nd.DerTag

Opposition tritt in Hongkong zurück

Peking schließt vier Politiker aus Parlament aus, weitere folgen

- FELIX LILL

»Ab heute kann Hongkong der Welt nicht mehr erzählen, hier gebe es ›ein Land, zwei Systeme‹.« Dieser Satz, den die demokratis­che Stadtparla­mentsabgeo­rdnete Wu Chi-wai am Mittwoch sagte, hat es in sich. Denn im Prinzip forderte er den drastische­n Schritt, der am selben Tag noch folgen sollte. Alle Abgeordnet­en, die sich als demokratis­ch bezeichnet­en, verkündete­n ihren Rücktritt aus dem Hongkonger Stadtparla­ment. Denn das, was gerade geschehen war, war in Wus Augen für eine Volksvertr­etung schlicht »lächerlich«.

Der Ständige Ausschuss des Nationalen Volkskongr­esses in Chinas Hauptstadt Peking hatte beschlosse­n, dass vier opposition­ellen Hongkonger Abgeordnet­en aus dem demokratis­chen Lager mit unmittelba­rer Wirkung die Mandate aberkannt wurden. Zuvor war diesen Politikern – Alvin Yeung Ngok-kiu, Kwok Ka-ki, Dennis Kwok und Kenneth Leung – bereits das Recht abgesproch­en worden, in der nächsten Wahl zu kandidiere­n, die dieses Jahr offiziell wegen der Pandemie verschoben worden war.

Chinas staatliche Nachrichte­nagentur begründete den jüngsten Schritt damit, dass Politiker nicht die nationale Sicherheit bedrohen dürften. Wer dies in Zukunft noch tue – sei es mit der Forderung nach Hongkonger Unabhängig­keit oder dem Vorschlag, dass andere Länder Sanktionen gegen China und Hongkong verhängen mögen –, verliere sein Mandat.

Das Argument der nationalen Sicherheit wird in den vergangene­n Monaten für viele harsche Schritte verwendet. Seit der Nationale Volkskongr­ess in Peking im Juli das Nationale Sicherheit­sgesetz für Hongkong beschloss, stehen dort auf diverse Formen des Dissens hohe Strafen. Kritiker klagen, China breche damit das »Basic Law«, die Hongkonger Verfassung, die den Menschen eigentlich freie Meinungsäu­ßerung zusichert.

»Ab heute kann Hongkong der Welt nicht mehr erzählen, hier gebe es ›ein Land, zwei Systeme‹.« Abgeordnet­er in Hongkong

Wu Chi-wai

Seit Hongkong im Jahr 1997 nach 99 Jahren unter britischer Herrschaft an China zurückgege­ben wurde, sollten auf der Halbinsel für zumindest 50 Jahre fundamenta­le liberale Rechte gelten. Diese Vereinbaru­ng wird unter dem Schlagwort »ein Land, zwei Systeme« zusammenge­fasst: Hongkong gehört zwar zu China, wird aber liberal regiert. Doch über die letzten Jahre hat die Regierung in China dieses Prinzip und die demokratis­chen Strukturen Hongkongs zusehends unterwande­rt.

Unterdesse­n ist abzusehen, dass das Hongkong, wie es die Welt bisher kannte, allmählich verschwind­et. Mehrere Akademiker haben ihren Rückzug beschlosse­n. Ausländisc­he Zeitungen haben ihre Büros aus Hongkong wegverlage­rt. Die USA haben Sanktionen gegenüber Personen und Institutio­nen verhängt, die bei der Schwächung der Demokratie von Hongkong behilflich sind. Großbritan­nien hat Hongkonger Bürgern, die noch zu Zeiten der britischen Kolonialhe­rrschaft geboren wurden, ein Visum angeboten.

Insbesonde­re in der Region um Hongkong gibt es Bemühungen, möglichst viele Firmen und kluge Köpfe aus dem Finanzzent­rum anzuwerben. Südkoreas Regierung lockt mit Investitio­nsanreizen, Japan will ein Paket aus Steuerverg­ünstigunge­n schnüren. Dagegen kann Taiwan nicht nur mit seinen liberalen Strukturen punkten, sondern auch mit der chinesisch­en Sprache, die die meisten Hongkonger beherrsche­n. Zudem hat sich Taiwans Präsidenti­n Tsai Ing-wen in den letzten Jahren immer wieder solidarisc­h mit der Hongkonger Demokratie­bewegung erklärt.

Generell scheint Taiwan die naheliegen­dste Destinatio­n für viele Hongkonger zu sein, die in ihrer Heimat nicht mehr weiterwiss­en. Schon im Sommer, kurz nachdem in Hongkong das Nationale Sicherheit­sgesetz erlassen worden war, fanden Hunderte Menschen in Taiwan Unterschlu­pf. Anders als Japan und Südkorea wirbt das Land nicht nur um Bestverdie­ner und erfolgreic­he Unternehme­n, sondern nimmt auch Flüchtling­e auf. Zumal aus Hongkong, dessen Menschen mit den Taiwanern das Schicksal teilen, im Visier der chinesisch­en Expansions­pläne zu sitzen.

Dabei bleibt ungewiss, wie stark der Exodus aus Hongkong werden wird. Vielen hängt ihr Herz an der Stadt, nicht wenige wollen erst ausprobier­en, ob sie sich auch in einem Ort ohne Meinungsfr­eiheit einrichten können.

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