Journalist als Staatsfeind
Julian Assange droht in den USA ein Verfahren wie in Kriegszeiten
Berlin. In rund sieben Wochen wird in London am Central Criminal Court die Entscheidung im Auslieferungsverfahren des Enthüllungsjournalisten Julian Assange bekannt gegeben. Für den Australier hat sich die Situation mit Blick auf das ihm bevorstehende Verfahren nach dem Espionage Act nicht verbessert. Das US-Spionagegesetz, das eigentlich für Kriegszeiten gedacht ist, wurde zuletzt immer häufiger gegen die Quellen von Journalist*innen, auch Whistleblower genannt, angewendet. Mit Julian Assange ist nun ein Journalist direkt von dem 1917 eingeführten Gesetz betroffen.
»Das Gesetz wurde nicht geschaffen, um ein faires Verfahren zu gewährleisten«, kritisierte der frühere CIA-Mitarbeiter Jeffrey A. Sterling, der 2010 angeklagt wurde und das fragwürdige Verfahren durchlief, gegenüber »nd«.
Das Auslieferungsverfahren von Assange wird von vielen Expert*innen kritisiert. »Für uns ist klar, dass er wegen seiner Beiträge zu journalistischer Berichterstattung angeklagt wurde und dass das Verfahren gegen ihn rein politisch motiviert ist«, sagte der Geschäftsführer der Organisation Reporter ohne Grenzen, Christian Mihr, der während der Anhörungen in den vergangenen Wochen im Gericht in London war.
Zwar ist Donald Trump abgewählt, aber der Wechsel im Weißen Haus dürfte für Assange keine Verbesserungen mit sich bringen. Der designierte US-Präsident Joe Biden von den Demokraten wurde vor der Wahl zu seiner Haltung zum Fall des WikileaksGründers befragt. »Ich gehe in keiner Weise davon aus, dass Assange tatsächlich ein Journalist ist«, sagte Biden der »New York Times«. Er warf ihm die Gefährdung von
Menschenleben vor. Für die US-Regierung gilt der Australier nicht als Journalist, sondern als Hacker und Datendieb, der die USSicherheit gefährdet habe. Zugleich räumen Regierungsstellen wie die Pressestelle des Pentagon allerdings ein: »Wir haben noch keinen Schaden in Afghanistan gesehen, den wir direkt mit der Veröffentlichung in den Wikileaks-Dokumenten in Verbindung bringen können.«
Die Enthüllungsplattform hatte unter anderem Kriegsverbrechen der US-Streitkräfte im Irak und in Afghanistan öffentlich gemacht und stand dazu in Kontakt mit der USSoldatin Chelsea Manning, damals noch Bradley Manning. In Kooperation mit deutschen und US-amerikanischen Medien, deren Chefredakteure nicht von den Repressalien betroffen sind, wurden Berichte der USStreitkräfte analysiert.