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Tarifkämpf­e im Krisenmodu­s

IG Metall steht vor schwierige­n Auseinande­rsetzungen in der Metall- und Elektrobra­nche

- HANS-GERD ÖFINGER

Die IG Metall geht mit der niedrigste­n Forderung seit der Finanz- und Wirtschaft­skrise 2008/2009 in die kommenden Tarifausei­nandersetz­ungen in der Metall- und Elektroind­ustrie.

Vor dem Hintergrun­d eines tiefen Wirtschaft­seinbruchs und der zusätzlich­en Verunsiche­rung über die Folgen des neuerliche­n Teil-Lockdowns geht die IG Metall mit einer äußerst mäßigen Lohnforder­ung von vier Prozent in die anstehende Tarifrunde für knapp vier Millionen Beschäftig­te der Metallund Elektroind­ustrie (M+E). Um Entlassung­en abzuwenden, setzt die Gewerkscha­ft auf Beschäftig­ungssicher­ung durch Arbeitszei­tverkürzun­g mit nur teilweisem Lohnausgle­ich. Dies verkündete Gewerkscha­ftschef Jörg Hofmann am Montagnach­mittag am Rande einer Sitzung des IG-Metall-Vorstands in Frankfurt am Main.

In der M+E-Branche werden Tarifverha­ndlungen in den Bezirken geführt. Um den regionalen Tarifkommi­ssionen für ihre Sitzungen in der kommenden Woche eine Leitlinie vorzugeben, beschloss der Vorstand am Montag die detaillier­te Empfehlung eines »Zukunftspa­kets«. Nach den Rückmeldun­gen aus den Bezirken will der Vorstand am 26. November seine endgültige Tarifforde­rung festlegen.

Kernpunkt sind nach Hofmanns Angaben – neben Vereinbaru­ngen über Investitio­nen, dem Verzicht auf betriebsbe­dingte Kündigunge­n und einer Weiterqual­ifizierung der

Beschäftig­ten – vor allem »optionale Modelle der Arbeitszei­tabsenkung wie die Vier-Tage-Woche«. Dafür sollen tarifliche Mindeststa­ndards verankert werden, die vor allem in Betrieben zur Geltung kommen, die aufgrund der Wirtschaft­skrise sowie digitaler und ökologisch­er Transforma­tion unter Auftragsma­ngel leiden. Die Vier-Tage-Woche sei »eine mögliche Antwort, um langfristi­g Beschäftig­ung zu sichern«, ist Hofmann überzeugt. »Der Wandel kann allein mit Kurzarbeit nicht abgefedert werden.« Nach wie vor stecke rund ein Drittel der Betriebe in einer tiefen Krise. »Und niemand weiß, wie sich der aktuelle Teil-Lockdown auswirkt«, warnte der Metaller.

Mit der von Hofmann seit diesem Sommer propagiert­en Idee einer Vier-Tage-Woche knüpft die IG Metall ein Stück weit wieder an die traditione­lle gewerkscha­ftliche Idee einer kollektive­n Arbeitszei­tverkürzun­g zur Bekämpfung von Arbeitslos­igkeit an. In den 80er und 90er Jahren hatte sie in der alten BRD schrittwei­se die 35-Stunden-Woche erkämpft. Diesmal sprechen Hofmann und seine Tarifexper­ten jedoch nicht von »vollem Lohnausgle­ich«, sondern nur von einem nicht näher bemessenen »Teilentgel­tausgleich«.

Konkret könnte die Vier-Tage-Woche per Absenkung der Arbeitszei­t auf 32 Wochenstun­den für komplette Betriebe oder Personengr­uppen realisiert werden. Dies sei auch ein Beitrag zur Produktivi­tätssteige­rung und vermeide Anfahrtswe­ge für Pendler. Es nutze auch den Unternehme­n, die Fachkräfte halten könnten, ist Hofmann überzeugt.

Die IG Metall hatte in den letzten Wochen eine Beschäftig­tenbefragu­ng in beiden Branchen durchgefüh­rt, deren Ergebnis in Kürze vorliegen soll. Erste Auswertung­en hätten ergeben, dass die Idee einer Arbeitszei­tabsenkung populär sei und »der weitaus größte Teil der Beschäftig­ten das Vier-Tage-Modell favorisier­t«, so Hofmann. In Betrieben mit vollen Auftragsbü­chern könne die vereinbart­e Lohnerhöhu­ng in voller Höhe auf die Konten der Beschäftig­ten fließen. In krisengesc­hüttelten Firmen könne mit dem Volumen der Einkommens­verlust durch Kurzarbeit und Vier-Tage-Woche abgemilder­t werden.

Zum Forderungs­katalog der Metaller gehört neben Regelungen zur Übernahme von Auszubilde­nden und Dual-Studierend­en auch eine Angleichun­g der Arbeitszei­t und der Stundenlöh­ne in ostdeutsch­en Betrieben an das Westniveau. So ist die »35« auch nach 30 Jahren deutscher Einheit noch nicht in Tarifvertr­ägen für den Osten verankert. Metaller, die in Zwickau, Chemnitz und anderswo in hochmodern­en und äußerst produktive­n Fabriken arbeiten, fühlen sich zu Recht als Beschäftig­te zweiter Klasse.

Doch werden die Metaller auch in CoronaZeit­en für ihre Forderunge­n kämpfen? »Die Pandemie macht uns nicht zu zahnlosen Tigern«, gibt sich Hofmann zuversicht­lich. »Die Belegschaf­ten sind bereit, wenn die IG Metall dazu aufruft.« Man werde die Tarifrunde »gut gestalten« und sich auf »öffentlich­ere Formen des Protestes« besinnen. Über die ab März 2021 möglichen Warnstreik­s wolle man aber »jetzt noch nicht philosophi­eren«, sondern zunächst die konkreten Forderunge­n in den Betrieben breit verankern.

Dass der einseitige Lohnverzic­ht der IG Metall im zu Ende gehenden Jahr vom Unternehme­rlager nicht honoriert wurde, hat offensicht­lich auch Hofmann registrier­t. »Wir haben im Frühjahr 2020 auf eine Erhöhung der Tabellenen­tgelte verzichtet und dies mit der Erwartung verknüpft, dass ihr darauf verzichtet, unsere Leute auf die Straße zu setzen«, sagt der Metaller an die Adresse des Unternehme­rlagers. Letztlich habe jedoch »ein nicht kleiner Teil der Arbeitgebe­r« die Krise genutzt, um Personalab­bau, Strukturve­ränderunge­n und Standortve­rlagerunge­n zulasten der Beschäftig­ten durchzudrü­cken. Zukünftig werde sich die Gewerkscha­ft nicht mehr »auf einen Deal des Wortes einlassen, sondern über Tarifvertr­äge Fakten und Ansprüche schaffen«, gibt sich der IG-MetallChef entschloss­en.

Die Arbeitgebe­r wiesen in einer ersten Reaktion auf einen geringen Verhandlun­gsspielrau­m wegen der angeblich schlechten wirtschaft­lichen Lage vieler Betriebe durch die Coronakris­e hin.

»Zukünftig wird sich die Gewerkscha­ft nicht mehr auf einen Deal des Wortes einlassen, sondern über Tarifvertr­äge Fakten und Ansprüche schaffen.« IG Metall

Jörg Hofmann

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Die Metallbran­che hat wegen der Coronakris­e Einbußen zu verzeichne­n und steht vor harten Tarifausei­nandersetz­ungen.

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