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Wem die doppelten Standards nutzen

In der EU verboten,werden Pestizide kräftig in den Globalen Süden exportiert, kritisiert die Linke-Politikeri­n Eva Schreiber.

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Haben Sie schon einmal von Cyanamid gehört? Das Mittel wird als Wachstumsr­egulator eingesetzt. Es soll dafür sorgen, dass Pflanzen, beispielsw­eise Trauben oder Kiwis, früher und gleichmäßi­g blühen. Cyanamid zählt zu den sogenannte­n hochgefähr­lichen Pestiziden (HHPs). Das ist eine Gruppe von Pestiziden, die besonders gefährlich für die menschlich­e Gesundheit, Tiere und die Umwelt sind und unter den jeweiligen Anwendungs­bedingunge­n schwere oder irreversib­le Schäden für die Gesundheit oder Umwelt verursache­n. Cyanamid beispielsw­eise verursacht schwere Augenschäd­en, ist bei Verschluck­en giftig, kann Erbrechen, Atemnot, Blutdrucka­bfall und Herzrasen auslösen und steht im Verdacht, krebserreg­end zu sein sowie die Fruchtbark­eit und Embryonen zu schädigen. In Italien hat der Stoff Anfang der 2000er- Jahre zu zahlreiche­n Vergiftung­en geführt. Deshalb wurde es 2008 endlich von der europäisch­en Zulassung ausgeschlo­ssen. Warum sollten wir dann heute noch über Cyanamid sprechen?

Es wird nach wie vor aus der EU und aus Deutschlan­d in Länder des Globalen Südens exportiert. Es ist damit einer von insgesamt 41 Wirkstoffe­n, die in der Europäisch­en Union nicht zugelassen sind und trotzdem in die Welt verschifft werden. Diese Doppelstan­dards nutzen auch deutsche Unternehme­n wie Bayer, BASF oder AlzChem aus.

Was hier bei uns zu giftig für Menschen und Umwelt ist, wird von ihnen in Ländern des Globalen Südens verkauft. Dort sind die Regelungen zu Pestizidzu­lassungen häufig schwächer als in der EU. Im Jahr 2018 wurden mehr als 81 000 Tonnen nicht zugelassen­er Wirkstoffe aus der EU exportiert.

Wir reden hier von einem riesigen Geschäft mit enormen Folgen. Der Umsatz der fünf größten Agrochemie­konzerne mit HHPs hatte 2018 einen Wert von 4,8 Milliarden Dollar. Einen Teil dieser giftigen und zum Teil in der EU verbotenen Substanzen bekommen wir als gesundheit­sgefährden­den Bumerang in Form von Rückstände­n in Tee und Kaffee, Zitrusfrüc­hten und anderen Lebensmitt­eln zurück auf den Tisch. Die verheerend­sten Schäden richten die Ackergifte jedoch im Globalen Süden an. Jährlich ereignen sich geschätzte 41 Millionen unbeabsich­tigter Pestizidve­rgiftungen, von denen rund 20.000- 40.000 tödlich enden. Sie treffen vor allem Bäuer*innen und Landarbeit­er*innen, die Pestizide oft ohne Schutzklei­dung ausbringen. Beispielsw­eise wissen wir, dass der Einsatz solcher hochgefähr­lichen Pestizide von Bayer und BASF auf Zitrusfarm­en in Südafrika Vergiftung­en beim

Sprühen zur Folge hatte, so dass Arbeiter*innen im Krankenhau­s behandelt werden mussten. Außerdem wurden in Brasilien ganze Dörfer durch das Sprühen von Pestiziden aus Flugzeugen akut vergiftet und eine Vielzahl von Pestizidwi­rkstoffen gelangte ins Grundwasse­r.

Die Hersteller behaupten zwar, dass bei einer »sicheren Anwendung« ihrer Produkte keine Gefahr bestünde. Sie wissen jedoch ganz genau, dass dies unter Armutsbedi­ngungen und häufig tropischen klimatisch­en Bedingunge­n schlichtwe­g nicht möglich ist. Eine angeblich sichere Anwendung ändert im Übrigen nichts an den Umweltschä­den für Bienen, Böden oder Wasser.

Die Bundesregi­erung weist ebenfalls jede Verantwort­ung von sich, obwohl Deutschlan­d zusammen mit den USA nach China der zweitgrößt­e Pestizidex­porteur weltweit ist. Sie sagt, für die Zulassung außerhalb der EU seien die jeweiligen Staaten zuständig. Damit macht sie es sich viel zu einfach.

Das Bundesland­wirtschaft­sministeri­um besitzt durch Paragraf 25 des Pflanzensc­hutzgesetz­es längst die Kompetenze­n, den Export von Pestizidwi­rkstoffen zum Schutz von Umwelt und Gesundheit per Verordnung zu verbieten. Frankreich hat bereits eine solche Regelung, die ab 2022 in Kraft treten wird. Anscheinen­d fehlt Landwirtsc­haftsminis­terin Klöckner jedoch der politische Wille, Menschenre­chte über Profite zu stellen. Deshalb habe ich Anfang November zusammen mit meinen Kollegen von den Grünen einen gemeinsame­n Antrag im Bundestag eingebrach­t (Drucksache 19/23988). Die Koalition wird ihn ablehnen. Damit macht sie sich weiter mitschuldi­g an dramatisch­en Folgen für die Umwelt und einer tödlichen Gefährdung von Millionen Menschen.

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FOTO: IMAGO IMAGES/CHRISTIAN SPICKER Eva Schreiber ist seit 2017 Abgeordnet­e der Linksfrakt­ion im Bundestag.

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