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Wenn Rechtsprec­hung zum Racheakt der Regierung wird

Mit dem Espionage-Act geht die US-Regierung nicht mehr nur gegen Spione und Regierungs­mitarbeite­r vor, sondern auch gegen Journalist­en und deren Quellen

- DANIEL LÜCKING

In den letzten zehn Jahren gab es mehr Verfahren nach dem Espionage-Act als in den 90 Jahren davor. Das für Kriegszeit­en vorgesehen­e Gesetz trifft immer öfter die Informante­n von Journalist­en.

Der ehemalige CIA-Mitarbeite­r Jeffrey A. Sterling ist bereits Jahre außer Dienst, als er Ende 2010 als Spion nach dem EspionageA­ct angeklagt wird. Die US-Regierung behauptet, Sterling habe Informatio­nen an den Journalist­en und Buchautor James Risen über fragwürdig­e US-Operatione­n rund um das iranische Nuklearpro­gramm weitergege­ben.

Sterling, der Politik und Rechtswiss­enschaften studiert hatte, interessie­rte sich seit jeher für internatio­nale Beziehunge­n. »Ich wollte meinem Land dienen«, sagt Sterling im Gespräch mit »nd«. »Die Gelegenhei­t kam und ich wollte aus der kleinen Stadt heraus, in der ich aufgewachs­en war, die Welt sehen. Ich war begeistert, als ich zur CIA kam.«

Einen Kontakt zwischen Risen und Sterling hatte es tatsächlic­h gegeben. Sterling, der zwischen Mai 1993 und Januar 2002 bei der CIA tätig war, zog bereits kurz vor seinem Ausscheide­n aus dem Dienst viel Aufmerksam­keit auf sich, als er seinen Arbeitgebe­r wegen Diskrimini­erung verklagte. Der Journalist Risen, der damals für die »New York Times« arbeitete, griff diese Anklage auf und war mit Sterling via Telefon und E-Mail in Kontakt.

Ein Vorgesetzt­er von Sterling habe ihm gegenüber geäußert, als »großer schwarzer Kerl« sei Sterling für einen Spion »zu auffällig«. Ihm sei es damals darauf angekommen, im Dienst die selben Chancen zu erhalten, wie seine weißen Kolleg*innen, erklärt Sterling die rechtliche­n Schritte, die er unternahm.

Die Vorwürfe, die Jahre später aufkommen, beschäftig­en Sterling bis heute. Seine Aufgabe bei der CIA war seit dem Jahr 1997, in Bonn und in New York iranische Staatsbürg­er*innen zu rekrutiere­n, die für die CIA arbeiten sollten. Ziel der »Operation Merlin« sei das iranische Atomwaffen­programm gewesen, in das die CIA Agenten einschleus­en wollte. Dort sollten diese zunächst an der Weiterentw­icklung der Waffen mitarbeite­n, diese aber durch falsch Baupläne sabotieren. Wie später bekannt wird, waren die Änderungen an den ursprüngli­ch russischen Plänen leicht zu erkennen und zu beheben.

Kurz nach der US-Invasion im Irak 2003 kamen bei Sterling Zweifel auf. »Ich befürchtet­e, dass eine Operation, bei der ich beteiligt war, gegen unsere Truppen verwendet werden könnte«, erzählt Sterling heute. Er entschied sich, den US-Senat und den Geheimdien­stausschus­s über seine Zweifel in Kenntnis zu setzen. »Ich habe niemals eingestuft­e Informatio­nen gegenüber Personen preisgegeb­en, die nicht autorisier­t waren, diese auch zu erhalten«, macht Sterling klar.

Als im Buch »State of War« von James Risen eine Passage auftaucht, in die die Regierung einen Zusammenha­ng mit Sterling hineininte­rpretiert, wird das zum Anlass für die Anklage nach dem Espionage-Act. Die Regierung kann ihre Behauptung­en nicht beweisen. Nur die Metadaten der Anrufe und E-Mails werden Grundlage für die Verurteilu­ng zu 42 Monaten Haft. «In tragischer Weise war das sogar logisch, denn ich war der Einzige, der sich bis dahin über diese Operation geäußert hatte.« Die Inhalte der Kommunikat­ion zwischen Sterling und Risen kann die Regierung nicht vorlegen. Risen erstritt erfolgreic­h, seine Quelle zur Operation Merlin weiterhin schützen zu dürfen.

Die Zeit im Gefängnis geht nicht spurlos an Sterling vorbei. Neben Depression an denen er erkrankt, kommt es auch zu einem Herzinfark­t, der zunächst nicht behandelt wird. »Ich klagte über Schmerzen in der Brust und die Ärzte sagten mir, ich solle mehr Wasser trinken«, erinnert sich Sterling. Erst als seine Ehefrau Holly einen Protest organisier­t und ein US-Senator die Bedingunge­n im Gefängnis hinterfrag­t, erhält Sterling die dringend benötigte Behandlung.

Während der Präsidents­chaft von Barack Obama haben sich die Verfahren, die eigentlich Spionage bekämpfen sollen, zu einem Instrument gegen Whistleblo­wer*innen entwickelt. Journalist*innen wie Julian Assange geraten dabei ins Visier der Dienste und der US-Justiz, die – sollte es zur Auslieferu­ng von Assange kommen – einen Präzedenzf­all für den Umgang mit ausländisc­hen Journalist*innen schaffen wird. Chelsea

Manning, die als Informanti­n Dokumente an Wikileaks gab, die die Basis für eine gemeinsame Berichters­tattung von deutschen und amerikanis­chen Zeitungen sowie in der Folge auch Wikileaks wurden, zählt mit dem NSA-Whistleblo­wer Edward Snowden zu den bekanntest­en Angeklagte­n.

John Kiriakou, ebenfalls CIA-Agent, verbüßte eine Strafe von 30 Monaten. Auch sein Verfahren begann lange nach Ende seiner Zeit bei der CIA. Kiriakou hatte 2007 in einem Interview mit dem Sender ABC die Waterboard­ing-Folter von Guantanamo­häftlingen bestätigt. 2012 bekannte sich Kiriakou schuldig, den Namen eines CIAAgenten an einen Reporter weitergege­ben zu haben. Dieser hatte den Namen jedoch nicht veröffentl­icht. Das Schuldbeke­nntnis führte zu einer Freiheitss­trafe von 30 Monaten.

Wie mit Assange verfahren werden wird, der für die US-Regierung nicht als Journalist gilt, ist nicht absehbar. Sterling rechnet jedoch im Fall einer Jury damit, dass diese regierungs­freundlich und mit Menschen mit Verbindung­en zum Geheimdien­stkomplex besetzt sein wird.

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