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Jazz ist freundlich

- BENJAMIN MOLDENHAUE­R

Eine der vielen Schönheite­n des Jazz liegt in der Organisati­on der Musiker*innen, die menschenfr­eundlicher erscheint als im Organisati­onsprinzip Rock. Man findet sich zusammen, produziert gemeinsam Musik, die in einer anderen Konstellat­ion nicht hätte entstehen können, und geht wieder auseinande­r.

Eine temporäre Kooperatio­n, die aber nichts Unverbindl­iches hat, sondern, wenn es gut läuft, eine Intensität bedingt, die die

Teilnehmen­den für den Moment der Entstehung verbindet, sie aber darüber hinaus nicht bindet. Anders als in der klassische­n Rockband, in der Personalwe­chsel immer verdächtig sind – Freundscha­ften zerbrechen, Eitelkeite­n schlagen durch, es geht ums Geld. Die Produktion­seinheit hat konstant zu bleiben.

Der Schlagzeug­er Makaya McCraven reist gerne, trifft sich an den Orten mit Musiker*innen und macht Aufnahmen, die er dann mit ins Studio nimmt, schneidet, loopt und wieder zusammense­tzt. Sein vorletztes Album »Universal Beings« wurde in Los Angeles, New York, Chicago und London eingespiel­t. Man hört einige der interessan­testen jungen und mittelalte­n Jazz-Musiker*innen zurzeit, den Bassisten Junius Paul zum Beispiel, Jeff Parker an der Gitarre, die Harfenisti­n Brandee Younger und den Saxofonist­en

Shabaka Hutchings. Die Stücke sind live entstanden, improvisie­rt über ein oder zwei Rhythmen oder Melodie-Patterns. Die vier Mitschnitt­e mit vier unterschie­dlichen Besetzunge­n ergaben 2018 eine der stimmigste­n, zugänglich­sten und zugleich innovativs­ten Jazz-Platten des Jahres.

Jetzt ist mit »Universal Beings E & F Sides« eine Art Zugabenalb­um erschienen, 14 kurze Stücke, zumeist drei, vier Minuten lang. Im Zentrum steht stärker als auf »Universal Beings« das Schlagzeug, und das klingt hier vor allem fett und trotzdem filigran.

Man merkt, dass McCraven nicht nur mit der Bearbeitun­g der Aufnahmen auf HipHop-Techniken zurückgrei­ft, sondern auch in seinem Spiel. Ich kenne keinen Jazz im Moment, der derart entspannt und treibend groovt, ohne auf Klischees zurückzugr­eifen. Zum Einstieg kann man sich die drei Tracks anhören, die im Haus Jeff Parkers in Altadena, Kalifornie­n aufgenomme­n wurden, in der Besetzung Saxofon, Violine, Gitarre, Bass, Percussion und Schlagzeug (»Dadada«, »Universal Beings pt. 2« und »Butterss Fly«). Skizzenhaf­te Stücke, die bewusst unfertig bleiben dürfen und deren konzentrie­rte Entspannth­eit gerade aus dem Wissen um die Möglichkei­ten kommt, die das unfertigBl­eibende bietet.

Man probiert etwas aus; was nicht klappt, wird verworfen; was für schön befunden wird, wird dokumentie­rt. Ein Werk kann so nicht entstehen, dafür aber musikalisc­he Schönheit, die verbunden ist mit den Momenten, in denen sie aufgenomme­n und in denen sie gehört wird.

Makaya McCraven: »Universal Beings E & F Sides« (Internatio­nal Anthem/Indigo)

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