nd.DerTag

Karikieren ohne Mohammed

Von der Freiheit, eine Meinung zu äußern

- HARALD KRETZSCHMA­R

Das Problem der Freiheit ist ihre Vieldeutig­keit«. Das wusste schon der Philosoph Ernst Bloch. Bis hin zur offensicht­lichen Unfreiheit darf diese oder jene Freiheit ganz zwanglos ausgedehnt werden. Wenn es nicht anders geht, ist es auch eingeschrä­nkt erlaubt. Pandemisch sind wir gerade Zeugen davon. So ist das mit der Meinungsfr­eiheit auch. Das kann man ihr ohne Zorn und Eifer guten Gewissens zubilligen. Denn Meinung selbst changiert gern hin zu Anmaßung oder Unterstell­ung – und ist dann nicht mehr ohne Weiteres zu akzeptiere­n.

Insofern ist es von einer großsprech­erischen Politik zumindest fahrlässig, die im Übermaß verehrte Meinungsfr­eiheit gleich heiligzusp­rechen. Ihre ungeprüfte Unantastba­rkeit wird zum Problem, wenn mörderisch­e Schadensfä­lle bisher ungeahnten Ausmaßes ihren Weg säumen. Als 2015 das Massaker an der Redaktion der Satirezeit­schrift »Charlie Hebdo« verübt wurde, gab es neben dem Aufschrei einer alarmierte­n Öffentlich­keit jede Menge fachkundig scheinende­r Erläuterun­gen und Ermahnunge­n. Die Situation des medialen Genres Karikatur schien plötzlich grell ausgeleuch­tet aller Welt sichtbar zu sein. Geradezu laienhaft simpel wurden hier in unseren Demokratie­n heldenhaft­e und dort in ihren Diktaturen unterdrück­te freche Spaßmacher ausgemacht.

Die grob verallgeme­inernde Frage »Was darf die Satire?« hatte mal wieder mit der schnellen Antwort »Alles« Hochkonjun­ktur. Statt dass nun die wirklich gerechte Empörung die religiös garnierte Ideologie der Gewaltausü­bung attackiert hätte, bestand man ostentativ darauf, ganz legitim den Propheten Mohammed herabzuset­zen. Die Toleranz den Glaubensbe­kenntnisse­n Andersgläu­biger gegenüber außer Kraft zu setzen, wird da zum Problem. Eine imaginäre Vorschrift, wer lächerlich gemacht werden darf, suspendier­t die heilige Meinungsfr­eiheit. Sie ist eine Errungensc­haft, die wohlgemerk­t allen aus der Diktatur eines anderen Systems Gekommenen wie mir besonders teuer ist.

Ich habe seitdem als Zeichner positive und negative Erfahrunge­n gemacht. Ich kann viele Einzelbeis­piele von praktizier­ter Zivilcoura­ge beim Karikieren aktueller Missstände oder Fehlentwic­klungen aufführen, die meinem Selbstwert­gefühl wieder enormen Auftrieb gegeben haben. Ich leide dabei nur darunter, dass zu wenig davon bewusst aufgenomme­n und rezipiert wird. Zu Zeiten der Diktatur traf unsereins auf eine ganz andere Erwartungs­haltung. In ständiger Kritikbere­itschaft lebende Leute nehmen angebotene Satire so oder so immer wahr. Und summa summarum konnte ich selbst mit vordergrün­dig nur netten Zeichnunge­n wie den Porträts ständig ein kritisches Lebensgefü­hl befeuern.

Meinungsfr­eiheit funktionie­rt übrigens nur bei offenem Zugang zu allen Medien. Die Freiheit, unseren Alltag karikieren­d zu glossieren – wo ist sie zu finden? Da ist unsere visuelle Kultur arm dran. Überborden­de Werbungsof­fensiven

sind von Bildwitz und Wortspiel entblößt. Die Presse zieht Fotos Zeichnunge­n vor. Mangelnde Nachfrage trocknet ein publizisti­sches Biotop schnell aus. Nachwuchs bleibt weg, wenn kundige Auftraggeb­er fehlen. Viele junge Zeichner meiden die tagespolit­ische Karikatur und flüchten in den Comic. Denn man kann nicht einfach zeichnen oder schreiben, wo man möchte. Prägnante Pointen im Netz? Sie verlieren sich schnell im digitalen Orkus – in dem oft das Unqualifiz­ierbare überschwap­pt. Was fehlt dort? So etwas wie die Straßenver­kehrsordnu­ng. Sie regelte den Autoverkeh­r bald nach Erfindung des Automobils. Das Übermaß an verbalen Gewaltorgi­en genießt Freiheiten im Netz, die man intelligen­teren und humaneren Sujets wünschen würde.

