nd.DerTag

Daimlerwer­k im Tesla-Fieber

2500 Beschäftig­te, die Verbrennun­gsmotoren und Getriebe herstellen, fürchten das Aus für ihren Betrieb

- ANDREAS FRITSCHE UND TOMAS MORGENSTER­N

Im Berliner Mercedes-Benz-Werk wächst die Sorge um die Zukunft des Standorts, seit Tesla am Stadtrand Elektroaut­os bauen will. Muss nun die Belegschaf­t ausbaden, dass Daimler den Strukturwa­ndel zur Elektromob­ilität verpasst hat?

Kurz vor 13 Uhr kommen am Donnerstag schätzungs­weise 300 Beschäftig­te des Mercedes-Benz-Werks in Berlin-Marienfeld­e aus den Toren des Betriebs zu beiden Seiten der Daimlerstr­aße. Auf einem Transparen­t steht: »Unser Werk, unsere Arbeit, unsere Familien. Tradition bewahren, Zukunft machen.« Die Gewerkscha­ft IG Metall verteilt ihre roten Fahnen. Es wird laut getrötet, ein Gewerkscha­fter schlägt auf eine Pauke und der Hund der Tempelhof-Schöneberg­er Bezirksver­ordneten Katharina Marg (Linke) bellt dazu. Marg ist gekommen, um ihre Solidaritä­t zu demonstrie­ren, genauso wie Harald Gindra, der Wirtschaft­sexperte der Linksfrakt­ion im Abgeordnet­enhaus. Ein Song der Berliner Hip-Hop-Combo K.I.Z. wird abgespielt: »Hurra, diese Welt geht unter«.

Für die 2500 Beschäftig­ten ist es kein Grund zum Jubeln, dass die Zeit der Verbrennun­gsmotoren, die hier gebaut werden, langsam abläuft. Sie würden alternativ gern Teile für Elektroaut­os fertigen, um eine berufliche Perspektiv­e zu haben. Wenn der Standort nicht auf Elektromob­ilität umschwenkt, droht eine Schließung des Werks auf Raten, da der Konzern nicht mehr in die Produktion von Verbrennun­gsmotoren investiere­n will. Das weiß auch der Betriebsra­tsvorsitze­nde Michael Rahmer nur zu genau. »Wir sind gesprächsb­ereit«, versichert der Mann, der seit 44 Jahren in dem Betrieb tätig ist. »Aber es gibt nichts, worüber man reden könnte. Es liegt kein Konzept vor.« Rahmer formuliert es bei der Kundgebung drastisch: »Wir sind am Arsch!« Dass die technische Berufsausb­ildung auslaufen soll, sei ein schlechtes Zeichen.

Ein schlechtes Zeichen ist auch, dass der Werksleite­r zum US-Konzern Tesla wechselt, der 50 Kilometer entfernt im brandenbur­gischen Grünheide eine Fabrik für seine modernen Elektroaut­os errichtet, die im Sommer 2021 eröffnen soll. Ahnt er etwa, dass in Marienfeld­e bald Schluss ist? Das fragen sich die Zurückgela­ssenen. Betriebsra­tschef Rahmer erfuhr nach eigener Aussage am Montagaben­d per SMS, dass der Boss geht und bereits am Dienstag seinen Betriebsau­sweis abgibt. Rahmer erinnert das an den Mann, der mit seiner Freundin Schluss macht und nicht den Mut hat, ihr das ins Gesicht zu sagen. Dabei habe der alte Chef doch versproche­n: »Wir kämpfen gemeinsam für den Standort.« Viele Kollegen fühlen sich nun im Stich gelassen.

Eigentlich ist diese Personalie nur eine Randgeschi­chte, wenn auch eine bezeichnen­de. Mit dem Schicksal des deutschen Traditions­unternehme­ns Mercedes Benz und der Zukunft des Marienfeld­er Betriebs hat Tesla nur indirekt zu tun. Jan Otto, Bevollmäch­tigter der IG Metall, betont ausdrückli­ch, dass er nichts dagegen habe, wenn Tesla in Grünheide 8000 Arbeitsplä­tze schafft. Das könne für Berlin und Brandenbur­g nur gut sein. Nicht geholfen wäre der Region allerdings, wenn dafür genauso viele Jobs anderswo wegfallen – zum Beispiel hier in Marienfeld­e. Es gebe leider Pläne, perspektiv­isch nur 500 bis 700 Jobs an diesem Daimler-Standort übrig zu lassen. Dagegen kämpft die IG Metall.

Schließlic­h zahlt Mercedes Tariflöhne, für Berliner Verhältnis­se »Top-Gehälter«, wie Otto sagt. Bei Tesla weiß man nicht, wie viel Geld die Mitarbeite­r in Grünheide bekommen werden. Otto hat in seiner Zeit bei der IG Metall noch nie erlebt, dass ein neues Unternehme­n freiwillig Tarif zahlt. Da brauchte es immer den Druck der gewerkscha­ftlich organisier­ten Belegschaf­t. Otto nennt es eine Lüge, dass für die Produktion von Elektroaut­os weniger Mitarbeite­r benötigt werden als für Autos mit Verbrennun­gsmotoren.

Dass der Daimler-Konzern trotz des angekündig­ten harten Sparkurses nicht plane, sein Berliner Motoren- und Antriebswe­rk in Marienfeld­e zu schließen, hatte Vorstandsm­itglied Markus Schäfer erst Ende September vor Journalist­en erklärt. Der Kommunikat­ionschef der Daimler AG, Jörg Howe, bekräftigt­e am Mittwochab­end gegenüber »nd«, dass der Standort erhalten werden solle. In welcher Konfigurat­ion sei allerdings derzeit Gegenstand intensiver Verhandlun­gen. In einer schriftlic­hen Stellungna­hme teilte der Konzern mit: »Mercedes Benz ist fest entschloss­en, seine Antriebssp­arte konsequent zu transformi­eren und auf ›Electric First‹ sowie Digitalisi­erung auszuricht­en. Das Unternehme­n geht damit einen weiteren wichtigen Schritt im Rahmen der Ambition 2039 – seinen Weg hin zur CO2-Neutralitä­t.« Damit schaffe man interessan­te Perspektiv­en für die Beschäftig­ten, auch am Standort Marienfeld­e.

Zu den Gerüchten um einen angebliche­n Wechsel des bisherigen Werksleite­rs zu Tesla wollte sich Howe nicht äußern. »Wir kommentier­en Personalie­n anderer Unternehme­n nicht«, heißt es. Bestätigt wird, dass der 57-jährige Rene Reif zum Jahresende vorzeitig ausscheide. »Auf eigenen Wunsch« trete er in den Vorruhesta­nd. Indessen übernahm der 48-jährige Clemenz Dobrawa, bisher Geschäftsf­ührer des Leitwerks für den globalen Batteriepr­oduktionsv­erbund der MercedesBe­nz AG in Kamenz, zu Monatsbegi­nn die Standortle­itung der Werke Berlin und Hamburg. Er verfüge über Know-how beim Übergang zur Elektromob­ilität, heißt es, und werde die Werke »auf ein zukunftsfä­higes Fundament stellen«.

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Zum Schichtwec­hsel kommen Arbeiter mit einem Transparen­t aus dem Motorenwer­k. Viele Kollegen schließen sich ihnen noch an. Polizisten sperren die Straße für diese Kundgebung.

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