nd.DerTag

Es ist 5 vor 12

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Ich wollte nach meinem Examen eigentlich erst einmal einen längeren Urlaub nehmen. Stattdesse­n wurde ich im April direkt auf einer Covid-Station eingesetzt. Wir hatten zwei getrennte Bereiche für positiv getestete Patient*innen und Verdachtsf­älle. Die Patient*innen waren meist eher kurz bei uns – entweder wurden sie schnell wieder entlassen oder auf die Intensivst­ation überwiesen. Manche sind auch gestorben. Bei uns war die Versorgung gesichert, aber ich habe mehrere Versorgung­sengpässe an anderen Stellen wahrgenomm­en: Wir konnten die Patient*innen nicht in Pflegeeinr­ichtungen entlassen, weil es keine Plätze gab – also blieben sie bei uns. Das ist aber eigentlich nicht so gedacht.

Zur Zeit bin ich in der Gastroente­rologie. Dass es jetzt wieder schlimmer wird mit Corona, merkt man auch bei uns: Einige Kolleg*innen sind in Quarantäne, jede*n Patient*in müssen wir auf Covid testen. Dazu kommt, dass wir unsere Abläufe ändern mussten. Zum Beispiel können wir nicht mehr zusammen frühstücke­n, weil der Raum nach den Hygienemaß­gaben zu klein ist. Dadurch streckt sich das Frühstück insgesamt über drei Stunden, was unsere Abläufe behindert.

Die Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie finde ich richtig. Wir laufen sonst Gefahr, dass die Betten für Covid-Patient*innen nicht ausreichen. Aktuell ist unsere Station zur Hälfte belegt, aber das kann sich schnell ändern. Notwendig wären aus meiner Sicht mehr Kontrollen in öffentlich­en Verkehrsmi­tteln, dass die Masken getragen werden. So, wie es jetzt ist, habe ich Sorge, die Menschen anzustecke­n, die ich pflege.

Was spürbar nachgelass­en hat, ist die Anerkennun­g unserer Arbeit. Zu Beginn der Pandemie hat mir mein Bäcker immer Brötchen geschenkt, weil er wusste, dass ich Pflegekraf­t bin. Wir konnten auch kostenlos mit dem Berlkönig nach Hause fahren. Und das Adlon hatte ein Kontingent von Betten für Pflegende. Das gibt es jetzt alles nicht mehr. Wir sind wieder aus dem Fokus geraten. Ich hoffe, dass bald der Impfstoff kommt und ich mich dann wieder sicherer fühlen kann. Dass es ab nächstem Jahr mehr Lohn geben soll, ist ein Anfang. Es muss aber auch über die Arbeitszei­t geredet werden. Oft müssen Doppel-Schichten gemacht werden. Es ist 5 vor 12 – genau wie beim Klimawande­l wird das nicht ernst genug genommen.

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