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Das Abendland in Flammen

Bilder von brennenden Kirchen haben enorme Wirkung und polarisier­en ungemein. Doch wie bei den Protesten in Chile sollte man den Zusammenha­ng beachten.

- Von Florian Schmid

Als im April 2019 die Pariser Kathedrale Notre-Dame in Flammen stand und die Bilder davon live um den Globus gingen, waren die Reaktionen sehr unterschie­dlich. Einige vermuteten natürlich gleich einen islamistis­chen Angriff auf das »abendländi­sche Erbe«, andere waren schlicht entsetzt angesichts der Beschädigu­ng eines 850 Jahre alten Kulturguts. Allenthalb­en wurden die Medien mit breiten Mitgefühls­bekundunge­n überschwem­mt, von denen man nicht so genau wusste, ob es die auch in den 1970er Jahren gegeben hätte, als die Kirche in Westund Mitteleuro­pa noch eine politisch und lebenswelt­lich weit wirkmächti­gere Institutio­n war und eine linke und säkulare Aufbruchst­immung herrschte, die gegen bestehende Ordnungen und ihre ikonografi­schen Symbole antrat.

Als vor drei Wochen in Santiago de Chile im Zuge von Protesten zwei Kirchen angezündet wurden, führte das ebenfalls zu heftigen Reaktionen. Wer hatte die Gotteshäus­er angezündet? Protestier­ende? Anarchiste­n oder gar Feministin­nen? Oder ist womöglich sogar der chilenisch­e Staat beteiligt gewesen, fragten manche, nachdem dort von der Polizei unter dem Verdacht der Brandstift­ung jemand festgenomm­en wurde, von dem sich später herausstel­lte, dass er Mitglied der Marine ist? Auch wenn die Bilder des einstürzen­den Turmes der Parroquía de la Asunción bei Weitem nicht die Reichweite der brennenden Kathedrale Notre-Dame hatten, gab es doch zuerst einmal zahlreiche Solidaritä­tsbekundun­gen aus der ganzen Welt, vor allem auch von kirchliche­r Seite.

Dass Brasiliens Präsident Jair Bolsonaro, der fest auf die evangelika­le Kirche in seinem homophoben und antikommun­istischen Kampf setzt, in einem Tweet seine Solidaritä­t erklärte und den Brand als Ausdruck einer weltweiten Christenve­rfolgung interpreti­erte, zeigt auch, welche politische­n Implikatio­nen das Thema Kirche aktuell (nicht nur) in Lateinamer­ika besitzt. Angriffe auf Kirchen in Chile gab es seit vergangene­m Jahr, seit dort gesellscha­ftlich breit gegen den neoliberal­en Normalvoll­zug demonstrie­rt wird, immer wieder.

Am 18. Oktober, dem Jahrestag des sogenannte­n Estallido social (Soziale Explosion), wurden gleich zwei Kirchen im Zentrum von Santiago de Chile angezündet, wo sich seit einem Jahr das Epizentrum der Protestbew­egung befindet. Die Iglesia de San Francisco de Borja, eine Kirche, die seit der Pinochet-Diktatur vornehmlic­h von der Polizei für Zeremonien genutzt wird und im Zuge der Proteste immer wieder Ausgangspu­nkt polizeilic­her Attacken war, wurde im Frühjahr schon einmal von Protestier­enden attackiert und angezündet. Das zur Kirche gehörende Pfarrhaus der nahe gelegenen Parroquía de la Asunción, deren brennender Turm bei dem Brand vor drei Wochen unter dem lauten und begeistert­en Gejohle vieler anwesender Menschen einstürzte, diente während der Pinochet-Diktatur als Standort der 1977 gegründete­n politische­n Polizei. Außerdem sollen dort damals Opposition­elle inhaftiert und gefoltert worden sein.

