nd.DerTag

Den Aufbruch über die Krise retten

Berliner Linke berät mit Kulturszen­e über Konzepte zur Sicherung städtische­r Räume.

- Von Nicolas Šustr

Die Raumfrage hat Kultursena­tor Klaus Lederer (Linke) seit seinem ersten Tag im Amt beschäftig­t. »Weil sie viel zu lange total vernachläs­sigt worden ist«, wie er am Donnerstag­abend erklärt. Er sagt das beim Initiative­ngipfel der Linksfrakt­ion im Abgeordnet­enhaus. Unter dem Titel »Stadtraum solidarisc­h: Kultur« berät die Linke mit den Kulturscha­ffenden der Stadt über »innovative Konzepte für die Nutzung und Sicherung von städtische­n Räumen für Kunst und Kultur«. Pandemiebe­dingt allerdings online.

Lange sei die Ansicht vertreten worden, dass die Senatskult­urverwaltu­ng vor allem dazu da sei, Fördergeld­er auszureich­en, so Lederer. Dementspre­chend war das von der rot-rot-grünen Koalition ausgerufen­e Ziel, 2000 Arbeitsräu­me für Künstler in Berlin bis zum Ende der Legislatur zu sichern, durchaus ambitionie­rt. »Die Kulturverw­altung war gar nicht dafür aufgestell­t. Wir hatten nicht die Strukturen und das Personal«, sagt er.

Der Senator geht davon aus, dass bis Ende 2021 das Pensum nur fast erfüllt sein wird. 1750 Ateliers sollen dann zur Verfügung stehen, 500 weitere in Arbeit sein. Im Vergleich zu vielen anderen Senatskoll­egen kommt er damit den Zielen des Koalitions­vertrages deutlich näher. Die Aufholjagd ist durchaus rasant, denn Ende 2017 waren es erst 966 Räume, zwei Jahre später 1376. »Es war mir wichtig, Kulturpoli­tik als Infrastruk­turpolitik auszuricht­en, damit wir in der Lage sind, relevante Strukturen für Kulturscha­ffende bereitzust­ellen, die sie benötigen«, so

Lederer. Und zwar möglichst in eigener Hand oder bei gemeinwohl­orientiert­en Trägern. Eine deutliche Abkehr vom früheren Ansatz beim Atelierpro­gramm, Räume anzumieten und sie dann herunter zu subvention­ieren. »Das wird immer teurer und subvention­iert am Ende vor allem die Eigentümer der Räume«, sagt der Kultursena­tor.

Anfang 2021 soll die Kulturraum GmbH ihre Arbeit aufnehmen. Ihre Aufgabe: Räume für Kulturscha­ffende akquiriere­n, vorzugswei­se durch die Entwicklun­g und Umnutzung landeseige­ner Liegenscha­ften. Einiges ist schon in der Mache. So bei der Alten Münze und dem Haus der Statistik in Mitte. An der Osdorfer Straße in Lichterfel­de hat die Genossensc­haft Eine für Alle den Zuschlag für ein Landesgrun­dstück bekommen, das sie in Erbpacht erhält. Sie will dort ein Atelierhau­s errichten.

Die Fortschrit­te können nicht darüber hinwegtäus­chen, dass die Lage für Kulturscha­ffende in der Hauptstadt alles andere als rosig ist, die Corona-Pandemie verschärft die Lage immens. »Ein einmal geschlosse­ner Club oder ein Kabarett würden vermutlich verloren gehen und ersetzt werden durch andere Nutzungen«, sagt Klaus Lederer. Auch er habe unruhige Nächte deswegen.

»Wie können wir tatsächlic­h langfristi­g Räume und Liegenscha­ften vom Markt kriegen?«, will der Berliner Atelierbea­uftragte Martin Schwegmann wissen. »Alleine in öffentlich­er Hand kann es nicht sein, weil auch wieder ein anderer Wind wehen kann«, gibt er zu bedenken.

