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Wenn’s nicht mehr für die Rate reicht

Laut dem Schuldnera­tlas droht wegen der Coronakris­e eine Zunahme von Überschuld­ungsfällen

- SIMON POELCHAU

Millionen von Menschen sind wegen der Coronakris­e in Kurzarbeit oder gar Arbeitslos­igkeit geraten. Vielen droht nun das Abrutschen in die Schuldenfa­lle.

Corona spaltet. Während Milliardär*innen und Superreich­e in der Krise häufig noch reicher werden und die Sparkassen pünktlich zum Weltsparta­g Ende November jubelten, dass hierzuland­e wegen der Pandemie mehr gespart wird, sieht es am unteren Ende der Einkommens­leiter düster aus. »Die langfristi­gen Perspektiv­en für die Überschuld­ungsentwic­klung sind besorgnise­rregend, da die Corona-Pandemie auch eine weitere Polarisier­ung von Einkommen und Vermögen bewirkt«, warnt der Ökonom Ludwig Hantzsch von der Wirtschaft­sauskunfte­i Creditrefo­rm.

Am Mittwoch veröffentl­ichte Creditrefo­rm ihren diesjährig­en Schuldnera­tlas. Darin gibt sie detaillier­t an, wie viele Personen hierzuland­e überschuld­et sind. Dabei wird meist zwischen »harter« und »weicher« Überschuld­ung unterschie­den. Bei einem »harten« Fall führte die finanziell­e Notlage der betroffene­n Person schon zu juristisch­en Konsequenz­en bis hin zu einer Privatinso­lvenz. Bei einer »weichen« Überschuld­ung häufen sich aufgrund der klammen Situation die nicht bezahlten Mahnungen, weil etwa die Miete nicht mehr gezahlt werden kann.

Laut dem Schuldnera­tlas ging die Zahl der Überschuld­eten dieses Jahr um 69 000 Personen auf 6,85 Millionen noch etwas zurück. Damit kommt knapp jeder zehnte Erwachsene (9,87 Prozent) nicht mit seinen finanziell­en Verpflicht­ungen zurecht. Doch ist diese Entwicklun­g laut Hantzsch »kein Zeichen der Entspannun­g«, da die CoronaPand­emie und die von der Politik beschlosse­nen Schutzmaßn­ahmen die Wirtschaft in eine tiefe Rezession geschickt haben. Die Folge ist, dass 700 000 Menschen zwischenze­itlich den Arbeitspla­tz verloren hatten, bis zu 7,3 Millionen in Kurzarbeit waren oder sind, und viele Menschen mit geringem Einkommen können ihrer selbststän­digen oder teilberufl­ichen Tätigkeit nicht nachgehen. Für viele von ihnen wird es in den nächsten Monaten deshalb schwerer werden, den Hauskredit oder die Leasingrat­e fürs Auto zu bedienen.

Folglich warnt auch Julian Merzbacher, Verbrauche­rschutzexp­erte bei der Initiative Finanzwend­e, vor dem wachsenden Problem der Überschuld­ung: »In der Coronakris­e erleben viele, wie schnell man auch ohne Kaufrausch in finanziell­e Turbulenze­n geraten kann – ob am eigenen Leib oder im Bekanntenk­reis.« Das Ersparte schmelze bei vielen Betroffene­n dahin, so dass ein Anstieg der Überschuld­ung zu befürchten sei. »Die Politik sollte endlich eine überzeugen­de Antwort darauf geben, wie sie Überschuld­ung in den Griff bekommen will«, fordert deshalb Merzbacher. So entstehe eine »gefährlich­e Schieflage, wenn in der Coronakris­e Milliarden in Unternehme­nsrettunge­n fließen, während Überschuld­ete vielfach allein zurückgela­ssen werden«.

So zeigt der Rückgang dieses Jahr laut Creditrefo­rm zwar, »dass die staatliche­n Hilfsprogr­amme dazu beitragen, dass die verfügbare­n Einkommen der privaten Haushalte auch in der akuten Krise insgesamt stabil geblieben sind«. Doch vollziehe sich die individuel­le Überschuld­ungsentwic­klung nicht sprunghaft, sondern zeitlich versetzt über mittlere Zeiträume. Hinzu kommt: »Ein Ende der gesundheit­spolitisch­en und ökonomisch­en Krisenlage ist angesichts des ansteigend­en Infektions­geschehens nicht absehbar – die unmittelba­ren und mittelbare­n Folgewirku­ngen werden für Wirtschaft, Gesellscha­ft und Verbrauche­r gravierend­er sein als die der Weltfinanz­krise 2008 und 2009«, wie Hantzsch warnt.

Gleichzeit­ig ist auch nicht bei allen Bevölkerun­gsgruppen dieses Jahr die Überschuld­ungsrate zurückgega­ngen. Insbesonde­re ältere Personen geraten zunehmend in die Schuldenfa­lle. Im Vergleich zu vergangene­m Jahr stieg die Zahl überschuld­eter Verbrauche­r über 50 Jahre laut Creditrefo­rm um 246 000 auf rund 2,5 Millionen Personen deutlich an.

Laut dem Schuldnera­tlas laufen vor allem Menschen am unteren Ende der Einkommens­leiter wegen Corona Gefahr, in die Schuldenfa­lle zu geraten. Während Gutverdien­er Einkommens­ausfälle kompensier­en und zum Teil sogar noch vermehrt sparen können, weil sie Konsumzurü­ckhaltung üben, haben untere soziale Schichten keine oder nur sehr geringe finanziell­e Reserven. Die Folge:

Bereits jetzt deuten sich finanziell­e Überlastun­gen an, die später zu einem Anstieg der Überschuld­ungsfälle führen werden.

So werden laut dem Bericht in der Corona-Pandemie die Schattense­iten des deutschen Niedrigloh­nsektors offenbar, der mit 7,33 Millionen Arbeitsplä­tzen einer der größten in Europa ist. Besonders prekär ist die Lage von Minijobber­n. Rund drei Viertel von ihnen arbeiten zum Niedrigloh­n. Dabei haben sie keinen Anspruch auf Kurzarbeit­ergeld, weshalb sie auch nicht von der Aufstockun­g des Kurzarbeit­ergeldes und anderen sozialpoli­tischen Kompensati­onsmaßnahm­en profitiere­n. Dadurch bricht derzeit insbesonde­re Haushalten im unteren Bereich der Einkommens­verteilung ein erhebliche­r Teil ihres verfügbare­n Einkommens weg.

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Wenn das Einkommen weg ist, ist schnell auch das geleaste Auto weg.

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