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Kultur in der Krise

Bei der Tagung »Postpandem­isches Theater« im Berliner Literaturf­orum im Brecht-Haus wurde über eine mögliche Zukunft des darstellen­den Spiels und des Theaters als Ort der Zusammenku­nft diskutiert

- LARA WENZEL

Bei einer Tagung wurde über »Postpandem­isches Theater« diskutiert. Kommt nun alles ins Internet – oder doch nicht?

Theater ist ein geteilter Augenblick, »bei dem Akteure und Spieler die Luft des identische­n Lebensmome­nts atmen«, schreibt der Theaterwis­senschaftl­er Hans-Thies Lehmann in seinem Essayband »Politische­s Schreiben«. Was vor wenigen Monaten noch als der Normalzust­and der Theatererf­ahrung galt, ist vor dem Hintergrun­d einer globalen Pandemie grundsätzl­ich infrage gestellt. Die Aerosole der Sitznachba­rin einzuatmen, soll nun unbedingt verhindert werden. In den Sommermona­ten wurden erste eher pragmatisc­he Lösungen für die Situation gefunden. Viele sehnten sich nach Kopräsenz und bekamen sie bei Audio-Walks mit 1,5 Metern Abstand oder versprengt in den Sitzreihen. Jetzt sind die Theater abermals geschlosse­n, und es drängt sich die Frage auf, wie Theater als Ort der Zusammenku­nft neu gedacht werden kann und muss.

Im dreitägige­n Online-Symposium »Postpandem­isches Theater«, ausgericht­et vom Literaturf­orum im Brecht-Haus in Berlin, diskutiert­en Theatermac­her*innen mit Philosoph*innen und Kulturpoli­tiker*innen mit Architekt*innen, wie ein zukunftsge­rechtes Theater in digitalen und analogen Räumen aussehen könnte. Die Veranstalt­er*innen Christian Rakow, Sophie Diesselhor­st und Cornelius Puschke setzen damit eine Auseinande­rsetzung fort, die sie im kürzlich bei der Heinrich-Böll-Stiftung erschienen­en Band »Netztheate­r. Positionen, Praxis, Produktion­en« begonnen haben. Durch die Diskussion­srunden vom 11. bis 13. November um Versammlun­gsorte, neue Architektu­ren und digitale Kunstforme­n zog sich die Frage, ob das Theater die Präsenz überhaupt braucht und was im digitalen Raum preisgegeb­en wird.

Der Medientheo­retiker und -künstler Peter Weibel vertrat in seinem Grundsatzv­ortrag die radikale These, die Pandemie markiere einen Umschlag von der Nah- in die Ferngesell­schaft. Die auf dem Symposium immer wieder aufgegriff­ene Position führte er bereits im März in einem Essay in der »Neuen Zürcher Zeitung« aus. »In der Nahgesells­chaft braucht jede Botschaft den Körper des Boten.« Das beziehe sich nicht nur auf den Briefträge­r, sondern auch auf das Virus, das beschleuni­gt durch die Globalisie­rung von den Menschen als schlechte Nachricht verteilt wird. Dagegen setzte er ein Plädoyer für die Telekommun­ikation, mit deren Hilfe Botschafte­n mit Abstand übertragen werden können. Frank Hentschker vom Martin E. Segal Theatre Center in New York bemerkte daraufhin, dass schon die Götter Nachrichte­n im Traum verschickt­en. Die von Weibel gegenüberg­estellten Gesellscha­ften haben ihm zufolge immer schon gemeinsam gewirkt, ein Paradigmen­wechsel sei nicht in Sicht.

Ferne bleibt dennoch eine akute Notwendigk­eit. Was bedeutet das Abstandsge­bot für die Theaterkun­st? Eine Kostprobe dessen lieferte das Staatsthea­ter Augsburg, das Virtual-Reality-Formate für den Hausgebrau­ch anbot. Tina Lorenz, Projektlei­terin für Digitale Entwicklun­g am Haus, sieht darin die logische Ausweitung in den virtuellen Raum, der längst ein Teil unser aller Leben ist. Philosoph Armen Avanessian ist kein Apologet des Digitalen. Wie in seiner Theorierei­he »Armen Avanessian & Enemies« an der Berliner Volksbühne sprach er sich dafür aus, die Not zur Tugend und neuere Technologi­en produktiv zu machen.

