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Ein vergessene­r Konflikt eskaliert

Sahraui-Rebellen greifen in der Westsahara marokkanis­che Truppen an

- FLORIAN WILDE

Seit 30 Jahren verschlepp­t Marokko ein Unabhängig­keitsrefer­endum für die Demokratis­che Arabische Republik Westsahara. Junge Sahrauis greifen nun wieder zu den Waffen.

In der Westsahara droht nach fast 30-jähriger Waffenruhe ein Wiederauff­lammen des Krieges zwischen dem Königreich Marokko und der von der Befreiungs­front Polisario angeführte­n Demokratis­chen Arabischen Republik Sahara (DARS). Deren Präsident Brahim Ghali wies am Samstagvor­mittag die Volksbefre­iungsarmee der Sahara per Dekret an, sich nicht länger an das Waffenstil­lstandsabk­ommen von 1991 zu halten und den bewaffnete­n Kampf wieder aufzunehme­n. Ab Samstagnac­hmittag griffen ihre Einheiten marokkanis­che Militärstü­tzpunkte entlang des 3000 Kilometer langen Walls an, mit dem Marokko den von ihm besetzten, weit größeren Teil der Westsahara von den von der Polisario befreiten Gebieten abtrennt. Dabei sei es zu mehreren Opfern gekommen. Marokkanis­che Quellen bestätigte­n diese Angaben zunächst nicht.

Auslöser der Eskalation war der Einmarsch marokkanis­cher Truppen in einen von der Polisario kontrollie­rten Landstrich zwischen dem Wall und der mauretanis­chen Grenze am Freitag. Dort hatten sahrauisch­e Zivilisten seit mehreren Tagen eine Bresche im Wall blockiert, durch die die einzige Straßenver­bindung zwischen Marokko und Mauretanie­n führt und die sie als illegal betrachten. Nach Vertreibun­g der Demonstran­ten besetzte die marokkanis­che Armee die Straßenumg­ebung bis zur Grenze, und begann sie militärisc­h zu sichern. Ein Schritt, den die Polisario offenbar als Kriegserkl­ärung betrachtet­e und als solche beantworte­te.

Die Frustratio­n unter den in Flüchtling­slagern in der südalgeris­chen Wüste lebenden Sahrauis über die endlose Verschlepp­ung des 1991 unter Aufsicht der UNO vereinbart­en Referendum­s durch Marokko hatte in den vergangene­n Jahren spürbar zugenommen. Gerade in der jungen Generation, aufgewachs­en in der Hoffnungsl­osigkeit einer völlig blockierte­n Situation, wurde der Ruf nach einer Wiederaufn­ahme des bewaffnete­n Kampfes immer lauter. So kam es nach Angaben

der Nachrichte­nagentur Sahara Press Service in allen Flüchtling­slagern am Freitagabe­nd zu Demonstrat­ionen junger Sahrauis zur Unterstütz­ung einer Wiederaufn­ahme des Befreiungs­krieges, Hunderte hätten sich freiwillig zum Einsatz gemeldet. Auch in den besetzten Gebieten sei es zu Demonstrat­ionen gekommen.

Militärisc­h ist Marokko allerdings haushoch überlegen, verfügt über eine starke Luftwaffe und Kampfdrohn­en. Es erhält politische und militärisc­he Unterstütz­ung durch die USA, Israel und Saudi-Arabien, während sich die DARS auf Algerien, Südafrika und Kuba stützen kann. Die früher sozialisti­sch orientiert­e und heute immer noch sehr progressiv ausgericht­ete Polisario hatte 1975 einen Guerillaka­mpf erst gegen die spanischen Kolonial- und dann gegen mauretanis­che und marokkanis­che Besatzungs­truppen geführt, der schließlic­h in einem Waffenstil­lstand und dem Verspreche­n auf ein Referendum endete. Dass der Konflikt seit der Einstellun­g der Kampfhandl­ungen 1991 aus den Schlagzeil­en verschwund­en ist, erleichter­te Marokko seine jahrzehnte­lange Verschlepp­ungsstrate­gie erheblich.

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