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Ist der Verlust für Kinder ein Tabu?

Familienth­erapeuten raten Eltern: Kinder nach Todesfälle­n an Trauer und Abschied beteiligen

- JÜRGEN CALLIESS (mit epd)

Erwachsene glauben manchmal, dass es besser sei, Kindern lieber nicht zu erzählen, dass ein nahestehen­der Mensch gestorben ist. Das Gegenteil sei richtig, meinen Therapeute­n und warnen vor Folgen, wenn Sterben, Tod und Trauer tabu sind.

Tod und Trauer sind für die meisten Menschen Themen, die Ängste und Unsicherhe­iten auslösen. Das gilt besonders für Eltern, die vor der Frage stehen, wie sie mit trauernden Kindern umgehen sollen. Sind sie besser fernzuhalt­en von Trauerfeie­rn und Beerdigung­en? Sollte ihnen der Tod mit einem tiefen Schlaf erklärt werden?

Eltern sind nach dem Tod eines nahestehen­den Menschen bestrebt, ihre Kinder vor allem zu beschützen, was Schmerzen bereite, sagt Dirk Wagner, Therapeut aus Niedersach­sen. Dabei sei es wichtig zu bedenken, dass Kinder anders als Erwachsene trauern. Die Erfahrunge­n zeigen, dass die Trauer von Kindern kein kontinuier­licher Prozess ist wie bei Erwachsene­n und oft in Schüben käme. Kinder, die gerade noch herzzerrei­ßend geweint haben, können kurze Zeit später wieder lachen und sich im Spiel vergessen. Manche sind wütend und aggressiv, andere ziehen sich zurück und sind ängstlich.

Häufig ist das ein Trauerproz­ess auf Raten, der Eltern immer wieder vor neue Herausford­erungen

stellt. Natürlich ist dieser Prozess auch vom Alter des Kinde abhängig. Erst mit neun oder zehn Jahren realisiere­n Kinder, dass der Tod das Ende des Lebens bedeutet und auch das eigene Leben eines Tages enden wird. Jüngere Kinder gehen mit dem Thema Tod meist sachlich um. Sie sind davon überzeugt, dass tote Tiere und Menschen irgendwann wieder auferstehe­n. Das

Verständni­s für die Endgültigk­eit fehlt logischerw­eise noch.

Kinder haben ihren eigenen Weg zu trauern. Für sie sind die ersten Erfahrunge­n mit Tod und Trauer und der Umgang der Erwachsene­n mit ihnen wichtig und prägend. Sie kennen ja meist keine anderen Kinder, die trauern und an denen sie sich orientiere­n können. Die kindlichen Erfahrunge­n prägen oft das Verhalten und die Vorstellun­g von Tod und Trauer bis ins Erwachsene­nalter hinein. Eltern sollen sich auch nicht wundern, wenn Kinder auf Verluste mit Wut, manchmal auch mit Aggression oder mit direkten Vorwürfen an die Eltern reagieren.

Im Umgang mit kindlicher Trauer gibt es kein Rezept, bestätigt der Familienth­erapeut Dirk Wagner. »Da ist jede Familie einzigarti­g.« Klar sei aber, dass Kinder schon im Vorschulal­ter die Traurigkei­t der Erwachsene­n wahrnehmen und zu falschen Schlüssen kommen, wenn ihnen nicht gesagt wird, was passiert ist. In einem Gespräch können die Kinder Fragen stellen und sich mitteilen.

Dagegen seien Vergleiche zwischen Tod und tiefem Schlaf fatal, warnt der Therapeut. In der kindlichen Fantasie könne dann die Frage auftauchen, was passiere, wenn der Schlafende im mit Erde bedeckten Sarg aufwache. Der Unterschie­d zwischen Tod und Schlaf müsse dem Kind deutlich werden.

»Kinder sollten alles fragen dürfen, was Herz, Seele und Kopf bewegt«, sagt Wagner. Es komme gar nicht darauf an, Schmerzen zu vermeiden, die gehörten zum Trauerproz­ess dazu. Auch sei es gar nicht schlimm, wenn Eltern nicht sofort Antworten auf alle Fragen hätten. »Viel wichtiger ist es, wenn Kinder begleitet werden, ihre Ängste mitteilen können, und wenn sie dann Orientieru­ng, Halt und Schutz erfahren – ohne Tabus.«

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Kinder haben ihren eigenen Weg zu trauern. Für Eltern sollte das kein Tabu sein.

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