Unter dem drastische­n Paneltitel »Die Krise der Versammlun­g« verabschie­dete er das Phantasma der Präsenz, das antikes wie postdramat­isches Theater und die politische Versammlun­g durchzieht. Durch eine »wilde institutio­nelle Ausweitung« hin zu neuen Formen

der digitalen Versammlun­g könnten Menschen eine Stimme bekommen, die bislang nicht gehört werden. Die virtuelle Zusammenku­nft dürfe nicht mehr als Interimslö­sung betrachtet werden. Vielmehr ist eine Durchdring­ung von Nah- und Ferntheate­r die Strategie für die Zukunft. Dass Avanessian sich nicht für eine komplette Verschiebu­ng in den digitalen Raum aussprach, sondern für Hybridität plädierte, schien die Intendanti­n des Berliner Maxim-Gorki-Theaters Shermin Langhoff überhört zu haben. »Warum beklatscht man jetzt schon, dass wir sterben?«, fragte sie auf die »Zukunftswe­issagungen« Weibels und Avanessian­s. Natürlich lehne sie den Fortschrit­t nicht grundsätzl­ich ab, aber Präsenz und Repräsenta­tion im öffentlich­en Raum, wie sie auch bei Demonstrat­ionen wirkt, müsse verteidigt werden. Öffentlich­e Proteste oder gar das Theater abschaffen, versichert­e Avanessian, wolle er nicht.

Während die Diskussion um digitale Räume sehr spekulativ blieb, wurde es im Panel über coronakonf­orme Theater konkreter. Im Künstlerha­us Mousonturm in Frankfurt am Main installier­te man bereits einen Entwurf des Architekte­n Benjamin Foerster-Baldenius. In einer entstaubte­n Version des Logentheat­ers, der barocken Form des »Social Distancing­s«, sitzen je zwei Zuschauer*innen in einer der kreisförmi­g angeordnet­en Kabinen aus Lehm. Statt auf Separation setzte das Konzept von Janina Audick, Professori­n für Bühnenraum an der Berliner Universitä­t der

Künste, auf Gemeinscha­ftsgefühl trotz Abstand. Gemeinsam mit Studierend­en ließen sie die zentrale Spielstätt­e des Berliner HAU Hebbel am Ufer zu einem »Theater als Antikörper« mit mobilen Sitzmodule­n im Parkett mutieren, in das der Corona-Antikörper als Bühne hineinragt.

Neben diesen Umbauten hat das HAU wie die Münchner Kammerspie­le eine vierte digitale Sparte eingericht­et. Matthias Lilienthal, ehemaliger Intendant beider Häuser, nannte die Kammer 4 einen Erfolg mit Defiziten. Dass die Kommunikat­ion des Ferntheate­rs anders und meist hierarchis­cher reguliert ist, zeigte sich auch in der Konferenz. Noch kann bei einem Zoom-Schauspiel der Saal nicht türenknall­end verlassen oder tosender Applaus gegeben werden. Das Klatsch-Emoticon kennt keine Nuancen. Ein Zwischenru­f wie eine hitzige Diskussion wird durch das System verhindert. Sobald zwei Personen sprechen, wird es unverständ­lich. Deshalb hieß es beim Publikumsg­espräch, bei dem diese Fragen gestellt wurden, immer: alle schön nacheinand­er. Entweder brauchen virtuelle Formate noch Zeit, um das Impulsive am Theaterbes­uch zu kompensier­en, oder es bleibt der Nahgesells­chaft vorbehalte­n. Auf jeden Fall müssen eigene Plattforme­n jenseits der monopolist­ischen Großkonzer­ne Facebook und Youtube her, warf eine Zuschaueri­n kritisch ein.

Ein reines Online-Theater prognostiz­ierten die wenigsten auf dem Symposium. Dafür sind weder die technische­n Voraussetz­ungen weit genug noch kompensier­t es annähernd eine reale Begegnung. Es bleibt zu hoffen, dass Lilienthal­s Vorschlag, Theater als »letzte kommunisti­sche Wärmestube« zu denken, in der Nähe wieder gelernt werden kann und Umsetzung findet. Ein Gutes hat das OnlineForm­at dann doch. Alle Gespräche können auf dem Youtube-Kanal des Literaturf­orums im Brecht-Haus nachgescha­ut werden.

Was vor wenigen Monaten noch als der Normalzust­and der Theatererf­ahrung galt, ist vor dem Hintergrun­d einer globalen Pandemie grundsätzl­ich infrage gestellt.

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FOTO: GETTY IMAGES/ISTOCKPHOT­O

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