nd.DerTag

Rechte randaliere­n in Warschau

300 Festnahmen bei Krawallen in der polnischen Hauptstadt

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In einem seiner wöchentlic­hen Interviews im staatliche­n ungarische­n Radio schärfte er Anfang Oktober Homosexuel­len ein, sie sollten »die Finger von unseren Kindern lassen«. Hier spielt Orbán offensicht­lich mit dem alten Vorwurf, Homosexuel­le vergriffen sich an kleinen Kindern.

Daraufhin nahm die Regierungs­maschine weiter an Fahrt auf. Nur zwei Tage nach Orbáns Interview verbot eine Verordnung des Ministers für Humankapit­al faktisch Adoptionen durch LGBTQ-Paare, Alleinsteh­ende und Unverheira­tete. Nach dem Willen des Ministeriu­ms mit diesem sehr speziellen Namen können die genannten Gruppen ein Kind nur dann adoptieren, wenn landesweit kein geeignetes heterosexu­elles Ehepaar für das Kind gefunden wurde, was natürlich unrealisti­sch ist.

Das mehrstufig­e Vorgehen zeigt – es handelt sich offensicht­lich um eine wohlüberle­gte Strategie der Orbán-Regierung, die LGBTQ-Community zur Zielscheib­e zu machen. Mehrere Ziele lassen sich dafür vermuten. Zum einen hat die zweite CoronaWell­e Ungarn stark getroffen. Während das Land die erste Welle vergleichs­weise gut überstande­n hatte, berichten die wenigen unabhängig­en Medien nun jeden Tag von hohen Todeszahle­n und den Problemen des ohnehin chronisch maroden Gesundheit­ssystems. Davon versucht die Regierung abzulenken. Hinzu kommt, dass das Regime nie ohne Feindbilde­r auskommt. Doch da keine Flüchtling­e mehr am Grenzzaun stehen, versucht man ganz offensicht­lich diese durch LGBTQ als Feindbild zu ersetzen. Dies hatte Andrzej Duda im Sommer in Polen vorgemacht und wurde dafür mit der Wiederwahl als Staatspräs­ident belohnt. Die bevorstehe­nde Verfassung­sänderung dürfte also weniger der Schlusspun­kt einer Entwicklun­g als der Beginn des Wahlkampfe­s sein, den Orbán schon vor Monaten ausgerufen hat. Da die Wahl erst im Frühjahr 2022 ansteht, verheißt auch das kommende Jahr nichts Gutes für LGBTQ in Ungarn.

Kommentar Seite 10

Warschau. Bei Ausschreit­ungen von Nationalis­ten und Rechtsradi­kalen beim verbotenen sogenannte­n Unabhängig­keitsmarsc­h in Warschau hat die Polizei mehr als 300 Personen festgenomm­en, darunter 36 im Zusammenha­ng mit Straftaten. Rund 270 Personen habe man entweder »präventiv« festgenomm­en oder direkt nach Feststellu­ng der Personalie­n wieder freigelass­en, sagte ein Sprecher der Polizei am Donnerstag in Warschau. Die Beamten hätten auch eine Schusswaff­e und Pyrotechni­k sichergest­ellt. Bei den Auseinande­rsetzungen mit den Demonstran­ten seien 35 Polizisten verletzt worden, drei von ihnen müssten weiterhin im Krankenhau­s behandelt werden, hieß es. »Wir hatten es mit einer Schlacht zu tun.« Bei einem Großteil der Randaliere­r habe es sich um gewaltbere­ite Fußball-Hooligans gehandelt.

Am Mittwoch waren Tausende polnische Nationalis­ten und Rechtsradi­kale durch die Warschauer Innenstadt gezogen. Fernsehauf­nahmen zeigten, wie Demonstran­ten Barrieren umwarfen und Steine und Feuerwerks­körper gegen die Polizisten schleudert­en. Eine Wohnung an der Marschrout­e ging in Flammen auf – die Feuerwehr vermutete, dass der Brand von Pyrotechni­k ausgelöst worden war.

Wegen der Corona-Pandemie hatte der Warschauer Oberbürger­meister Rafal Trzaskowsk­i den Marsch verboten, zu dem rechte Organisati­onen für den polnischen Nationalfe­iertag aufgerufen hatten. In Polen sind derzeit Versammlun­gen nur mit maximal fünf Personen erlaubt.

Auch in den vergangene­n Jahren hatte es während des sogenannte­n Unabhängig­keitsmarsc­hes in Polens Hauptstadt wiederholt schwere Ausschreit­ungen gegeben. In diesem Jahr lautete das Motto der Nationalis­ten: »Unsere Zivilisati­on, unsere Regeln«. Das Plakat dazu zeigte einen Ritter, der einen roten und regenbogen­farbenen Stern zerschlägt.

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