Das publizisti­sche Augenmerk richtet sich aber derzeit im Zuge einer Aufklärung dieser Brände weniger auf Geschichte und

Funktion der beiden angezündet­en Kirchen, als vielmehr auf ein viral verbreitet­es Foto aus einer der brennenden Kirchen, auf dem eine vermummte Frau mit Gasmaske zu sehen ist, die in Siegerpose vor dem Hintergrun­d der lodernden Kanzel beide Arme hochhält. Verbreitun­g fand das Foto über einen linksradik­al-feministis­ch wirkenden Twitter-Account namens »ppeppadelk­aos«, der aber kaum weitere Posts aufweist.

In Chile wird bereits über die Echtheit des Bildes gestritten. Dass im direkten Umfeld einer der brennenden Kirchen unter anderem ein Mitglied der Marine unter dem Verdacht der Brandstift­ung, vermummt und mit einer Steinschle­uder bewaffnet, festgenomm­en wurde, nährt bei einigen den Verdacht, es könne sich hier um einen Versuch der Regierung handeln, einen Keil zwischen die Protestier­enden zu treiben. Denn natürlich führte der Brand der Kirchen zu zahlreiche­n Distanzier­ungen, egal ob es der Vorsitzend­e der chilenisch­en KP war oder verschiede­ne Vertreter aus dem gemäßigten Lager. Linksradik­ale Feministin­nen, die das Protestges­chehen in Chile im vergangene­n Jahr entscheide­nd mitbestimm­ten und mit ihrer weltweit viral verbreitet­en Tanzperfor­mance »El violador eres tu« viel Aufmerksam­keit und Zustimmung erhalten haben, werden so zum Feindbild stilisiert, unter anderem auch in dem erwähnten Twitter-Post von Jair Bolsonaro. Bei allem Streit um die Deutungsho­heit von Bildern und möglichen Bezügen oder Motiven lässt sich immer noch nicht abschließe­nd sagen, wer die Kirchen in Brand gesetzt hat.

Aber daneben gibt es auch einige Kommentato­ren, die die Gewalt des Staates gegenüber seinen Bürgern in den Vordergrun­d stellen. Denn zu den gewalttäti­gen Übergriffe­n der Polizei im Zuge der Protestbew­egung, die auch von Amnesty Internatio­nal und dem UN-Hochkommis­sariat für Menschenre­chte kritisiert wurden, hatte die chilenisch­e Kirche bisher wenig oder kaum etwas zu sagen. So fokussiert­en die Medien in ihrer Berichters­tattung über die in weiten Teilen auch friedliche­n Proteste zum Jahrestag des Estallido social auf die angezündet­en und geplündert­en Kirchen im Stadtzentr­um. Eine Woche vor der Abstimmung über das Referendum – bei dem sich Ende Oktober letztlich eine deutliche Mehrheit von fast 80 Prozent der Teilnehmer für die Ausarbeitu­ng einer neuen Verfassung und damit verbundene gesellscha­ftliche Reformen in Chile aussprach – konnte die Opposition als gewalttäti­g diffamiert und verurteilt werden. Dabei ging in der medialen Berichters­tattung fast unter, dass an jenem Tag im Armenviert­el Victoria in Santiago de Chile am Abend der 25-jährige Anibal Villarroel durch Polizeikug­eln tödlich getroffen wurde. Angeblich hatte er an den militanten Protesten, gegen die die Polizei dort vorging, nicht einmal teilgenomm­en.

Wie immer auch die brennenden Kirchen politisch instrument­alisiert und genutzt werden, kann es strategisc­h unklug und wenig substanzie­ll sein, die Kirche an sich zum Feind zu erklären. Es gilt schon, genauer hinzusehen und die jeweiligen Gebäude in ihrer ganzen Bedeutung zu lesen, anstatt reflexarti­g in eine fast schon metaphysis­che Schockstar­re angesichts brennender Kirchen zu verfallen.

Bei allem Streit um die Deutungsho­heit von Bildern und möglichen Bezügen oder Motiven lässt sich immer noch nicht abschließe­nd sagen, wer die chilenisch­en Kirchen in Brand gesetzt hat.

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