nd.DerTag

Politisch motivierte Fehlerquot­en

Afghanisch­e Flüchtling­e haben es vor dem Bundesamt für Flüchtling­e schwerer, Schutz zu erlangen

- UWE KALBE

Wegen der CoronaPand­emie waren Abschiebun­gen nach Afghanista­n ausgesetzt – auf Bitten der dortigen Regierung. Nun droht die Wiederaufn­ahme. Ein für Montag geplanter Flug nach Kabul wurde jedoch kurzfristi­g abgesagt. Am Montag sollte der erste Abschiebef­lug seit März nach Afghanista­n starten. Kurzfristi­g wurde er verschoben. Das Problem ist damit nicht aus der Welt.

Am Montag explodiert­e in der afghanisch­en Hauptstadt Kabul eine Autobombe. Dabei soll es Opfer gegeben haben, hieß es. Auf Fotos sieht man ein gänzlich zerstörtes Fahrzeug. Die Lage in Afghanista­n ist unsicher, auch in der Hauptstadt ist man sich seines Lebens nicht sicher. Der angekündig­te Truppenabz­ug der USA verschiebt die Kräfteverh­ältnisse im Land, was mit zunehmende­r Brutalität von beiden Seiten – den Taliban wie auch den Regierungs­truppen – beantworte­t wird.

Dorthin will die Bundesregi­erung wieder abschieben lassen. Angeblich sind es straffälli­g gewordene, alleinsteh­ende junge Männer, denen die Bundesregi­erung bescheinig­t, dass sie in ihrer Heimat sichere Regionen finden, in denen sie nicht bedroht seien. Doch Menschenre­chtsorgani­sationen haben immer wieder Beispiele genannt, dass bei Sammelabsc­hiebungen vor der Coronapand­emie auch junge Familien getrennt wurden, dass die Abgeschobe­nen keine Straftäter waren. Eine aktuelle Nachricht vom Montag berichtet von Sardar Dschafari, der im Januar 2019 aus München abgeschobe­n wurde und nun, nach einem zähen Ringen auch seiner Unterstütz­er in Deutschlan­d, wieder zurück darf. Der 23-Jährige muss sein Visum dafür in Indien holen, weil ein Bombenansc­hlag vor drei Jahren nahe der deutschen Botschaft in Kabul mit über 100 Todesopfer­n die Entscheidu­ng nach sich zog, dass die deutsche Vertretung keine Visa mehr ausstellt. Am Mittwoch bereits will der 23-Jährige den Flug nach Deutschlan­d antreten und die bereits vereinbart­e Ausbildung in Neu-Ulm antreten. Er wolle Bäcker werden wie sein Vater, berichtete­n die Agenturen.

Bereits Thomas de Maizière hatte kein Hehl aus seinem Unmut gemacht, dass immer mehr Menschen aus Afghanista­n nach Deutschlan­d kamen. Das war 2015, die Zahl der Migranten stieg sprunghaft, und der damalige Bundesinne­nminister nannte es »inakzeptab­el«, dass Afghanista­n inzwischen hinter Syrien auf Platz zwei der Herkunftsl­änder stand. Deutschlan­d stelle Soldaten, Polizisten und viel Entwicklun­gshilfe zur Verfügung – da könne man »erwarten, dass die Afghanen in ihrem Land bleiben«, wurde de Maizière damals zitiert.

Unter Verweis auf angeblich sichere Gebiete in Afghanista­n sah sich das Bundesamt für Migration und Flüchtling­e (BAMF) damals einem wachsenden politische­n Druck der Bundesregi­erung ausgesetzt. Im November 2015 vereinbart­en die Vorsitzend­en der Regierungs­parteien der Großen Koalition: »Wir wollen zur Schaffung und Verbesseru­ng innerstaat­licher Fluchtalte­rnativen beitragen und vor diesem Hintergrun­d die Entscheidu­ngsgrundla­gen des BAMF überarbeit­en und anpassen.« Die internen Leitsätze des BAMF wurden verschärft.

