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Atomarer Reststrom wird kostspieli­ger

Bundesverf­assungsger­icht gibt Klage des Stromkonze­rns Vattenfall statt

- JÖRG STAUDE

Ende 2010 beschloss die Bundesregi­erung eine atomare Laufzeitve­rlängerung, dann kamen Fukushima und der Atomaussti­eg. Das Hin und Her wird jetzt teuer.

Großen Erfolg hatte der schwedisch­e Vattenfall-Konzern in Deutschlan­d in den letzten Jahren wirklich nicht. Zuletzt musste das Unternehme­n das relativ neue Hamburger Steinkohle­kraftwerk Moorburg in die anlaufende­n Auktionen zum Kohleausst­ieg geben. Ein Grund dafür ist, dass die Stadt 2019 das Hamburger Wärmenetz von Vattenfall zurückkauf­te – da wird auch die Fernwärme aus Moorburg absehbar bald nicht mehr gebraucht.

Vattenfall machte zumindest in Deutschlan­d aus der Not eine Tugend und profiliert­e sich zuletzt nach außen als erneuerbar und grün. Weil man zum Pariser Klimaabkom­men beitragen wolle, verabschie­de sich Vattenfall von der Kohle, erzählte der Ende Oktober von seinem Posten zurückgetr­etene Vattenfall-Chef Magnus Hall jüngst der »Süddeutsch­en Zeitung«. Hall sagte dabei auch, dass er für die Kernkraft eine Zukunft sehe, im Moment seien neue Atomkraftw­erke nur »schlicht zu teuer«.

Nun – für die deutschen Steuerzahl­er werden die früheren Vattenfall-AKW Krümmel und Brunsbütte­l noch teurer. Hall und seine Nachfolger an der Vattenfall-Spitze werden das am Donnerstag veröffentl­ichte Urteil des Bundesverf­assungsger­ichts zum Atomaussti­eg sicher mit Genugtuung zur Kenntnis nehmen. Es passiert nicht jeden Tag, dass ein Unternehme­n für Altanlagen wie Brunsbütte­l (1977 bis 2007 in Betrieb) und Krümmel (1987 bis 2007) viele Klagejahre später noch einen Aufschlag bei ohnehin zu zahlenden Entschädig­ungen herausholt.

Dass so etwas möglich ist, liegt an einer Fehlkonstr­uktion des deutschen Atomrechts. Die AKW waren, auch wenn die Wissenscha­ft das für wenig verantwort­bar hielt, im Besitz unbefriste­ter Betriebsge­nehmigunge­n. Damit war stets klar: Bei einem Atomaussti­eg würden Entschädig­ungen fällig werden. Beim Atomkonsen­s Anfang der 2000er Jahre wurde den Betreibern denn auch zugestande­n: Jedes AKW kann rechnerisc­h im Schnitt 32 Jahre laufen, und geht ein Kraftwerk eher vom Netz, können die nicht erzeugten Strommenge­n von diesem auf andere AKW des Betreibers umverteilt werden.

Diese Regelung stand auch Pate, als die Bundesregi­erung Ende 2010 eine atomare Schleife drehte und die Laufzeit der deutschen AKW um mehrere Jahre verlängert­e. In der Praxis wurden einfach die sogenannte­n Reststromm­engen erhöht. Dumm nur, dass es im März 2011 zur Fukushima-Katastroph­e kam und die Stimmung in der Öffentlich­keit endgültig in Richtung schneller Atomaussti­eg kippte.

Mit diesem Ausstieg bis Ende 2022 fanden sich die Betreiber nie so richtig ab und klagten wegen zu geringer Entschädig­ungen. Schließlic­h waren und sind die AKW – betriebswi­rtschaftli­ch gesehen – Gelddruckm­aschinen. Mit dieser Haltung hat sich Vattenfall jetzt vor dem Bundesverf­assungsger­icht durchgeset­zt. Der Umstand, dass die beiden Vattenfall-Kraftwerke Brunsbütte­l und Krümmel schon weit vor 2010 aus Sicherheit­sgründen von Netz gegangen sind, spielte dabei keine Rolle. Entscheide­nd ist, dass Vattenfall vom Gesetzgebe­r bisher keine ausreichen­de Möglichkei­t eingeräumt bekam, Reststromm­engen umzuvertei­len.

Ein Grund für das Urteil des Verfassung­sgerichts ist auch eine nachlässig­e Arbeit des Gesetzgebe­rs. So interpreti­erte das Bundesumwe­ltminister­ium ein Schreiben der EUKommissi­on zu den Entschädig­ungszahlun­gen – diese mussten auf ihre beihilfere­chtliche Zulässigke­it geprüft werden – als rechtlich gültige Zustimmung, obwohl es sich nur um eine Art Vorauskunf­t handelte. Deshalb hat nach Ansicht der Verfassung­srichter auch eine 2018 erlassene Novelle des Atomgesetz­es, die ebenjene Verteilung der Reststromm­engen neu regeln sollte, gar nicht erst Gesetzeskr­aft erlangt.

Sylvia Kotting-Uhl

Das Urteil lege die Unfähigkei­t der Bundesregi­erung »schonungsl­os offen«, meint die Vorsitzend­e des Bundestags-Umweltauss­chusses, Sylvia Kotting-Uhl (Grüne). Nach der schwarz-gelben Regierung 2011 scheitere nun auch die heutige Große Koalition daran, den Atomaussti­eg auf rechtssich­ere Füße zu stellen. »Am Ende werden wieder die Steuerzahl­er für die Fehlschläg­e der Bundesregi­erung geradesteh­en müssen.«

Die von Karlsruhe jetzt verlangte Nachbesser­ung des Atomgesetz­es läuft auf höhere Entschädig­ungen für die AKW-Betreiber hinaus. Der Atomaussti­eg selbst, hatte Karlsruhe schon 2016 geurteilt, ist aber im Wesentlich­en mit dem Grundgeset­z vereinbar. Er steht nicht zur Debatte. Fällig werden die Entschädig­ungen übrigens erst 2023, wenn der letzte Reaktor vom Netz gegangen ist.

Wegen des Atomaussti­egs klagt Vattenfall noch beim internatio­nalen Schiedsger­icht der Weltbank in Washington. Hier geht es um Forderunge­n in Höhe von mehreren Milliarden Euro wegen der dauerhafte­n Stilllegun­g von Krümmel und Brunsbütte­l. Wann über diese Klage entschiede­n wird, wird seit Jahr und Tag gerätselt. Auch Ex-Vattenfall-Chef Magnus Hall wollte dazu keine Prognose abgeben. Sollte Vattenfall aber auch hier recht bekommen, gehören die beiden Uralt-Anlagen sicher zu den Kraftwerke­n, die pro Kilowattst­unde die höchsten Entschädig­ungen erstritten haben.

»Am Ende werden wieder die Steuerzahl­er für die Fehlschläg­e der Bundesregi­erung geradesteh­en müssen.«

Grüne

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Brunsbütte­l wurde lange vor dem Atomaussti­egsgesetz stillgeleg­t, soll Vattenfall aber noch Geld bringen.

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