Opposition tritt in Hongkong zurück
Peking schließt vier Politiker aus Parlament aus, weitere folgen
»Ab heute kann Hongkong der Welt nicht mehr erzählen, hier gebe es ›ein Land, zwei Systeme‹.« Dieser Satz, den die demokratische Stadtparlamentsabgeordnete Wu Chi-wai am Mittwoch sagte, hat es in sich. Denn im Prinzip forderte er den drastischen Schritt, der am selben Tag noch folgen sollte. Alle Abgeordneten, die sich als demokratisch bezeichneten, verkündeten ihren Rücktritt aus dem Hongkonger Stadtparlament. Denn das, was gerade geschehen war, war in Wus Augen für eine Volksvertretung schlicht »lächerlich«.
Der Ständige Ausschuss des Nationalen Volkskongresses in Chinas Hauptstadt Peking hatte beschlossen, dass vier oppositionellen Hongkonger Abgeordneten aus dem demokratischen Lager mit unmittelbarer Wirkung die Mandate aberkannt wurden. Zuvor war diesen Politikern – Alvin Yeung Ngok-kiu, Kwok Ka-ki, Dennis Kwok und Kenneth Leung – bereits das Recht abgesprochen worden, in der nächsten Wahl zu kandidieren, die dieses Jahr offiziell wegen der Pandemie verschoben worden war.
Chinas staatliche Nachrichtenagentur begründete den jüngsten Schritt damit, dass Politiker nicht die nationale Sicherheit bedrohen dürften. Wer dies in Zukunft noch tue – sei es mit der Forderung nach Hongkonger Unabhängigkeit oder dem Vorschlag, dass andere Länder Sanktionen gegen China und Hongkong verhängen mögen –, verliere sein Mandat.
Das Argument der nationalen Sicherheit wird in den vergangenen Monaten für viele harsche Schritte verwendet. Seit der Nationale Volkskongress in Peking im Juli das Nationale Sicherheitsgesetz für Hongkong beschloss, stehen dort auf diverse Formen des Dissens hohe Strafen. Kritiker klagen, China breche damit das »Basic Law«, die Hongkonger Verfassung, die den Menschen eigentlich freie Meinungsäußerung zusichert.
»Ab heute kann Hongkong der Welt nicht mehr erzählen, hier gebe es ›ein Land, zwei Systeme‹.« Abgeordneter in Hongkong
Wu Chi-wai
Seit Hongkong im Jahr 1997 nach 99 Jahren unter britischer Herrschaft an China zurückgegeben wurde, sollten auf der Halbinsel für zumindest 50 Jahre fundamentale liberale Rechte gelten. Diese Vereinbarung wird unter dem Schlagwort »ein Land, zwei Systeme« zusammengefasst: Hongkong gehört zwar zu China, wird aber liberal regiert. Doch über die letzten Jahre hat die Regierung in China dieses Prinzip und die demokratischen Strukturen Hongkongs zusehends unterwandert.
Unterdessen ist abzusehen, dass das Hongkong, wie es die Welt bisher kannte, allmählich verschwindet. Mehrere Akademiker haben ihren Rückzug beschlossen. Ausländische Zeitungen haben ihre Büros aus Hongkong wegverlagert. Die USA haben Sanktionen gegenüber Personen und Institutionen verhängt, die bei der Schwächung der Demokratie von Hongkong behilflich sind. Großbritannien hat Hongkonger Bürgern, die noch zu Zeiten der britischen Kolonialherrschaft geboren wurden, ein Visum angeboten.
Insbesondere in der Region um Hongkong gibt es Bemühungen, möglichst viele Firmen und kluge Köpfe aus dem Finanzzentrum anzuwerben. Südkoreas Regierung lockt mit Investitionsanreizen, Japan will ein Paket aus Steuervergünstigungen schnüren. Dagegen kann Taiwan nicht nur mit seinen liberalen Strukturen punkten, sondern auch mit der chinesischen Sprache, die die meisten Hongkonger beherrschen. Zudem hat sich Taiwans Präsidentin Tsai Ing-wen in den letzten Jahren immer wieder solidarisch mit der Hongkonger Demokratiebewegung erklärt.
Generell scheint Taiwan die naheliegendste Destination für viele Hongkonger zu sein, die in ihrer Heimat nicht mehr weiterwissen. Schon im Sommer, kurz nachdem in Hongkong das Nationale Sicherheitsgesetz erlassen worden war, fanden Hunderte Menschen in Taiwan Unterschlupf. Anders als Japan und Südkorea wirbt das Land nicht nur um Bestverdiener und erfolgreiche Unternehmen, sondern nimmt auch Flüchtlinge auf. Zumal aus Hongkong, dessen Menschen mit den Taiwanern das Schicksal teilen, im Visier der chinesischen Expansionspläne zu sitzen.
Dabei bleibt ungewiss, wie stark der Exodus aus Hongkong werden wird. Vielen hängt ihr Herz an der Stadt, nicht wenige wollen erst ausprobieren, ob sie sich auch in einem Ort ohne Meinungsfreiheit einrichten können.