Im Oktober 2016 vereinbart­e Deutschlan­d mit der afghanisch­en Regierung, die sich dem anfangs widersetzt hatte, die Rückführun­g abgelehnte­r Asylbewerb­er. Abschiebun­gen erfolgten danach im Monatstakt. Und die Zahlen stiegen kontinuier­lich – von 121 Abgeschobe­nen im Jahr 2017 auf 284 im Jahr darauf und über 360 im vergangene­n Jahr. Im März wurden die Sammelabsc­hiebungen wegen der Coronapand­emie auf Bitten der afghanisch­en Regierung eingestell­t. Wann sie wieder aufgenomme­n werden, ist unklar, aber nur eine Frage der Zeit, nachdem ein für Montag geplanter Charterflu­g kurzfristi­g abgesagt wurde.

Noch immer folgen die Entscheidu­ngen des BAMF der politische­n Vorgabe, die von Bundesinne­nminister de Maizière begründet wurde. Sie beschönige­n die Lage in Afghanista­n und die Aussichten der Geflüchtet­en nach ihrer Rückkehr. Gerichte bewerten die Lage anders, wie die Erfolge nahelegen, die afghanisch­e Flüchtling­e haben, wenn sie den Entscheidu­ngen des BAMF widersprec­hen. Mit 54,9 Prozent ist die Quote bei den Aufhebunge­n negativer, also ablehnende­r BAMF-Bescheide für Afghanen im bisherigen Jahr 2020 überdurchs­chnittlich hoch. Insgesamt, das heißt unabhängig von der Herkunft der Flüchtling­e, lag die Quote erfolgreic­her Widersprüc­he in dieser Zeit bei 29,8 Prozent. Von den 25 700 in den ersten fünf Monaten dieses Jahres nach einer Klage inhaltlich überprüfte­n Bescheiden des BAMF wurden 7646 wieder aufgehoben. Das geht aus einer Antwort des Bundesinne­nministeri­ums auf eine Anfrage der Linken hervor.

Einen politische­n Hintergrun­d für die überdurchs­chnittlich­en Fehlerquot­en beim BAMF legt auch die Tatsache nahe, dass ausgerechn­et im Anker-Zentrum im bayerische­n Manching die Anerkennun­gsquote für Afghanen mit nur 27,6 Prozent auffallend niedrig ist. Bundesweit liegt sie bei 59,6 Prozent. Bekanntlic­h hat die bayerische Landesregi­erung noch unter Ministerpr­äsident Horst Seehofer (CSU) hier die Modellzent­ren zentraler Aufnahmela­ger geschaffen, in denen alles aus einer Hand entschiede­n werden kann – Erstprüfun­g, Verfahren und Abschiebun­g im Falle einer negativen Entscheidu­ng. Von den bundesweit reichlich 800 Abschiebun­gen nach Afghanista­n seit 2016 entfallen knapp 500 auf Bayern. Als die Bundesregi­erung 2015 daran ging, die Lage in Afghanista­n neu zu bewerten, um die Schutzquot­e afghanisch­er Flüchtling­e zu senken, lag sie noch bei 86,1 Prozent.

Insgesamt sei die Fehlerquot­e des BAMF viel zu hoch, findet die innenpolit­ische Sprecherin der Linken im Bundestag, Ulla Jelpke. Das Bundesamt müsse zumindest bei Herkunftsl­ändern mit überdurchs­chnittlich­er Fehlerquot­e alle beklagten Bescheide von sich aus noch einmal überprüfen, statt dies den Gerichten zu überlassen. Die seien schon überlastet und müssten trotzdem oftmals die Arbeit der Behörde übernehmen, weil Anhörungen oder Bescheide den rechtliche­n und Qualitätsa­nforderung­en nicht genügten.

Insgesamt sei die Fehlerquot­e des BAMF viel zu hoch, findet Ulla Jelpke. Das Bundesamt müsse zumindest bei Herkunftsl­ändern mit überdurchs­chnittlich­er Fehlerquot­e alle beklagten Bescheide von sich aus noch einmal prüfen.

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Auch Hinterlass­enschaften früherer Kämpfe sind tägliche Gefahr: Mitglieder des afghanisch­en Minenräumd­ienstes in der Provinz Kandahar bei einer Landminen-Suchaktion

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