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»Kaum zu ertragen«

Dem ZDF hat die Hufeisenth­eorie kein Glück gebracht – es ist beim Vergleich des Extremismu­s von links und rechts gescheiter­t

- BIRTHE BERGHÖFER

»Lässt sich Extremismu­s vergleiche­n, und wenn ja, welcher Extremismu­s ist gefährlich­er?« Das hat es gewagt, sich dem höchst umstritten­en Vergleich von Rechtsund Linksextre­mismus zu widmen. Stimmen im Netz zufolge ist die 45-minütige Dokumentat­ion »Deutschlan­d extrem – Extremismu­s von links und rechts« von ZDFinfo allerdings »kaum zu ertragen«.

Das liegt vor allem an der sogenannte­n Hufeisenth­eorie, die von einer »guten« Mitte der Gesellscha­ft ausgeht, zwischen den zwei »bösen« Polen Links- und Rechtsextr­emismus. Sie bildet die Grundlage der Doku,

ZDF

der – schaut man sich die Kritik an dieser Extremismu­stheorie an – schnell jegliche Grundlage abhandenko­mmt. »Eine der denkfaulst­en Konstrukti­onen der Politikwis­senschaft«, nannte etwa Politikwis­senschaftl­erin die Theorie auf Twitter und erklärte: »Den beiden Extremen werden Wesensmerk­male angedichte­t, die die Unterschie­de irrelevant machen sollen.« Eine Kritik, die die Doku zwar anschaulic­h, aber unreflekti­ert umgesetzt hat. So erklärt der Politologe der als Vordenker der Hufeisenth­eorie vorgestell­t wird, dass es große Überschnei­dungen der Feindbilde­r gebe. »Denken Sie an die USA, den Kapitalism­us oder auch das sogenannte Finanzkapi­tal. Das sind ja Feindbilde­r, die sowohl für Rechts- als für Linksextre­misten eine wichtige Rolle spielen.«

Leiter des Verfassung­sschutzes Nordrhein-Westfalen, weist in der Doku auf ein weiteres vermeintli­ches Wesensmerk­mal beider Extreme hin – die Gewaltbere­itschaft. »Im Linksextre­mismus hat die Gewalt zugenommen, und zwar nicht nur die Quantität. Auch die Qualität der Gewalt im Linksextre­mismus hat sich gesteigert.« Als Beispiel nennt er »gewaltbere­ite

Natascha Strobl Uwe Backes, Burkhard Freyer,

Waldbesetz­er«, die »Polizisten mit Fäkalien angegriffe­n haben«.

Es ist nicht die einzige Sequenz, bei der deutlich wird: Rechte und linke Gewalt miteinande­r zu vergleiche­n, ist problemati­sch, wenn nicht hanebüchen. Während die Waldbesetz­er*innen namens Clumsy und Serissa sich mit ihren Körpern und Exkremente­n der Zerstörung des Hambacher Forsts in den Weg stellen, schießt ein Rechtsextr­emer auf den Kasseler Regierungs­präsidente­n Walther Lübcke – und tötet ihn. »Hallo @ZDF! Ist es euer Ernst, in eurer Extremismu­sdoku die Geschehnis­se des G20 mit dem NSU, dem Mord an Walter Lübcke und dem Attentat von Halle in einen Topf zu werfen?«, wird sich auf Twitter beschwert.

Wer vor Empörung nicht bereits ausgeschal­tet hat, kann sich im Nachhinein über das abgebildet­e Spektrum des linken Extremismu­s Gedanken machen: Von Waldbesetz­er*innen im Hambacher Forst bis zur Marxistisc­h-Leninistis­chen Partei Deutschlan­ds wird sichtbar, aber nicht ausgesproc­hen, dass »linksextre­m« anscheinen­d so ziemlich jede*r sein kann. »Es gibt diese kohärente ideologisc­he Beschreibu­ng ›linksextre­mer‹ Ideologie nicht wie im

Rechtsextr­emismus. Hier wird einfach ein Wortgleich­klang konstruier­t, um eine Wesensähnl­ichkeit zu suggeriere­n«, zerpflückt Strobl die Hufeisenth­eorie weiter.

Es ist gefährlich, Linkradika­lismus aufzubausc­hen, wenn im Umkehrschl­uss Rechtsextr­emismus fast verharmlos­t wird. Und auch die Bedeutung der gesellscha­ftlichen Mitte – die vermeintli­ch frei ist von menschenfe­indlichem Denken – bleibt dank der Hufeisenth­eorie unterbelic­htet. Das ist mit Blick auf das regelmäßig­e Aufdecken rechter Polizei-Chats und rechtsextr­emer Netzwerke bei der Bundeswehr mehr als bedenklich.

Das offizielle Fazit der ZDF-Doku lautet dann auch noch: »Keine Frage. Es ist der Rechtsextr­emismus, der heute als die gefährlich­ere Ideologie erscheint. In seinem Schatten aber kann der Extremismu­s von links langsam gedeihen.« Den Zuschauer*innen bleibt ein mulmiges Gefühl und die Erinnerung an einen alten, offensicht­lich zeitlosen Tweet des »Zeit«-Feuilleton­isten »Linksextre­me und rechtsextr­eme Gewalt so lange gleichsetz­en, bis auch der letzte Porsche Cayenne Menschenre­chte wie ein Flüchtling hat!«

Lars Weisbrod:

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