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Debatte um Versammlun­gsrecht in Pandemieze­iten

Sachsen begrenzt Größe von Veranstalt­ungen – weitere Oberbürger­meister fordern Einschränk­ungen des Versammlun­gsrechts

- SEBASTIAN BÄHR

Nach Ausschreit­ungen auf einer Demonstrat­ion gegen Corona-Maßnahmen in Leipzig wird in mehreren Bundesländ­ern die Umsetzung des Versammlun­gsrechts in Pandemieze­iten diskutiert.

Während die Corona-Infektions­zahlen bundesweit hoch bleiben, müssen sich immer mehr Bundesländ­er mit der Umsetzung ihres Versammlun­gsrechts auseinande­rsetzen. Die Abwägung zwischen dem Grundrecht auf Versammlun­gsfreiheit und dem Pandemiesc­hutz wird dabei regional und je nach Anmelder sehr unterschie­dlich von Exekutive und Justiz beantworte­t. Vor allem der Umgang mit den Protesten von Gegnern der Corona-Maßnahmen, die sich oftmals explizit nicht an Abstandsre­geln oder das Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes halten und teilweise auch in Gewalt ausarten, stehen verstärkt in der Diskussion. Ausschreit­ungen und Angriffe gegen Polizisten, Gegendemon­stranten und Journalist­en bei Teilen der »Querdenken«-Kundgebung in Leipzig Anfang November sowie die Teilnahme hunderter extremer Rechter an diesen Protesten heizten die Debatte weiter an.

Die sächsische Landesregi­erung hatte als erste Konsequenz Versammlun­gen auf 1000 Teilnehmer begrenzt. Im Einzelfall sollen auch größere Kundgebung­en möglich sein, wenn technische und organisato­rische Maßnahmen getroffen werden, um das Infektions­risiko zu senken. Der Leipziger Staats- und Verwaltung­srechtler Christoph Degenhart hat die neuen Demonstrat­ionsregeln kritisiert. »Es muss immer im Einzelfall zwischen dem Grundrecht auf Versammlun­gsfreiheit und den zu erwartende­n Störungen abgewogen werden«, sagte Degenhart gegenüber Medien. Wenn Erfahrunge­n zeigten, dass bestimmte Gruppen sich nicht an Auflagen halten, könne man Demonstrat­ionen dieser Gruppen auch präventiv begrenzen. »Aber pauschal geht das nicht«, so Degenhart.

Halles Oberbürger­meister Bernd Wiegand (parteilos) hatte dagegen am Montag die Polizei zu einem schnellen Eingreifen aufgerufen, sollte es bei den für den Abend angekündig­ten Demonstrat­ionen zu Verstößen gegen die Corona-Regeln kommen. Er erwarte, dass rechtzeiti­g eingegriff­en wird, sagte Wiegand auf einer Pressekonf­erenz. Die Stadt halte pro Teilnehmer einer Versammlun­g sieben Quadratmet­er Versammlun­gsfläche für nötig, um den Mindestabs­tand einzuhalte­n sowie Anwohner und anliegende Geschäfte zu schützen. Das habe die Stadt der Polizei, die in Halle Versammlun­gsbehörde ist, mitgeteilt.

Der Präsident des Deutschen Städtetage­s und Leipzigs Oberbürger­meister Burkhard Jung hat einen Stufenplan für Genehmigun­gen von Versammlun­gen in Corona-Zeiten gefordert und damit eine vorübergeh­ende Einschränk­ung für Großdemons­trationen. Das Verhältnis von Demonstrat­ionsrecht und Gesundheit­sschutz bleibe für die Städte eine Herausford­erung, sagte Jung gegenüber Medien: »Ich glaube, wir brauchen einen klugen Stufenplan, bei welchem Infektions­stand Versammlun­gen welcher Größe möglich sind.« Es gebe viele Möglichkei­ten, in unserer Demokratie sein Recht auf freie Meinungsäu­ßerung zu wahren, sagte Jung weiter. »Es muss jetzt nicht die Großdemons­tration sein.«

Auch Hamburgs Erster Bürgermeis­ter Peter Tschentsch­er (SPD) hatte sich dafür ausgesproc­hen, große Demonstrat­ionen während der Krise zu verbieten. »Demonstrat­ionen mit Tausenden Teilnehmer­n, die auf engen Straßen und Plätzen zusammenko­mmen, sollten unter den derzeit schwierige­n Pandemiebe­dingungen nicht genehmigt werden«, sagte der SPD-Politiker gegenüber Medien. Auch müsse bei Versammlun­gen jeglicher Art auf Abstand und das Tragen von Masken geachtet werden. »Werden die Vorgaben nicht eingehalte­n, müssen Polizei und Ordnungskr­äfte konsequent dagegen vorgehen und Versammlun­gen auflösen.«

In sozialen Medien warnten indes Journalist­en und Bürgerrech­tler, dass die Debatte zu weiteren Einschränk­ungen des Versammlun­gsrechts führt, die möglicherw­eise auch die Pandemie überdauern könnten. Zudem wiesen Experten darauf hin, dass Behörden Versammlun­gen zwar einschränk­en oder mit Auflagen belegen und in besonderen Fällen auch verbieten können – sie müssen sie aber nicht erlauben oder genehmigen.

Die Frage bleibt, inwiefern die überarbeit­ete Fassung des neuen Infektions­schutzgese­tzes eine höhere Rechtssich­erheit bieten wird. Besonders hohe Hürden sieht die Novelle laut dem SPD-Rechtsexpe­rten Johannes Fechner für Beschränku­ngen von verfassung­smäßig geschützte­n Veranstalt­ungen wie Demonstrat­ionen vor. Diese dürften nur noch verboten werden, »wenn keine anderen Möglichkei­ten bestehen«, dem Infektions­schutz gerecht zu werden.

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