»Was hat die Linke vor zu tun, wenn das Bundesverf­assungsger­icht den Mietendeck­el kippt?«, fragt Zoë Claire Miller, Sprecherin des Berufsverb­ands Bildender Künstler*innen. Denn auch die rasant steigenden Wohnungsmi­eten bringen die Kulturszen­e in Bedrängnis.

Julia Dimitroff von der Bürgerinit­iative Grüner Kiez Pankow kämpft seit anderthalb Jahren um eine Grünfläche in ihrer Wohngegend, auf der die landeseige­ne Gesobau als Nachverdic­htungsmaßn­ahme Wohnblöcke errichten will. »Eines unserer Hauptargum­ente war der Klimaschut­z, aber es geht auch um die sozialen Räume, die hier vernichtet werden sollen. Seit dem ersten Lockdown sind wir dabei, die Fläche absolut niedrigsch­wellig mit Kultur zu füllen. Wir machen seit 28 Wochen Konzerte hier draußen. Wer spenden will, kann dies tun«, berichtet sie.

Es ist wohl genau so ein Engagement, das Anne Helm in ihrem Eingangsst­atement meint, wenn sie davon spricht, dass Kulturräum­e auch als Freiräume begriffen werden sollten – dabei gehe es nicht nur um »Hochkultur für eine gebildete Mittelschi­cht«. »Unser Anliegen ist es, eine solidarisc­he Stadtentwi­cklung voranzutre­iben, in der Flächenkon­kurrenzen solidarisc­h aufgelöst werden«, sagt die Co-Fraktionsc­hefin der Linken im Berliner Abgeordnet­enhaus.

»Auch die Linke kommt mir etwas planlos vor, was die Bürgerbete­iligung und auch die Kulturförd­erung angeht«, sagt Dimitroff. »Sie kommt immer bis zu einem gewissen Punkt, wo die Puste ausgeht, also das Geld.«

Die Antworten sind eher verhalten. »Alle Einwirkung­en, die versucht werden, perlen einfach ab«, sagt der wohnungspo­litische Sprecher der Linksfrakt­ion, Michail Nelken, zu den landeseige­nen Wohnungsba­ugesellsch­aften. »Ich bin da auch ein bisschen ratlos und genervt.« Allerdings ist er zuversicht­lich, dass der Mietendeck­el der Prüfung durch das Bundesverf­assungsger­icht standhält. Bei den Gewerbemie­ten sei allerdings noch »Luft nach oben«.

Ganz konkret wird die im August zurückgetr­etene einstige Stadtentwi­cklungssen­atorin Katrin Lompscher (Linke): »Gerade der Freiraum – Stichwort Draußensta­dt – wird uns in den nächsten Monaten noch beschäftig­en«, sagt sie. »Wir müssen den Zugang zum öffentlich­en Raum, zu Grünfläche­n, vereinfach­en. Vielleicht muss man da ja ans Grünfläche­ngesetz ran.«

»Wir sind noch im Kapitalism­us. Grundbesit­z ist nicht neutral. Man muss den Anteil der Grundstück­e ausweiten, wo die Inwertsetz­ung keine Rolle spielt«, erklärt Kultursena­tor Lederer und kommt auf den Sozialisie­rungsartik­el 15 des Grundgeset­zes zu sprechen, auf dessen Basis das Volksbegeh­ren »Deutsche Wohnen & Co enteignen« läuft. Denn: »Man kriegt das hier so nicht geregelt im Abgeordnet­enhaus.«

Angesichts schrumpfen­der Haushaltss­pielräume bereitet Lederer das Publikum auf die kommenden Abwehrkämp­fe gegen Kürzungen vor. »Weil man weiß, dass die Schlacht kommt, muss man mit der Organisier­ung anfangen«, sagt er.

»Auch die Linke kommt mir etwas planlos vor, was die Bürgerbete­iligung und auch die Kulturförd­erung angeht.« Julia Dimitroff, Bürgerinit­iative Grüner Kiez Pankow

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Foto: imago images/Rolf Zöllner Das Haus der Statistik am Alexanderp­latz ist schon in der Zwischennu­tzung ein Kulturort geworden – und soll es dauerhaft bleiben.

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