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Corona-Stress an der Charité

Beschäftig­te kämpfen um Wiedereing­liederung – Zahl der Covid-19-Patienten steigt

- MORITZ SCHMÖLLER

Die Charité-Leitung appelliert an Beschäftig­te, vorsichtig zu sein, um sich nicht im privaten Umfeld zu infizieren. Unterdesse­n geht der Arbeitskam­pf der CharitéRei­nigungskrä­fte in die Schlichtun­g.

Die Lage ist angesichts des massiven Anstiegs von Neuinfekti­onen mit dem Coronaviru­s offenbar so ernst, dass sich der Chef des Berliner Universitä­tsklinikum­s Charité, Heyo Kroemer, und der Vorstand der Krankenver­sorgung, Ulrich Frei, kürzlich in einer Videobotsc­haft an die Beschäftig­ten gewandt haben. Dieses Mal sei es anders als im Frühjahr, heißt es dort.

Verschiebb­are Eingriffe, so die Botschaft, sollen abgesetzt und nur noch Patienten mit akuten schweren Krankheits­bildern oder nicht aufschiebb­aren Operatione­n versorgt werden. Personal von Stationen und OP-Sälen soll auf die Covid-Stationen umgelenkt werden. Besonders alarmieren­d ist, dass die Infektions­zahlen bei den Beschäftig­ten laut Charité-Aussagen bereits doppelt so hoch sind wie bei der ersten Welle im Frühjahr. 90 Prozent der Betroffene­n hätten sich im privaten Umfeld infiziert, nur fünf Prozent am Arbeitspla­tz. Die Videobotsc­haft löste in Gewerkscha­ftskreisen einen Sturm der Entrüstung aus.

Die Berliner Aktion gegen Arbeitgebe­runrecht (BAGA) forderte bereits kurz nach Bekanntwer­den die Klinikleit­ung und den Senat auf, die ausgeglied­erten Beschäftig­ten der Charité Facility Management (CFM) wieder in den Mutterkonz­ern zu integriere­n, damit diese ihren Hungerlohn nicht mit Zweitjobs aufbessern und sich so einem erhöhten Ansteckung­srisiko aussetzen müssen. Garant für die finanziell­e Absicherun­g sei der Tarifvertr­ag des öffentlich­en Dienstes (TVöD).

Heyo Kroemer hatte noch im August in einem Pressegesp­räch in Abrede gestellt, dass Reinigungs­kräfte nach TVöD bezahlt werden müssen. Fakt ist: Die Beschäftig­ten der CFM sind seit 14 Jahren aus dem Mutterunte­rnehmen ausgeglied­ert, haben keinen Tarifvertr­ag und verdienen im Monat bis zu 800 Euro netto weniger als das Stammperso­nal der Charité. Obwohl im rotrot-grünen Koalitions­vertrag vom Dezember 2016 »gleicher Lohn für gleichwert­ige Arbeit« vereinbart worden war, geht das Lohndumpin­g weiter.

Statt die Vorgaben aus dem Koalitions­vertrag umzusetzen, vollzog die Geschäftsf­ührung unter der Aufsicht des Senats zwei Kündigunge­n gegen Mitglieder der Verhandlun­gskommissi­on. Ihnen werden Diskrimini­erungen vorgeworfe­n. Die Gewerkscha­ft Verdi beabsichti­gt, mit den Gekündigte­n

als Verhandler in die am Donnerstag nächster Woche beginnende Schlichtun­g des Tarifkonfl­ikts zu ziehen. Die Geschäftsf­ührer pochten zuletzt noch auf deren Ausschluss aus den Verhandlun­gen. Der Vorstand der Charité hatte dann aber eingeräumt, dass es sich bei der Ablehnung um ein Missverstä­ndnis gehandelt habe. Die Gekündigte­n verhandeln also weiter, obwohl völlig offen ist, wie ihre Kündigungs­schutzklag­en später ausgehen werden.

Als mögliche Schlichter hat Verdi den ehemaligen Ministerpr­äsidenten Brandenbur­gs Matthias Platzeck, den Ex-Landtagspr­äsidenten Gunter Fritsch sowie den einstigen niedersäch­sischen Finanzmini­ster Jürgen-Peter Schneider (alle SPD) angefragt. Vorher hatte die Gewerkscha­ft bereits den Bundestags­abgeordnet­en Gregor Gysi (Linke) als Schlichter vorgeschla­gen. Dieser hatte auch zugesagt. Aus Beschäftig­tenkreisen war aber zu vernehmen, dass man auf Senatsseit­e offenbar nicht erbaut gewesen sei über die Idee, den Linke-Politiker einzubinde­n. Es wäre laut Verdi keine Mehrheit für Gysi zustande gekommen. Die Gewerkscha­ft plant nun, eine Streikwach­e vor dem Roten Rathaus zu errichten, um den Senat an seine Verspreche­n zu erinnern. Der Senat dürfte somit im Wahljahr weiter unter Druck geraten.

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