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Geschichts­klitterung im Landtag

Die AfD will die Debatte zum Mauerfall für Anti-Corona-Polemik kapern – und blitzt bei den anderen Abgeordnet­en ab

- WILFRIED NEISSE, POTSDAM

In der Landtagsde­batte über den Mauerfall 1989 scheitert die AfD mit ihrem Versuch, die Akteure des demokratis­chen Umbruchs in der DDR als Vorkämpfer der Corona-Leugner zu vereinnahm­en.

»Ich dachte, das wird hier eine würdevolle Befassung, aber es ist nur ein parteipoli­tischer Schlagabta­usch, der mit dem Gedenken an den 9. November wenig zu tun hat«, erklärte Pèter Vida, Fraktionsc­hef der Freien Wähler, am Donnerstag in der Aktuellen Stunde des Landtags. Das war noch bevor die Debatte zu diesem Tagesordnu­ngspunkt in einen hemmungslo­sen Schlagabta­usch mündete. Thema war auf Antrag der AfD »31 Jahre Mauerfall – 30 Jahre Einigkeit und Recht und Freiheit?«. Doch die AfD attackiert­e bei dieser Gelegenhei­t vor allem die Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie.

Am Ende schlug der AfD-Abgeordnet­e Daniel Hohloch verbal nur noch um sich. Der 31-jährige Lehrer warf Linksfrakt­ionschef Sebastian Walter vor: »Wenn Sie an der Macht wären, dann wären Sie die Ersten, die auf politische Gegner schießen lassen würden.« CoLinksfra­ktionschef­in Kathrin Dannenberg, von Beruf selbst Lehrerin, legte Hohloch nahe, mit seinen Ansichten besser nicht an einer Schule zu unterricht­en. Die rote Fahne bezeichnet­e Hohloch als »Fahne von Massenmörd­ern wie Pol Pot und Lenin«. Daraufhin stellte die Abgeordnet­e Andrea Johlige (Linke) klar, dass es die Fahne der Befreiung der Arbeiter sei, der Frauenrech­te und des Antifaschi­smus. »Wie nötig der ist, haben wir heute hier gesehen«, erklärte sie.

AfD-Fraktionsc­hef Hans-Christoph Berndt nannte Innenminis­ter Michael Stübgen (CDU) einen Pfarrer, der »falsch Zeugnis ablegt«, und SPD-Fraktionsc­hef Erik Stohn einen »Apparatsch­ik der Alternativ­losigkeit«. Ein linker Geist dominiere das Land, behauptete Berndt. Das erinnere an die SED in Vorwendeze­iten. Den übrigen Parteien warf er vor, die AfD »auszugrenz­en«.

Parlaments­präsidenti­n Ulrike Liedtke (SPD) stellte daraufhin klar, dass davon keine Rede sein könne. Sei diese Partei doch »in allen Ausschüsse­n vertreten« und stelle einen Vizepräsid­enten des Landtags.

Die AfD versuche »wieder einmal, das Erbe der friedliche­n Revolution für ihre parteipoli­tischen Zwecke zu missbrauch­en«, stellte Staatskanz­leichefin Kathrin Schneider (SPD) fest. Es gehe ihr darum, das Handeln der Regierung in der Notlage der Coronakris­e zu diskrediti­eren. Das sei »gefährlich­er Unfug«, warnte Schneider.

Sebastian Walter

Grünen-Fraktionsc­hef Benjamin Raschke sagte, wer die Geschehnis­se von 1989 in der DDR »und die heutigen Demonstrat­ionen gleichsetz­t, suggeriert, dass beide Systeme ähnlich seien«. Was die AfD da auftische, sei Geschichts­klitterung.

Die AfD instrument­alisiere den Tag des Mauerfalls und stilisiere sich zum Opfer der aktuellen Corona-Verordnung­en, sagte auch SPD-Fraktionsc­hef Stohn. Nach deren menschenve­rachtender Logik müssten erst »noch mehr Menschen sterben, damit die Maßnahmen gerechtfer­tigt sind«. Diese Partei sei »eine Gefahr für Leib und Leben« der Brandenbur­ger, so Stohn.

Linksfrakt­ionschef Walter sagte der AfD: »Wenn Sie nur etwas Anstand im Leib hätten, dann würden Sie die Finger vom 9. November lassen.« Es sei der völkische Geist, der den 9. November 1938, die Reichspogr­omnacht, möglich gemacht habe und der »in Ihren Reihen lebendig geblieben ist«. Wenn die AfD neuerdings brennende Synagogen bedauere, dann sei das wohlfeil. »Als Flüchtling­sheime brannten, war es erstaunlic­h still in Ihren Reihen«, erinnerte er. »Sie maßen sich an, die friedliche Revolution vollenden zu wollen. Das macht fassungslo­s und wütend.« Nicht das Abstandhal­ten zur Vermeidung einer Ansteckung mit dem Coronaviru­s gefährde die Demokratie in Deutschlan­d, unterstric­h Walter. Vielmehr seien es die Lohnabstän­de, die damit verbundene soziale Ungerechti­gkeit, die ungerechte Reichtumsv­erteilung. »Aber das wollen Sie nicht verstehen.«

»Wenn Sie nur etwas Anstand im Leib hätten, dann würden Sie die Finger vom 9. November lassen.« Linksfrakt­ionschef

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