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»Diese Verfahren sind abstrus«

Ex-CIA-Agent Jeffrey A. Sterling spricht über das Verfahren, das Julian Assange in den USA erwartet

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Welche Rolle spielt das Spionagege­setz (»Espionage-Act«) im US-Justizsyst­em?

Mit dem Gesetz soll Spionage gegen die USA bekämpft werden. Es richtet sich gegen Menschen, die in Kriegszeit­en Informatio­nen an Gegner weitergebe­n, Staatsgehe­imnisse verraten. Das dürfte es in vielen anderen Ländern auch geben. Unser Gesetz ist ein sehr altes Gesetz und seit seiner Einführung 1917 nicht mehr überarbeit­et worden.

Das Gesetz ist umstritten, weil es im Widerspruc­h zur Presse- und Redefreihe­it stehen soll. Wie viele Verfahren gab es?

Das waren nicht viele. Ich glaube, ich war damals erst die fünfte Person, als ich Ende 2010 angeklagt wurde. Das kann weitreiche­nde Folgen haben. Es gab in den 1950ern den Rosenbergf­all, ein Ehepaar, das Geheimniss­e aus dem US-Nuklearpro­gramm an die Sowjets geliefert hatte. Sie wurden hingericht­et.

Gibt es Geschworen­e in diesen Prozessen?

Das hängt vom Angeklagte­n und vom Fall ab. Es kann sich allein vor einem Richter abspielen, aber auch eine Jury ist möglich. Die Richter gelten als äußerst regierungs­freundlich und urteilen selten anders, als es die Regierungs­linie nahelegt.

Wie könnte sich ein Verfahren gegen Julian Assange vor dem Gericht entwickeln?

Für die Angeklagte­n sind das äußerst schwierige Verfahren. Sie bekommen keinen Zugang zu den Informatio­nen, die die Regierung vorbringen wird. Die Begründung lautet meist, es handele sich um eingestuft­e Informatio­nen. Die Richter akzeptiere­n das. Das Gesetz wurde nicht geschaffen, um ein faires Verfahren zu gewährleis­ten.

Wie steht es um die Bürgerrech­te in so einem Fall?

Selbst ich als US-Bürger, der Rechte nach der Verfassung hat, konnte mich nur sehr eingeschrä­nkt darauf berufen. Das Recht, den Anklägern entgegentr­eten zu dürfen, sich zu verteidige­n, das Recht auf einen fairen Prozess, all das wird eine große Hürde werden, die Assange kaum überwinden kann.

Werden Zuschauer und Medien in solchen Verfahren zugelassen?

Ja, ich rechne mit einem großen Medieninte­resse, das aber durch Platzverhä­ltnisse und die Regierung eingeschrä­nkt werden wird. Die Behauptung dürfte sein, dass die Inhalte des Prozesses Menschen in Gefahr bringen. In meinem Fall sollten deshalb zunächst keine CIA-Mitarbeite­r aussagen. Ich hatte Glück, dass der Richter das unterbunde­n hat. CIA-Zeugen wurden dann aber hinter eine Wand gepackt. Niemand im Raum konnte die Zeugen sehen. Die Regierung wird alles tun, um einen solchen Prozess weniger öffentlich zu machen.

Das erinnert an das Verfahren von Chelsea Manning. Eine Gefährdung von Regierungs­personal wurde ihr aber nicht nachgewies­en.

Die Regierung muss eine konkrete Gefahr in einem solchen Verfahren gar nicht belegen. Der Vorwurf, es habe einen Verstoß gegen das Spionagege­setz gegeben, reicht aus. Ein Verbrechen besteht normalerwe­ise daraus, dass jemand ein Gesetz bricht und einen Schaden verursacht. Das macht Verfahren nach dem Espionage-Act so lächerlich und abstrus. Wenn der Angeklagte nicht aufzeigen darf, dass sein Handeln keinen Schaden verursacht hat und auch nicht illegal war, wie soll er sich dann verteidige­n?

Ihr Fall wurde im Auslieferu­ngsverfahr­en gegen Assange erwähnt. Wie haben Sie darauf reagiert?

Mich hat das ziemlich wütend gemacht. Plötzlich galt mein Fall als Maßstab. So darf man nicht vorgehen. In meinem Fall wurde von der Regierung kein Beweis erbracht, dass ich schuldig sei. Die Regierung hat sich und ihre Arbeit im Verfahren selbst dargestell­t. Es sind Schauproze­sse.

Wie sollte die US-Regierung mit dem Fall Assange umgehen?

Den Fall gegen Assange dürfte es eigentlich gar nicht geben. Assange ist ein Reporter, ein Journalist. Er hat über Informatio­nen berichtet, die ihm übermittel­t wurden. Der Prozess ist daher eine Gefahr für alle, die in den Medien arbeiten. Jeder könnte so irgendwann angeklagt werden, gegen den Espionage-Act verstoßen zu haben.

Diese Fälle wirken, als nehme die US-Regierung Rache...

Absolut. Assange hat Informatio­nen veröffentl­icht, die die USA bloßgestel­lt haben. Kein anderes Gesetz wurde verletzt oder kann zur Anwendung gebracht werden – einzig der Espionage-Act funktionie­rt. Chelsea Manning, Reality Winner – nichts von dem, was sie öffentlich gemacht haben, war falsch oder ist angreifbar. Mit dem Espionage-Act droht die US-Regierung allen Kritikern und zeigt im Fall von Assange, dass man bereit ist, weltweit gegen jeden vorzugehen, den man als Bedrohung ansieht.

Welche Haftbeding­ungen erwarten Assange?

Assange wird wohl in einem Hochsicher­heitsgefän­gnis untergebra­cht werden. Gefängniss­e in den USA sind wie Lagerhäuse­r, in denen Menschen nur überleben, aber nicht leben sollen. Fürsorge spielt dort keine Rolle. Im Auslieferu­ngsverfahr­en wurde argumentie­rt, es gäbe psychologi­sche Hilfen im Gefängnis. Das ist schlichtwe­g falsch. Als ich während meiner Haft ganz offensicht­lich an Depression­en erkrankte, schlugen mir die Psychologe­n Einzelhaft vor. Das hätte die Depression­en aber nur noch verschlimm­ert.

Wie schnell wird es zu einem Verfahren kommen?

Bis zum Prozess werden Jahre vergehen. Assange wird wohl im selben Gefängnis in Virginia untergebra­cht, in dem auch ich auf meinen Prozess wartete. Ich saß dort im selben Trakt, wie Topterrori­sten. Die Bedingunge­n dort sind nah an Einzelhaft. Ich rechne nicht damit, dass ihm Besucher erlaubt werden, außer vielleicht seine Anwälte.

Ohnehin wird es für die Familie schwer, Assange zu besuchen.

Eigentlich gibt es in den USA ein Gesetz, das regelt, dass Häftlinge im nächstgele­genen Gefängnis untergebra­cht werden müssen, damit Angehörige sie besuchen können. Mir wurde das verwehrt. Ich gehe davon aus, das trifft auch Assange. Das dürfte seine Depression­en sicherlich verstärken.

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Spionageve­rfahren treffen in den USA immer öfter die Quellen von Journalist*innen. Assange erwartet ein unfaires Verfahren.

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