Der Atomtod lauert noch
40 Jahre Krefelder Appell – Friedensaktivisten warnen vor neuen Gefahren
Berlin. Der Krefelder Appell ist bis heute der bedeutendste Aufruf der Friedensbewegung. Vor 40 Jahren forderten mit dem Aufruf verschiedene Friedensinitiativen und -Aktivisten die damalige Bundesregierung auf, die Zustimmung zur Stationierung neuer atomarer Mittelstreckenraketen in Europa zurückzuziehen und sich innerhalb der Nato für eine Beendigung der atomaren Wettrüstung einzusetzen. Er wurde am 16. November 1980 in Krefeld vorgestellt – bis 1983 unterzeichneten ihn mehr als vier Millionen Bundesbürger. Ausgehend von dem Aufruf bildeten sich in zahlreichen Städten Friedensforen, die teilweise noch bis heute etwa in der Vorbereitung von Ostermärschen aktiv sind.
Mit einer digitalen Veranstaltung wurde dieses Wochenende an den Appell erinnert. Unter den Rednern waren unter anderem die langjährigen Friedensaktivisten Willi van Ooyen und Reiner Braun sowie die LinksparteiPolitiker
Dieter Dehm und Kathrin Vogler. Silvia Gingold erinnerte dazu an ihre Mutter, die jüdische Antifaschistin und Kommunistin Etty Gingold, die für den Krefelder Appell zahlreiche Unterschriften gesammelt hatte. In den Diskussionen ging es um die Geschichte der damaligen Friedensbewegung, die aktuelle nukleare Bedrohung, aber auch um neue Phänomene, wie etwa die große Präsenz von Friedensfahnen auf den Demonstrationen von Gegnern der Corona-Maßnahmen.
Auch wenn die aktuellen diesbezüglichen Proteste der Friedensbewegung nicht mehr so sichtbar sind, ist die Gefahr durch Atomwaffen im Jahr 2020 nicht geringer geworden – egal, ob durch die Großmächte USA, Russland oder China, Länder wie Frankreich, Großbritannien, Indien, Pakistan und Nordkorea, oder Staaten wie Iran und Saudi-Arabien, bei denen ein baldiger Atomwaffenbau zumindest möglich scheint. Nicht zu vergessen durch Deutschland, das sich durch die Lagerung von US-Kernwaffen internationalen Einfluss verspricht. In verschiedenen Regionen scheint die atomare Aufrüstung wieder zur normalen Politik zu gehören.
Auch hohe Militärs sprechen offen über diese Entwicklung. Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg hatte etwa entsprechende Kritik an dem im Januar in Kraft tretenden UN-Vertrag über das Verbot von Atomwaffen geübt. Der Vertrag scheine auf den ersten Blick attraktiv zu sein, sagte der Norweger jüngst bei einer Konferenz zum Thema Rüstungskontrolle. Realität sei aber, dass er nicht funktionieren werde. So habe der Vertrag keinen Mechanismus, um eine ausgewogene Reduzierung von Waffen zu gewährleisten und sehe auch keine Verifikation vor. Zudem habe ihn bislang kein einziger Staat unterzeichnet, der im Besitz von Atomwaffen ist.
Mit dem Krefelder Appell forderte die Friedensbewegung vor 40 Jahren die damalige Bundesregierung auf, die Zustimmung zur Stationierung neuer Atomwaffen zurückzuziehen und auf eine Beendigung des atomaren Wettrüstens zu drängen. Der Aufruf ist auch heute noch aktuell. Ausgelöst vom Krefelder Appell bildeten sich in zahlreichen Städten Friedensforen. Viele sind bis heute aktiv und wirken beispielsweise an der Vorbereitung regionaler Ostermärsche mit.
»Der Atomtod bedroht uns alle. Keine Atomraketen nach Europa.« Diese zwei Sätze waren die zentralen Aussagen des Krefelder Appells, der vor 40 Jahren veröffentlicht wurde. Benannt wurde er nach der Stadt am Rhein, in der am 15. und 16. November 1980 da Krefelder Forum tagte. Einberufen wurde dieses Forum von bekannten Aktivisten der Friedensbewegung, von denen viele bereits in der Bewegung »Kampf dem Atomtod« aktiv waren. Menschen wie Martin Niemöller, Karl Bechert, Helmut Ridder oder Gösta von Uexkuell ist es vor 40 Jahren gelungen, eine neue Generation von politischen Aktivisten für die Ziele der Abrüstung zu gewinnen.
Einberufen wurde dieses Forum von bekannten Aktivisten der Friedensbewegung, von denen viele bereits in der Bewegung »Kampf dem Atomtod« aktiv waren, wie zum Beispiel Martin Niemöller.
Dazu gehörten auch die damals in der neu gegründeten Grünen-Partei sehr populäre Petra Kelly oder der ehemalige General Gert Bastian, der wegen der geplanten Stationierung neuer Atomraketen seinen Dienst quittiert hatte. Der Krefelder Appell traf vor 40 Jahren in Westdeutschland mit seiner klaren Ablehnung des Nato-Nachrüstungsbeschlusses in der Bevölkerung auf Zustimmung. Bis 1983 wurde er von über vier Millionen Menschen unterzeichnet. Etty Gingold hatte allein über 12 000 Unterschriften gesammelt. An die jüdische Antifaschistin und Kommunistin erinnerte am Sonntag ihre Tochter Silvia Gingold. Sie machte deutlich, dass ihre Mutter bereits Anfang der 1950er Jahre Unterschriften für den Stockholmer Appell gesammelt hatte, der die Ächtung von Atomwaffen forderte. Die Erinnerung an Etty Gingold fand im Rahmen einer digitalen Veranstaltung unter dem Motto »40 Jahre Krefelder Appell« statt. Mit dem Krefelder Appell gelang es der Friedensbewegung, in breiteren Kreisen der bürgerlichen Bewegung Gehör zu finden, wie die Bundesabgeordnete der Linken, Kathrin Vogler, erinnerte. Der langjährige Friedensaktivist Willi van Ooyen betonte, dass sich ausgelöst von dem Krefelder Appell in zahlreichen Städten Friedensforen bildeten, die teilweise bis heute in der Vorbereitung von regionalen Ostermärschen aktiv sind.
Vor 40 Jahren bemühten sich die Bundesregierung und ein Großteil der Presse mit der falschen Behauptung von der kommunistischen Steuerung den Krefelder Appell nach Kräften zu diskreditieren. Auch Teile der Alternativbewegung, die Einfluss bei den Grünen hatten, versuchten mit dem nach dem Ostberliner Dissidenten benannten Havemann-Appell eine Gegenbewegung zu initiieren, die nicht den Kampf gegen die Atomwaffen sondern die Überwindung der »Ordnung von Jalta« in den Mittelpunkt der Debatte rücken wollten. Daran beteiligten sich auch Deutschnationale. Aber zu den Unterstützern des Krefelder Appells gehörten auch »fragliche Figuren«, wie es der Liedermacher und Bundestagsabgeordnete der Linken, Dieter Dehm, auf der Veranstaltung formulierte. Er erinnerte an Alfred Mechtersheimer, der damals als »Nationalpazifist« auf Friedensdemonstrationen auftrat und bis zu seinem Tod in der äußersten Rechten aktiv blieb.
Auf der Veranstaltung am Sonntag wurde auch angesprochen, dass heute auf Querdenker-Demonstrationen gegen die CoronaMaßnahmen Friedenssymbole auftauchen. Einige warnten vor einer schnellen Abdrängung in die rechte Ecke. Kathrin Vogler hingegen sah in großen Teilen der Bewegung mangelnde Distanzierung von Rechten. Diese Debatte führte bereits 2014 im Umgang mit den sogenannten Mahnwachen für den Frieden auch in der Friedensbewegung zu heftigen Verwerfungen. Eine kämpferische Rede hielt am Schluss der Veranstaltung Reiner Braun, der dazu aufrief, am 5. Dezember an den dezentralen Protesten teilzunehmen, die unter dem Motto »Abrüsten statt Aufrüsten« in vielen Städten geplant sind. Es wird sich zeigen, ob dafür auch junge Antimilitaristen gewonnen werden können, die sich beispielsweise aktuell in der Bewegung »Rheinmetall entwaffnen« engagieren. Bei der Veranstaltung am Sonntag war die Verbindung anders als beim Krefelder Appell vor 40 Jahren zu den jungen Aktivisten nicht geplant gewesen.