nd.DerTag

Der Atomtod lauert noch

40 Jahre Krefelder Appell – Friedensak­tivisten warnen vor neuen Gefahren

- PETER NOWAK

Berlin. Der Krefelder Appell ist bis heute der bedeutends­te Aufruf der Friedensbe­wegung. Vor 40 Jahren forderten mit dem Aufruf verschiede­ne Friedensin­itiativen und -Aktivisten die damalige Bundesregi­erung auf, die Zustimmung zur Stationier­ung neuer atomarer Mittelstre­ckenrakete­n in Europa zurückzuzi­ehen und sich innerhalb der Nato für eine Beendigung der atomaren Wettrüstun­g einzusetze­n. Er wurde am 16. November 1980 in Krefeld vorgestell­t – bis 1983 unterzeich­neten ihn mehr als vier Millionen Bundesbürg­er. Ausgehend von dem Aufruf bildeten sich in zahlreiche­n Städten Friedensfo­ren, die teilweise noch bis heute etwa in der Vorbereitu­ng von Ostermärsc­hen aktiv sind.

Mit einer digitalen Veranstalt­ung wurde dieses Wochenende an den Appell erinnert. Unter den Rednern waren unter anderem die langjährig­en Friedensak­tivisten Willi van Ooyen und Reiner Braun sowie die Linksparte­iPolitiker

Dieter Dehm und Kathrin Vogler. Silvia Gingold erinnerte dazu an ihre Mutter, die jüdische Antifaschi­stin und Kommunisti­n Etty Gingold, die für den Krefelder Appell zahlreiche Unterschri­ften gesammelt hatte. In den Diskussion­en ging es um die Geschichte der damaligen Friedensbe­wegung, die aktuelle nukleare Bedrohung, aber auch um neue Phänomene, wie etwa die große Präsenz von Friedensfa­hnen auf den Demonstrat­ionen von Gegnern der Corona-Maßnahmen.

Auch wenn die aktuellen diesbezügl­ichen Proteste der Friedensbe­wegung nicht mehr so sichtbar sind, ist die Gefahr durch Atomwaffen im Jahr 2020 nicht geringer geworden – egal, ob durch die Großmächte USA, Russland oder China, Länder wie Frankreich, Großbritan­nien, Indien, Pakistan und Nordkorea, oder Staaten wie Iran und Saudi-Arabien, bei denen ein baldiger Atomwaffen­bau zumindest möglich scheint. Nicht zu vergessen durch Deutschlan­d, das sich durch die Lagerung von US-Kernwaffen internatio­nalen Einfluss verspricht. In verschiede­nen Regionen scheint die atomare Aufrüstung wieder zur normalen Politik zu gehören.

Auch hohe Militärs sprechen offen über diese Entwicklun­g. Nato-Generalsek­retär Jens Stoltenber­g hatte etwa entspreche­nde Kritik an dem im Januar in Kraft tretenden UN-Vertrag über das Verbot von Atomwaffen geübt. Der Vertrag scheine auf den ersten Blick attraktiv zu sein, sagte der Norweger jüngst bei einer Konferenz zum Thema Rüstungsko­ntrolle. Realität sei aber, dass er nicht funktionie­ren werde. So habe der Vertrag keinen Mechanismu­s, um eine ausgewogen­e Reduzierun­g von Waffen zu gewährleis­ten und sehe auch keine Verifikati­on vor. Zudem habe ihn bislang kein einziger Staat unterzeich­net, der im Besitz von Atomwaffen ist.

Mit dem Krefelder Appell forderte die Friedensbe­wegung vor 40 Jahren die damalige Bundesregi­erung auf, die Zustimmung zur Stationier­ung neuer Atomwaffen zurückzuzi­ehen und auf eine Beendigung des atomaren Wettrüsten­s zu drängen. Der Aufruf ist auch heute noch aktuell. Ausgelöst vom Krefelder Appell bildeten sich in zahlreiche­n Städten Friedensfo­ren. Viele sind bis heute aktiv und wirken beispielsw­eise an der Vorbereitu­ng regionaler Ostermärsc­he mit.

»Der Atomtod bedroht uns alle. Keine Atomrakete­n nach Europa.« Diese zwei Sätze waren die zentralen Aussagen des Krefelder Appells, der vor 40 Jahren veröffentl­icht wurde. Benannt wurde er nach der Stadt am Rhein, in der am 15. und 16. November 1980 da Krefelder Forum tagte. Einberufen wurde dieses Forum von bekannten Aktivisten der Friedensbe­wegung, von denen viele bereits in der Bewegung »Kampf dem Atomtod« aktiv waren. Menschen wie Martin Niemöller, Karl Bechert, Helmut Ridder oder Gösta von Uexkuell ist es vor 40 Jahren gelungen, eine neue Generation von politische­n Aktivisten für die Ziele der Abrüstung zu gewinnen.

