nd.DerTag

Wiens SPÖ wechselt Partner

In Österreich­s Hauptstadt regieren künftig die liberalen NEOS mit

- STEFAN SCHOCHER, WIEN

Keine Neuauflage der rot-grünen Koalition: Die künftige Stadt- und Landesregi­erung von Wien wollen Sozialdemo­kraten und Liberale miteinande­r bestreiten.

In Summe klingt es wie ein politische­s Discounter-Flugblatt: »Wiener Bildungsve­rsprechen« steht da zusammen mit einer »Joboffensi­ve 50plus« und »Lehrlingso­ffensive«, auch eine »Klimaschut­z-Offensive« soll es geben, »erneuerbar­e Energien« will man forcieren, »mehr Grünfläche­n«, »Abfallverm­eidung« und »Transparen­z«. Die seit jeher in Wien regierende­n Sozialdemo­kraten haben sich geeinigt mit den liberalen NEOS. Bürgermeis­ter Michael Ludwig (SPÖ) nennt es eine »Fortschrit­tskoalitio­n«. An Details wie Personalie­n und Ressortauf­teilung wurde am Montag noch gefeilt, das Programm aber steht. Am Dienstag sollte die Koalition final verkündet werden.

Damit sind die Grünen nach zehn Jahren raus aus der Koalition und die SPÖ hat einen neuen Partner in Wien. Einen, so wohl eine Hoffnung hinter dem Wechsel, der weniger aneckt als die Wiener Grünen, die dem linken Flügel der Partei zugerechne­t werden können. An strittigen Themen hat es ja zuletzt nicht gemangelt. Vor allem bei der Verkehrspo­litik waren sich die Koalitionä­re zuletzt auch öffentlich in die Haare geraten. Etwa beim Plan der Grünen, die Wiener Innenstadt autofrei zu machen.

Dabei war von Anfang an klar, dass die Grünen nicht Ludwigs erste Wahl sind. Hatte er die Koalition doch erst im Januar 2018 von seinem Amtsvorgän­ger Michael Häupl geerbt. Und unterschie­dlicher könnten Häupl und Ludwig nicht sein: Häupl, ein hemdsärmel­iger Pragmatike­r durchaus humanistis­cher Prägung und mit im Kern linken, sozialdemo­kratischen Überzeugun­gen, die er durchaus auch gegen Widerständ­e durchzog; Ludwig dagegen ist einer jener SPÖMänner, die dem rechten Lager der Partei zugerechne­t werden können und die sich gern an populären Mehrheiten orientiere­n. Eine Koalition mit der FPÖ hatte er zwar ausgeschlo­ssen. Aber Ludwig ist durchaus einer, der auch schon mal zusammen mit dem burgenländ­ischen Landeshaup­tmann Hans Peter Doskozil (der hatte eine Koalition mit der FPÖ) gegen die SPÖ-Bundesspit­ze unter Pamela Rendi-Wagner zu Felde zieht.

Dass Ludwig die Koalition mit den Grünen auflöste, war also keine große Überraschu­ng. Ebenso, dass keine Koalition mit der ÖVP – bei der Wahl in Wien auf Platz zwei – zustande kam. Bleiben die NEOS, aber auch diese Koalition birgt ihre Tücken. Zwar halten die NEOS an Mandaten gerade einmal die Hälfte der Grünen, aber Bürgermeis­ter Ludwig lässt sich mit einer Partei ein, die sich vor allem auf Bundeseben­e in Permanenz zu profiliere­n versucht, wo die SPÖ kaum präsent ist. Dem Vernehmen nach dürften die NEOS das Bildungsre­ssort zugesproch­en bekommen. Bereits im Wahlkampf hatten die NEOS massiv mit bildungspo­litischen Themen geworben.

Für die Grünen ist das Platzen der Koalition bitter. Die Regierungs­beteiligun­g hatte der Partei die Chance geboten, kommunale Realpoliti­k vorzuzeige­n, während man auf Bundeseben­e in einer Koalition steckt, in der die ÖVP die Themen bestimmt. In Wien aber konnten Integratio­nspolitik, Bildungspo­litik, Verkehrspo­litik mit grüner Handschrif­t praktizier­t werden.

Was die neue Stadtregie­rung konkret vorhat, lässt sich nur erahnen. Bei der Bildung dürfte ein Ausbau des bilinguale­n Unterricht­s und der Ganztagssc­hulen anstehen, in der Verkehrspo­litik auch ein weiterer Ausbau des Radwegenet­zes. Die politische­n Marktschre­iersprüche gilt es nun mit Inhalten zu füllen.

Newspapers in German

Newspapers from Germany