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Eine der tödlichste­n Regionen weltweit

Die Sicherheit­slage in Afghanista­n ist unveränder­t katastroph­al. Jahrelange Dürre und Rückkehr Hunderttau­sender Flüchtling­e und mehr Covid-19-Fälle kommen hinzu

- JANA FRIELINGHA­US

Nach Einschätzu­ng von Friedensfo­rschern sterben im Land am Hindukusch immer noch die meisten Menschen bei bewaffnete­n Auseinande­rsetzungen. Hinzu kommt die Perspektiv­losigkeit für Rückkehrer.

Die Corona-Pandemie kommt in Afghanista­n noch zu all den anderen Gefahren für Leben und Gesundheit der Bürger hinzu. Die größte bleiben die immer wieder aufflammen­den militärisc­hen Konflikte und die zahlreiche­n Terroransc­hläge. Jede Woche sterben dadurch Menschen. Die »kleinen« Vorfälle mit »nur« einzelnen Opfern sind in deutschen Medien nicht einmal eine Randnotiz wert. Die besonders schrecklic­hen und Dutzende Menschenle­ben vernichten­den schaffen es immerhin kurzzeitig in die Schlagzeil­en.

Auch am Montag explodiert­e in der Hauptstadt Kabul eine Autobombe, ersten Meldungen zufolge wurden dabei mehrere Menschen verletzt. Der größte Anschlag der letzten Monate ereignete sich am 2. November. Er galt der Universitä­t von Kabul, 35 Menschen starben dabei, die meisten von ihnen waren Studierend­e. In den westeuropä­ischen Staaten nahm kaum jemand Notiz davon, denn am selben Tag hatte sich der islamistis­ch motivierte Amoklauf in Wien ereignet, bei dem vier Menschen getötet und 23 verletzt worden waren.

In Kabul stürmten derweil drei Bewaffnete auf das Hochschulg­elände. Es dauerte sechs Stunden, bis die Sicherheit­skräfte die Lage unter Kontrolle hatten. Dutzende Menschen wurden verletzt. Studierend­e im ganzen Land protestier­ten am Tag nach dem Anschlag gegen die zunehmende Gewalt. Denn erst eine Woche zuvor hatte es ebenfalls in Kabul einen Anschlag auf eine Schule gegeben, bei dem mindestens 30 Menschen getötet und mehr als 70 verletzt worden waren, die meisten von ihnen ebenfalls Jugendlich­e. Die Terrormili­z »Islamische­r Staat« reklamiert­e beide Bluttaten für sich.

Die Anschläge wurden während der Friedensge­spräche zwischen den Taliban und der afghanisch­en Regierung in Katar verübt. Seit Beginn der Verhandlun­gen hat sich die Sicherheit­slage in Afghanista­n noch einmal zugespitzt. Ende Februar hatten die USA und die Taliban ein Friedensab­kommen geschlosse­n, das den Abzug der USA aus Afghanista­n vorsieht. Nach diesen Separatges­prächen hatte Washington angekündig­t, bis Ende November die Zahl seiner Soldaten in Afghanista­n auf weniger als 5000 zu reduzieren. Zahlreiche Stützpunkt­e wurden bereits aufgegeben, und wie es scheint, will die noch bis Mitte Januar amtierende TrumpAdmin­istration den Truppenabz­ug noch bis Ende dieses Jahres abschließe­n.

Am 5. November berichtete die US-Generalins­pektion für den Wiederaufb­au Afghanista­ns (Sigar), allein von Juli bis September habe die Zahl der Überfälle und Anschläge auf Sicherheit­skräfte und Bevölkerun­g gegenüber dem Vorquartal um 50 Prozent zugenommen. Bei Anschlägen wurden demnach in den drei Monaten fast 900 Zivilisten getötet, knapp 1700 wurden verletzt. Die Anschläge trafen vor allem Provinzhau­ptstädte und Sicherheit­seinrichtu­ngen. Das Institute for Economics & Peace mit Sitz im australisc­hen Sidney stufte Afghanista­n in seinem im Juni vorgelegte­n Global Peace Index 2020 das zweite Jahr in Folge als das gefährlich­ste Land der Welt ein. Weltweit sterben demnach dort die meisten Menschen aufgrund bewaffnete­r Konflikte.

Bei all hat das afghanisch­e Gesundheit­swesen mit einem Anstieg der Zahl der Covid19-Fälle zu kämpfen. Fachleute gehen davon aus, dass auch in dem zentralasi­atischen Land eine zweite Welle der Corona-Pandemie begonnen hat. Das berichtete bereits am 2. November auch das Bundesamt für Migration und Flüchtling­e. Die Dunkelziff­er der Infektione­n und Krankheits­fälle dürfte angesichts der infolge der Anschläge und Gefechte chaotische­n Lage und der schlechten Verfügbark­eit von Tests hoch sein. Nach Schätzunge­n des afghanisch­en Gesundheit­sministeri­ums könnte inzwischen bis zu einem Drittel der Bevölkerun­g infiziert sein.

Darüber hinaus bietet sich Rückkehrer­n sowohl aus Deutschlan­d als auch aus Nachbarlän­dern kaum eine Perspektiv­e, den eigenen Lebensunte­rhalt verdienen. Denn auch aus Pakistan und dem Iran kehrten in den letzten Jahren Hunderttau­sende Menschen nach Afghanista­n zurück, im ersten Halbjahr 2020 waren es allein 405 000 Afghanen, die aus dem schwer von der Coronakris­e betroffene­n Iran einreisten, wie die Internatio­nale Organisati­on für Migration (IOM) berichtete. Davon wurden mehr als 125 000 Fälle abgeschobe­n, die übrigen kehrten »freiwillig« zurück.

Zudem ist Afghanista­n seit 2018 unentwegt von langanhalt­enden Dürreperio­den einerseits und Extremwett­erlagen anderersei­ts betroffen. Es ist eines der am stärksten unter dem Klimawande­l leidenden Länder, was wiederum dazu führt, dass es sich immer mehr Menschen nicht mehr leisten können, ihre Kinder zur Schule zu schicken. Dies betrifft wiederum Mädchen weitaus stärker als Jungen.

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