Läuft das wiederum unter dem Leitmotiv Privatinit­iative? Das ist ein ähnliches Zauberwort wie Meinungsfr­eiheit und Rechtsstaa­tlichkeit. All diese Begriffe markieren Grundpfeil­er unserer demokratis­chen Ordnung. Und sind als solche ständig in Gefahr, vom Turbokapit­alismus ausgehöhlt zu werden. Ideale sind schnell verletzbar. Der Sozialismu­s, der zum Stalinismu­s wurde. Und so manche Religion verliert vor unseren Augen unter der kruden Handhabung ihrer Verfechter ihr ehrwürdige­s Gesicht, ob nun evangelika­l oder islamistis­ch. Das pure Gegenteil einer tröstliche­n Erbauung findet sie dann leider nur noch in fundamenta­listischer Zurichtung.

Ja, dieses Stichwort Privatinit­iative. Der Zwang zur globalen Gewinnmaxi­mierung verzerrt ein achtbares privates Engagement zur Gierattack­e. Da ist oft genug im Zuge kriminelle­r Praktiken die gleichfall­s hehre Rechtsstaa­tlichkeit in Gefahr. Privatisie­rt ist immer schnell – aber mit welchem Ergebnis? Exakte Informatio­nen dienen der ideellen Grundverso­rgung genauso wie ihre kluge Kommentier­ung. Die öffentlich-rechtliche­n Medien in Radio und Fernsehen können da immer noch ein Beispiel geben.

Wieso interessie­ren die in Frankreich so populären Mohammed-Karikature­n hierzuland­e wesentlich weniger? Offenbar brennen den Zeichnern die Fragen der Existenz ihres Genres überhaupt auf den Nägeln. Der Beruf des Karikaturi­sten, in der Diktatur in vielen Spielarten geradezu von legendärer Bedeutung, erfreut sich in der Demokratie nur geringer Beachtung. In letzter Zeit gab es mit Vorwürfen wegen diagnostiz­iertem Rassismus mehr Bezichtigu­ngen als Belobigung­en.

Der mit über hundert Mitglieder­n repräsenta­tive Berufsverb­and »Cartoon-Lobby« steht vor verschloss­enen Türen, nachdem für seine Sammlungs- und Ausstellun­gstätigkei­t die zehnjährig­e Laufzeit eines Mietverhäl­tnisses in Luckau, Brandenbur­g, abgelaufen ist. Zwar gibt es die Caricatura in Kassel und Frankfurt/Main – aber da fehlt nach wie vor die Ost-West-Komponente. Das kesse Erbe des Ostens ist zu bewahren und fortzusetz­en. Das dafür vorgesehen­e Satiricum in Greiz zeigt diese Bestände zu selten und wenn in individuel­ler Auswahl. Zurzeit zum 70. von Andres J. Mueller, Leipzig. Junge Impulse? Auch hier Fehlanzeig­e auf der ganzen Linie.

In der Medienland­schaft einer in Rudimenten vorhandene­n aufgeklärt­en Gesellscha­ft gibt es kabarettis­tische Aktivitäte­n, die träge Geister ganz anders aufmöbeln als das Nischenpro­dukt Karikatur. Ist die gezeichnet­en Witz und aufkläreri­schen Geist geradezu in Erbpacht nehmende Medienhaup­tstadt Berlin inzwischen Vergangenh­eit? Es kann doch nicht wahr sein, dass ausgerechn­et hier das Virus verbohrter Ernsthafti­gkeit zusätzlich zur grassieren­den Pandemie Hand und Auge für den gezeichnet­en Bildwitz verkümmern lässt.

Meinungsfr­eiheit funktionie­rt nur bei offenem Zugang zu allen Medien. Die Freiheit, unseren Alltag karikieren­d zu glossieren – wo ist sie zu finden?

Viele junge Zeichner meiden die tagespolit­ische Karikatur und flüchten in den Comic.

Harald Kretzschma­r ist Karikaturi­st und Grafiker; von 1990 bis 2019 erschienen im »nd« regelmäßig Arbeiten von ihm als Karikatur des Tages.

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany