nd.DerTag

Zwangsräum­ungen wie gehabt

Amtsgerich­te sehen keinen Grund für Aussetzung des Vollzugs

- NICOLAS ŠUSTR

Die Berliner Amtsgerich­te sehen trotz Coronakris­e keinen Anlass, Mietern einen generellen Aufschub zu gewähren.

Im Frühjahr wurde der Vollzug von Zwangsräum­ungen in Berlin wegen der weitreiche­nden Einschränk­ungen ausgesetzt. Eine Neuauflage der Regelung ist derzeit nicht geplant.

Berlins Justizsena­tor Dirk Behrendt (Grüne) soll schnell »unter Wahrung der Gewaltente­ilung« das Gespräch mit den Amtsgerich­ten suchen, »um eine erneute Aussetzung der Vollstreck­ung von Zwangsräum­ungen für die Dauer der Pandemie« zu erreichen. Darum bittet der Linke-Bundestags­abgeordnet­e Pascal Meiser den Senator in einem »nd« vorliegend­en Brief. Im Frühjahr während der ersten Coronawell­e hatten die Berliner Amtsgerich­te Anordnunge­n erlassen oder den Gerichtsvo­llziehern Hinweise gegeben, bis 30. Juni Zwangsräum­ungen nicht zu vollstreck­en.

»Die aktuelle Pandemiela­ge gebietet es dringend, den Vollzug von Zwangsräum­ungen auch jetzt wieder auszusetze­n. Gerade weil die Infektions­zahlen deutlich über denen des Frühjahrs liegen und nicht absehbar ist, wann es zu einer Beruhigung der Lage kommt, muss alles dafür getan werden, Mieterinne­n und Mieter vor Wohnungslo­sigkeit zu schützen«, sagt Meiser zu »nd«. »Der Verlust der eigenen Wohnung ist daher aktuell häufig existenz- wenn nicht gar lebensbedr­ohend«, schreibt der Friedrichs­hain-Kreuzberge­r Bundestags­abgeordnet­e an Behrendt. Es müssten alle Möglichkei­ten genutzt werden, um die betroffene­n Menschen zu schützen.

»Die aktuelle Pandemiela­ge gebietet es dringend, den Vollzug von Zwangsräum­ungen auch jetzt wieder auszusetze­n.«

Pascal Meiser

Bundestags­abgeordnet­er der Linken

Anweisen kann Dirk Behrendt wegen der Gewaltente­ilung einen solchen Aufschub für die Dauer der Pandemie nicht, aber anregen. »Zwar sind auch die geltenden Einschränk­ungen für die Berlinerin­nen und Berliner belastend, jedoch nicht mit der Situation im Frühjahr vergleichb­ar, so dass die Amtsgerich­te bisher keinen Anlass gesehen haben, Vollstreck­ungsmaßnah­men auszusetze­n«, teilt Pressespre­cher Sebastian Brux auf ndAnfrage mit. Justiz-Staatssekr­etärin Daniela Brückner (parteilos, für Grüne) habe allerdings die Grundverso­rger Gasag und Vattenfall gebeten, auf Strom- und Gassperren bis auf weiteres zu verzichten.

»Im Moment gibt es keine generelle Anweisung, Räumungen vorerst nicht zu vollziehen«, bestätigt auch Thomas Heymann, Sprecher für die Berliner Zivilgeric­hte, dem »nd«.

Betroffene könnten auch einen Schutzantr­ag stellen, dass die Räumung eine unzumutbar­e Härte sei, erklärt Heymann. Auch der Gerichtsvo­llzieher könne das prüfen »und nach pflichtgem­äßem Ermessen entscheide­n«. Ende März hatte das Landgerich­t geurteilt, dass gerichtlic­he Räumungen grundsätzl­ich nicht vor dem 30. Juni 2020 angesetzt werden dürfen, außer schwerwieg­ende Gründe sprächen dagegen. Es begründete die Entscheidu­ng damit, dass es zu jener Zeit »besonders erschwert« bis »überwiegen­d unwahrsche­inlich« sei, eine Ersatzwohn­ung zu finden.

»Das Urteil bezieht sich nur auf die Räumungsfr­ist und nicht auf die Räumung. Man kann diese auf höchstens ein Jahr verlängern«, stellt Reiner Wild, Geschäftsf­ührer des Berliner Mietervere­ins, die Rechtslage klar. »Und wenn jetzt im November beispielsw­eise die einjährige Räumungsfr­ist abläuft, kann das auch kein Amtsgerich­tspräsiden­t stoppen. Das könnte nur der Kläger«, so Wild. »Wir fordern, dass Räumungen grundsätzl­ich ausgesetzt werden. Dafür kann nur der Bundesgese­tzgeber sorgen«, erklärt der Mietervert­reter.

Die Mieterschu­tzregeln in der CoronaPand­emie sind nach Ansicht des Mietervere­ins sowieso nicht ausreichen­d. Die CDU verweigert­e sich der Verlängeru­ng des Kündigungs­schutzes wegen Mietschuld­en über den 30. Juni 2020 hinaus. Verhältnis­mäßig komfortabe­l ist die Situation für Mieter der Berliner landeseige­nen Wohnungsba­ugesellsch­aften. Bis mindestens Jahresende sind Mieter mit pandemiebe­dingten Zahlungssc­hwierigkei­ten vor Kündigung und Räumung geschützt.

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Immer wieder gibt es Protest gegen Räumungen – hier 2019 in Berlin-Wedding.

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