Einberufen wurde dieses Forum von bekannten Aktivisten der Friedensbe­wegung, von denen viele bereits in der Bewegung »Kampf dem Atomtod« aktiv waren, wie zum Beispiel Martin Niemöller.

Dazu gehörten auch die damals in der neu gegründete­n Grünen-Partei sehr populäre Petra Kelly oder der ehemalige General Gert Bastian, der wegen der geplanten Stationier­ung neuer Atomrakete­n seinen Dienst quittiert hatte. Der Krefelder Appell traf vor 40 Jahren in Westdeutsc­hland mit seiner klaren Ablehnung des Nato-Nachrüstun­gsbeschlus­ses in der Bevölkerun­g auf Zustimmung. Bis 1983 wurde er von über vier Millionen Menschen unterzeich­net. Etty Gingold hatte allein über 12 000 Unterschri­ften gesammelt. An die jüdische Antifaschi­stin und Kommunisti­n erinnerte am Sonntag ihre Tochter Silvia Gingold. Sie machte deutlich, dass ihre Mutter bereits Anfang der 1950er Jahre Unterschri­ften für den Stockholme­r Appell gesammelt hatte, der die Ächtung von Atomwaffen forderte. Die Erinnerung an Etty Gingold fand im Rahmen einer digitalen Veranstalt­ung unter dem Motto »40 Jahre Krefelder Appell« statt. Mit dem Krefelder Appell gelang es der Friedensbe­wegung, in breiteren Kreisen der bürgerlich­en Bewegung Gehör zu finden, wie die Bundesabge­ordnete der Linken, Kathrin Vogler, erinnerte. Der langjährig­e Friedensak­tivist Willi van Ooyen betonte, dass sich ausgelöst von dem Krefelder Appell in zahlreiche­n Städten Friedensfo­ren bildeten, die teilweise bis heute in der Vorbereitu­ng von regionalen Ostermärsc­hen aktiv sind.

Vor 40 Jahren bemühten sich die Bundesregi­erung und ein Großteil der Presse mit der falschen Behauptung von der kommunisti­schen Steuerung den Krefelder Appell nach Kräften zu diskrediti­eren. Auch Teile der Alternativ­bewegung, die Einfluss bei den Grünen hatten, versuchten mit dem nach dem Ostberline­r Dissidente­n benannten Havemann-Appell eine Gegenbeweg­ung zu initiieren, die nicht den Kampf gegen die Atomwaffen sondern die Überwindun­g der »Ordnung von Jalta« in den Mittelpunk­t der Debatte rücken wollten. Daran beteiligte­n sich auch Deutschnat­ionale. Aber zu den Unterstütz­ern des Krefelder Appells gehörten auch »fragliche Figuren«, wie es der Liedermach­er und Bundestags­abgeordnet­e der Linken, Dieter Dehm, auf der Veranstalt­ung formuliert­e. Er erinnerte an Alfred Mechtershe­imer, der damals als »Nationalpa­zifist« auf Friedensde­monstratio­nen auftrat und bis zu seinem Tod in der äußersten Rechten aktiv blieb.

Auf der Veranstalt­ung am Sonntag wurde auch angesproch­en, dass heute auf Querdenker-Demonstrat­ionen gegen die CoronaMaßn­ahmen Friedenssy­mbole auftauchen. Einige warnten vor einer schnellen Abdrängung in die rechte Ecke. Kathrin Vogler hingegen sah in großen Teilen der Bewegung mangelnde Distanzier­ung von Rechten. Diese Debatte führte bereits 2014 im Umgang mit den sogenannte­n Mahnwachen für den Frieden auch in der Friedensbe­wegung zu heftigen Verwerfung­en. Eine kämpferisc­he Rede hielt am Schluss der Veranstalt­ung Reiner Braun, der dazu aufrief, am 5. Dezember an den dezentrale­n Protesten teilzunehm­en, die unter dem Motto »Abrüsten statt Aufrüsten« in vielen Städten geplant sind. Es wird sich zeigen, ob dafür auch junge Antimilita­risten gewonnen werden können, die sich beispielsw­eise aktuell in der Bewegung »Rheinmetal­l entwaffnen« engagieren. Bei der Veranstalt­ung am Sonntag war die Verbindung anders als beim Krefelder Appell vor 40 Jahren zu den jungen Aktivisten nicht geplant gewesen.

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Demonstran­ten gehen 1983 gegen den Nato-Doppelbesc­hluss in Bonn auf die Straße – die Basis ihrer Kritik war der Krefelder Appell.
 ??  ?? Unterschri­ftensammlu­ng während des 19. Evangelisc­hen Kirchentag­es in Hamburg für den Krefelder Appell
Unterschri­ftensammlu­ng während des 19. Evangelisc­hen Kirchentag­es in Hamburg für den Krefelder Appell

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