt­ungsbranch­e, weiß Brandenbur­gs Wirtschaft­sminister Jörg Steinbach (SPD). Er würde gern helfen. Doch seine Möglichkei­ten sind begrenzt.

Der beliebte Choriner Musiksomme­r wurde abgesagt. Das Feel-Festival vor der Kulisse der Förderbrüc­ke F 60 im ehemaligen Braunkohle­tagebau Klettwitz-Nord, es waren bereits 20 000 Tickets verkauft, abgesagt. Die Cottbuser Herbstmess­e, die jährlich rund 10 000 Besucher anzieht, abgesagt. »Diese Entscheidu­ng trifft uns sehr hart und ist uns nicht leichtgefa­llen. Vielmehr ist sie ein weiterer Tiefschlag in der seit März 2020 bedingt durch die Corona-Pandemie völlig zum Erliegen gekommenen Veranstalt­ungsbranch­e«, beklagt die Geschäftsf­ührerin der Messegesel­lschaft, Daniela Kerzel. Die Liste ließe sich fortsetzen.

Wohl keine andere Branche habe es so hart erwischt, weiß auch Wirtschaft­sminister Jörg Steinbach (SPD). Gaststätte­n beispielsw­eise durften wenigstens den Sommer über öffnen und sind erst jetzt wieder geschlosse­n. Aber Konzerte mit mehr als 1000 Besuchern waren seit März durchgehen­d nicht möglich. Dabei zählen allein die Festivals in Brandenbur­g normalerwe­ise insgesamt rund 1,5 Millionen Besucher im Jahr und machen in dieser Zeit mehr als 50 Millionen Euro Umsatz. Sind bereits Veranstalt­er pleitegega­ngen? Da ist Steinbach überfragt. Doch dass viele am Abgrund stehen, ist ihm bewusst. Wenn es so weitergehe, »werden wir welche verlieren«, sagt er.

»Wir haben mit Bedauern feststelle­n müssen, dass außer der Soforthilf­e in der Branche nichts angekommen ist.« Jörg Steinbach Wirtschaft­sminister

Am Montagnach­mittag hat sich der Minister in einer Videokonfe­renz mit acht Vertretern von Festivals, Musikszene und Messen getroffen, um darüber zu sprechen, wie das Land Brandenbur­g ihnen helfen könnte. Am frühen Montagaben­d informiert­e er darüber ebenfalls per Videokonfe­renz in einem Pressegesp­räch. Das Wirtschaft­sressort ist für die kommerziel­len Veranstalt­er zuständig, um die nicht kommerziel­len kümmert sich das Kulturmini­sterium. Daher war auch Kultur-Staatssekr­etär Tobias Dünow (SPD) bei der Videokonfe­renz dabei.

Angesichts der Existenzän­gste der Betroffene­n hätte sich Wirtschaft­sminister Steinbach nicht gewundert, wenn die Nerven blankliege­n und seine Gesprächsp­artner ihren Frust ablassen. So ist es aber nicht gewesen, und darum bedankte er sich ausdrückli­ch für das »sachliche und konstrukti­ve« Gespräch. Dabei musste er die Bitte um eine schnelle Finanzspri­tze mit dem Hinweis abschlagen, dass er dafür in den Etats von Wirtschaft­s- und Kulturmini­sterium dieses Jahr leider keinen Spielraum mehr sehe. Auch Planungssi­cherheit für das nächste Jahr konnte er nicht verspreche­n. »Wir wissen nicht, wann es vorbei sein wird, wann die Pandemie vorüber ist«, bedauert Steinbach.

Das soll aber nicht heißen, dass sich gar nichts machen lässt. Die Möglichkei­ten sollen bei weiteren Treffen ausgelotet werden. So wünscht sich der Minister eine Zuarbeit, aus der hervorgeht, woran es konkret hakt, dass die Veranstalt­ungsbranch­e nicht an Überbrücku­ngshilfen herankommt, sondern bisher offenbar lediglich von den Soforthilf­en im Frühjahr profitiert­e. Die sogenannte Novemberhi­lfe werde zwar als der »große Rettungsan­ker der Soloselbst­ständigen« gesehen, so Steinbach, sei aber eigentlich für diejenigen gedacht, die speziell unter den erneuten Schließung­en im zweiten Lockdown zu leiden haben. Bei der Novemberhi­lfe werden 75 Prozent des üblichen Umsatzes ersetzt. Mit dem gezahlten Geld dürfen nicht nur die Fixkosten beglichen, sondern auch private Bedürfniss­e gestillt werden.

Franziska Pollin vertritt die Interessen von Musikspiel­stätten im Land Brandenbur­g. Sie schildert an einem Beispiel, vor welchen Problemen ein Festivalve­ranstalter stehen kann: Er hat zwei Bands über eine Künstlerag­entur gebucht. Wegen Corona muss das Festival ausfallen. Doch die Bands verlangen ihre Gage, die Agentur ihre Provision. Bezahlt werden muss auch die Firma, die Holz für Aufbauten lieferte.

Mit dem Bund wäre auszuhande­ln, wie Hilfsprogr­amme passgenau gemacht werden. Während das Pressegesp­räch läuft, hat

Wirtschaft­sminister Steinbach per Mobiltelef­on Kontakt mit der Staatskanz­lei, die sich dazu in einer Abstimmung­srunde mit dem Bund befindet. Steinbach vermutet, dass sich nicht alles über Bundesprog­ramme regeln lassen wird. Brandenbur­g müsse 2021 eventuell selbst etwas auflegen, so wie Bayern und Nordrhein-Westfalen es getan haben.

Später am Abend scheint sich diese Einschätzu­ng einmal mehr zu bestätigen. Das ZDF-Magazin »Wiso« berichtet über die Sorgen der Veranstalt­ungsbranch­e und zitiert den Leipziger Eventmanag­er Martin Koslik, der ein vorübergeh­endes Unternehme­rgehalt von 1000 Euro monatlich fordert. Doch Bundesfina­nzminister Olaf Scholz (SPD) vermeidet es, klar ja oder nein zu sagen. Er gibt nur ausweichen­de Antworten. Da sind der Branche die ehrlichen Ansagen von Brandenbur­gs Wirtschaft­sminister Steinbach lieber. Das Auftaktges­präch mit ihm nennt Franziska Pollin »vielverspr­echend«.

Nach Ansicht der Landtagsab­geordneten Isabelle Vandré (Linke) hat das Land jedoch viel zu lange gezögert. Seit einem halben Jahr werde die Branche vertröstet, obwohl »vielen das Wasser bis zum Hals steht und nicht wenigen sogar darüber«, sagt Vandré.

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Das Festival »Wilde Möhre« war eine Ausnahme: Es fand auch in diesem Sommer statt.

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