Ist der Verlust für Kinder ein Tabu?
Familientherapeuten raten Eltern: Kinder nach Todesfällen an Trauer und Abschied beteiligen
Erwachsene glauben manchmal, dass es besser sei, Kindern lieber nicht zu erzählen, dass ein nahestehender Mensch gestorben ist. Das Gegenteil sei richtig, meinen Therapeuten und warnen vor Folgen, wenn Sterben, Tod und Trauer tabu sind.
Tod und Trauer sind für die meisten Menschen Themen, die Ängste und Unsicherheiten auslösen. Das gilt besonders für Eltern, die vor der Frage stehen, wie sie mit trauernden Kindern umgehen sollen. Sind sie besser fernzuhalten von Trauerfeiern und Beerdigungen? Sollte ihnen der Tod mit einem tiefen Schlaf erklärt werden?
Eltern sind nach dem Tod eines nahestehenden Menschen bestrebt, ihre Kinder vor allem zu beschützen, was Schmerzen bereite, sagt Dirk Wagner, Therapeut aus Niedersachsen. Dabei sei es wichtig zu bedenken, dass Kinder anders als Erwachsene trauern. Die Erfahrungen zeigen, dass die Trauer von Kindern kein kontinuierlicher Prozess ist wie bei Erwachsenen und oft in Schüben käme. Kinder, die gerade noch herzzerreißend geweint haben, können kurze Zeit später wieder lachen und sich im Spiel vergessen. Manche sind wütend und aggressiv, andere ziehen sich zurück und sind ängstlich.
Häufig ist das ein Trauerprozess auf Raten, der Eltern immer wieder vor neue Herausforderungen
stellt. Natürlich ist dieser Prozess auch vom Alter des Kinde abhängig. Erst mit neun oder zehn Jahren realisieren Kinder, dass der Tod das Ende des Lebens bedeutet und auch das eigene Leben eines Tages enden wird. Jüngere Kinder gehen mit dem Thema Tod meist sachlich um. Sie sind davon überzeugt, dass tote Tiere und Menschen irgendwann wieder auferstehen. Das
Verständnis für die Endgültigkeit fehlt logischerweise noch.
Kinder haben ihren eigenen Weg zu trauern. Für sie sind die ersten Erfahrungen mit Tod und Trauer und der Umgang der Erwachsenen mit ihnen wichtig und prägend. Sie kennen ja meist keine anderen Kinder, die trauern und an denen sie sich orientieren können. Die kindlichen Erfahrungen prägen oft das Verhalten und die Vorstellung von Tod und Trauer bis ins Erwachsenenalter hinein. Eltern sollen sich auch nicht wundern, wenn Kinder auf Verluste mit Wut, manchmal auch mit Aggression oder mit direkten Vorwürfen an die Eltern reagieren.
Im Umgang mit kindlicher Trauer gibt es kein Rezept, bestätigt der Familientherapeut Dirk Wagner. »Da ist jede Familie einzigartig.« Klar sei aber, dass Kinder schon im Vorschulalter die Traurigkeit der Erwachsenen wahrnehmen und zu falschen Schlüssen kommen, wenn ihnen nicht gesagt wird, was passiert ist. In einem Gespräch können die Kinder Fragen stellen und sich mitteilen.
Dagegen seien Vergleiche zwischen Tod und tiefem Schlaf fatal, warnt der Therapeut. In der kindlichen Fantasie könne dann die Frage auftauchen, was passiere, wenn der Schlafende im mit Erde bedeckten Sarg aufwache. Der Unterschied zwischen Tod und Schlaf müsse dem Kind deutlich werden.
»Kinder sollten alles fragen dürfen, was Herz, Seele und Kopf bewegt«, sagt Wagner. Es komme gar nicht darauf an, Schmerzen zu vermeiden, die gehörten zum Trauerprozess dazu. Auch sei es gar nicht schlimm, wenn Eltern nicht sofort Antworten auf alle Fragen hätten. »Viel wichtiger ist es, wenn Kinder begleitet werden, ihre Ängste mitteilen können, und wenn sie dann Orientierung, Halt und Schutz erfahren – ohne Tabus.«