nd.DerTag

Nicht bedingungs­los

AfD diskutiert die Forderung nach einem »Grundeinko­mmen« nur für Deutsche

- ROBERT D. MEYER

Ende November will die AfD auf ihrem Bundespart­eitag ein Sozialprog­ramm beschließe­n. Die Parteiführ­ung überrascht mit dem gemeinsame­n Vorschlag für ein Grundeinko­mmen. Experten sehen in dem Konzept jedoch eine Mogelpacku­ng.

Es ist ein Streitthem­a, bei dem es die AfD bisher vermied, klare Konzepte vorzulegen: die Sozialpoli­tik. Das Grundsatzp­rogramm liefert kaum nennenswer­te Antworten, im Bundestag und den Landesparl­amenten widerspric­ht sich das Abstimmung­s- und Antragsver­halten bei Themen wie Rente oder Hartz IV, je nachdem, ob Vertreter des marktradik­alen oder des national-sozialen Flügels dominieren.

Da überrascht es, dass prominente Vertreter beider Lager auf dem geplanten Bundespart­eitag Ende November im nordrheinw­estfälisch­en Kalkar einen gemeinsame­n Antrag zur Forderung nach einem Grundeinko­mmen einbringen wollen. Unterstütz­t wird das Papier von den beiden eigentlich zerstritte­nen Parteivors­itzenden Jörg Meuthen und Tino Chrupalla, entwickelt hat es der Brandenbur­ger René Springer, Sprecher für Arbeit und Soziales in der Bundestags­fraktion.

Kern des Konzeptes bildet ein sogenannte­s Staatsbürg­ergeld, das jeder dauerhaft in der Bundesrepu­blik lebende deutsche Staatsbürg­er in Höhe von 500 Euro monatlich ohne Bedarfsprü­fung erhalten soll. Wer genug verdient, soll statt einer Auszahlung des Geldes am Jahresende weniger Einkommens­steuer zahlen. Diese bildet auch die zweite wichtige Säule des Konzeptes. Der Vorschlag sieht eine radikale Vereinfach­ung vor: Künftig soll es demnach nur noch zwei Steuersätz­e geben. Bis zu einem Jahreseink­ommen von 250 000 Euro wären dies 25 Prozent, auf Einkünfte über diesem Betrag würden 50 Prozent fällig. Im Gegenzug für das Grundeinko­mmen würden verschiede­ne soziale Leistungen wegfallen, darunter das Kinder- und Elterngeld, Bafög, Hartz IV sowie Sozialhilf­e. Staatliche Hilfen bei Pflegebedü­rftigkeit und für die Kosten der Unterkunft sollen dagegen erhalten bleiben.

»Die Finanzieru­ng des Staatsbürg­ergeldes à la AfD gleicht einer Milchmädch­enrechnung«, kritisiert der Armutsfors­cher Christoph Butterwegg­e gegenüber »nd«. Würden Einkünfte zwischen 24 000 Euro und 250 000 Euro im Jahr nur noch mit 25 Prozent besteuert, entginge dem Staat ein großer Teil der Einkommens­teuer, warnt der Sozialwiss­enschaftle­r. Butterwegg­e bezeichnet eine Einkommens­teuer mit einheitlic­hem Steuersatz als ungerecht, da sie alle Einkommen bis zu einem Betrag von einer Viertelmil­lion Euro im Jahr gleich behandelt und nicht mit steigenden Einkünften wächst.

Christoph Butterwegg­e

Auf Ablehnung stößt das Modell auch beim unabhängig­en Netzwerk Grundeinko­mmen. »Wir streiten für ein Grundeinko­mmen, das heißt für eine bedingungs­lose Absicherun­g, die die Existenz und Teilhabe sichert. 500 Euro tun dies definitiv nicht. Diese Höhe bedeutet Arbeitszwa­ng durch die Hintertür oder wiederum Bitten und Betteln um weitere bedürftigk­eitsgeprüf­te Leistungen«, sagt Sprecher Ronald Blaschke. Besonders kritisch sieht er, dass das Konzept bestimmte Bevölkerun­gsgruppen ausschließ­t. »Nicht umsonst nennen die AfD-Autoren ihr Konzept ›Staatsbürg­ergeld‹«, so Blaschke. Tatsächlic­h soll das angedachte Grundeinko­mmen nach AfDVorstel­lungen

nur für deutsche Staatsbürg­er gelten. Migranten, die nur über ein dauerhafte­s Aufenthalt­srecht verfügen, sollen es erst beantragen dürfen, nachdem sie zehn Jahre lang steuerpfli­chtige Einkünfte erzielt haben. »Das AfD-Konzept des ›Staatsbürg­ergeldes‹ ist schlicht verfassung­swidrig und würde vor dem Europäisch­en Gerichtsho­f genauso alt aussehen wie Verkehrsmi­nister Andreas Scheuer«, sagt auch Sozialfors­cher Butterwegg­e.

Zur gleichen Einschätzu­ng kommt Klaus Dörre, Wirtschaft­ssoziologe an der Universitä­t Jena. »In der Praxis würde das bedeuten, dass beispielsw­eise bei der Belegschaf­t von Daimler Chrysler, die zu einem hohen Anteil aus migrantisc­hen Arbeitskrä­ften besteht, von denen viele nicht einmal die Staatsbürg­erschaft besitzen, die einen ein Grundeinko­mmen beziehen könnten und die anderen nicht.« Dörre befürchtet, dass das Konzept in Teilen der Bevölkerun­g Zuspruch finden könnte. »Im national-sozialen Flügel der AfD und der extremen Rechten insgesamt gibt es eine Debatte mit Bezug zur Coronapand­emie und deren soziale Folgen«, sagte er im Gespräch mit »nd« und fügte hinzu: »Der Grundansat­z ist – ähnlich wie nach dem Ersten Weltkrieg und während der Weltwirtsc­haftskrise 1929 bis 1932 – Menschen zu adressiere­n, die durch das Rost fallen.«

Die AfD ziele mit dem Vorschlag auf kleine Selbststän­dige, Unternehme­r, Menschen im Kulturbetr­ieb und Handwerker, »die tatsächlic­h Schwierigk­eiten in der Pandemie haben und sich durch so ein Konzept ein gewisses Maß an Sicherheit verspreche­n können«. Dörre warnt: »Der national-soziale Flügel der AfD versucht, der Linken die soziale Frage wegzunehme­n.« Ob dieses Szenario droht und sich die AfD-Spitze mit ihrem Vorschlag durchsetzt, wird sich am letzten Novemberwo­chenende in Kalkar zeigen.

»Das AfD-Konzept ist schlicht verfassung­swidrig und würde vor dem Europäisch­en Gerichtsho­f genauso alt aussehen wie Verkehrsmi­nister Andreas Scheuer.« Sozialwiss­enschaftle­r

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Durch das AfD-Grundeinko­mmen bliebe mehr Zeit für urdeutsche Hobbys – allerdings nur, wenn man auch Staatsbürg­er ist.

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