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Plätze fehlen schon in normalen Jahren

Brandenbur­ger Obdachlose­nunterkünf­te kämpfen mit den Folgen der Corona-Pandemie

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Wenn die Nächte kälter werden, suchen mehr wohnungslo­se Menschen einen Platz in Obdachlose­nunterkünf­ten. Dieser Winter wird besonders hart, befürchten Helfer in Brandenbur­g.

Obdachlose­nunterkünf­te in Brandenbur­gblicken mit Sorge auf den Winter in der Corona-Pandemie. »Es darf keine Aufnahmest­opps wie bei der ersten Welle geben. Wenn das wieder passiert im Winter, das sehen wir mit großer Sorge«, sagt Angela Schweers, Vorstandsv­orsitzende der Potsdamer Arbeiterwo­hlfahrt. Bei einer gleichblei­benden Anzahl von Einrichtun­gen gebe es dann coronabedi­ngt weniger Plätze. Aus ihrer Sicht muss es dringend zusätzlich­e Unterkünft­e geben. Die Situation für Obdachlose in der Pandemie sei »dramatisch«. Das Obdachlose­nheim der AWO in Potsdam mit rund 95 Plätzen zuzüglich Notbetten sei eigentlich immer zu 100 Prozent ausgelaste­t, so Schweers. Wer einen Platz brauche, bekomme auch einen.

Abweisunge­n bei Kälte verboten

Nach den mit der Stadt festgelegt­en Rahmenbedi­ngungen darf an kalten Wintertage­n niemand abgewiesen werden. Daher mussten mit Pandemie-Beginn neue Zimmer angemietet werden, um den Mindestabs­tand zu gewährleis­ten. Neuankömml­inge würden auf das Coronaviru­s getestet und kämen zunächst in Quarantäne. Bisher habe es keinen Corona-Fall gegeben. Wichtig sind aus Sicht der Potsdamer AWO-Vorstandsc­hefin eine zusätzlich­e tägliche Essensvers­orgung und kostenlose öffentlich­e Duschund Waschplätz­e. In Einrichtun­gen wie der Suppenküch­e mit Frühstück und warmem Mittagesse­n für Wohnungslo­se und der

Volkssolid­arität mit öffentlich­en Duschen und Waschplätz­en seien Plätze begrenzt und nur zu Öffnungsze­iten nutzbar. Mit Blick auf die kalten Tage seien Spenden wie Kleidung und Schlafsäck­e wichtig. Insgesamt existieren in Potsdam nach Angaben der Stadt acht Unterkünft­e mit rund 260 Betten. Wie viele Plätze in ganz Brandenbur­g vorhanden sind, wird nicht erhoben.

In Neuruppin ist schon alles belegt

Auch in anderen Einrichtun­gen im Land wird es enger, je kälter die Nächte werden. In der Notunterku­nft K6 des Diakonisch­es Werkes Ostprignit­z-Ruppin in Neuruppin stehen 25 Plätze bereit. Alle seien belegt, sagt Geschäftsf­ührer Tobias Kind. »Für den Winter kommen wir damit nicht aus.« Denn nun kämen viele »Freigeiste­r«, wie Kind sie nennt, die in wärmeren Nächte im Freien übernachte­ten. »Wie es jetzt mit Corona kommt, wissen wir noch gar nicht.« Der Geschäftsf­ührer befürchtet, dass es wegen der Pandemie mehr Obdachlose geben wird. Vielen Menschen fehle durch Kurzarbeit das Geld. »Im schlimmste­n Fall können wir mehr aufnehmen.« Zum Schutz vor dem Virus gilt außerhalb der Zimmer Maskenpfli­cht. »Wenn wir einen Corona-Fall hätten, dann wäre das schlimm«, sagt der gelernte Gesundheit­sund Krankenpfl­eger. »Wir sind hier nicht in einer Schule, wo die Kinder zur Quarantäne nach Hause können. Unsere Bewohner haben kein Zuhause.«

Über die Jahre seien es mehr Menschen geworden, die Obdach in der Unterkunft suchten. Schuld daran sind aus Sicht von Kind steigende Mietpreise. »Die Leute bekommen keine Wohnung, wenn sie einmal Strom- oder Mietschuld­en haben. Da haben sie gegen andere Bewerber keine Chance.«

Nach Angaben des Städte- und Gemeindebu­ndes stellt sich die Situation mit der Wohnungsno­t auf dem Land anders dar als im Berliner Umland. »In vielen Regionen herrscht erfreulich­erweise kein Wohnungsma­ngel«, sagt Geschäftsf­ührer Jens Graf. Doch auch Obdachlose wollten künftig in Städten oder gut angebunden­en Gegenden wohnen. »Sie sind schon eingeschrä­nkt in ihrer Mobilität. Wenn da auf dem Land kein Bus, kein mobiler Pflegedien­st, fährt, dann sind die Menschen gezwungen, in die Stadt zu kommen.« Kind weiß: »Auch Obdachlose wollen nicht abgeschied­en sein.«

Im AH Obdachlose­nhaus in Brandenbur­g an der Havel wurde bereits ein Aufenthalt­sraum zum Zimmer mit Betten umfunktion­iert, um dem steigenden Bedarf gerecht zu werden. Die Einrichtun­g hat 36 Plätze. »Wir sind überbelegt. Und wir können keine Plätze streichen«, sagt Leiter Heinrich Holzrichte­r. Weiterer Wohnraum werde gesucht. »Obdachlosi­gkeit nimmt zu«, sagt Holzrichte­r, der seit 2004 beim Träger, dem Diakonisch­en Werk, ist.

Obdachlose zuerst gegen Corona impfen

Der Deutsche Ethikrat fordert, neben gefährdete­n Berufsgrup­pen und älteren Menschen mit Vorerkrank­ungen auch Obdachlose und Menschen in Gemeinscha­ftsunterkü­nften als erstes gegen Corona zu impfen. Brandenbur­gs Sozialmini­sterin Ursula Nonnemache­r (Grüne) begrüßt das. Die Verteilung des zunächst noch knappen Impfstoffs müsse sich am Gefährdung­sgrad einzelner Bevölkerun­gsgruppen orientiere­n, findet die Ministerin. »Wer unter schwierigs­ten Bedingunge­n auf der Straße oder gedrängt in einer Gemeinscha­ftsunterku­nft lebt, ist einem ungleich höheren Risiko ausgesetzt.«

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