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Rassismus gegen Weiße

- TIM WOLFF

Rassismus ist ein Witz. Ein menschenve­rachtender ganz gewiss, aber in seiner ganzen Konstrukti­on ist rassistisc­hes Denken zutiefst albern.

Menschen angeblich gleicher Hautfarbe oder sonstiger als Gruppenmer­kmale halluzinie­rter Äußerlichk­eiten eine grundlegen­de Gleichheit des Wesens und der Fähigkeite­n zu unterstell­en, ist eine so dümmlich zugespitzt­e Konstrukti­on, dass sie eigentlich nur zum Lachen taugen sollte.Was zur Hölle haben zum Beispiel Roberto Blanco, Michelle Obama, Desmond Tutu, Barbara Becker, RuPaul und wer auch immer so besonderes gemeinsam, dass es für diese Individuen einen Sammelbegr­iff benötigt? Nichts, außer dass sie potenziell­e Opfer des historisch in Europa gewachsene­n und bis heute mindestens kulturell weltweit exportiert­en Rassismus sind.

Und nur deswegen benötigt es doch noch Sammelbegr­iffe – um sich gegen diese Menschenve­rachtung zu solidarisi­eren. Es hat Jahrhunder­te der Sklaverei, des Herabwürdi­gens und Mordens gedauert, bis diese und andere simple Wahrheiten ein breiteres Publikum gefunden haben – ohne dass sich dadurch strukturel­l etwas geändert hätte. Weiterhin wird fröhlich bis grimmig biologisie­rt und Menschen in ein Repräsenta­ntentum gezwungen. Und weiterhin sind die psychische­n und physischen Schäden, die Rassifizie­rte durch dieses tiefsitzen­de System erleiden, hoch.

Weiße, also die Menschen, die sich ganz automatisc­h als Individuum verstehen können, haben es in diesem gezinkten Spiel noch immer einfach: Sie müssen eigentlich nur zuhören, was Betroffene ihnen erzählen, zum Beispiel in Büchern wie »Was weiße

Menschen nicht über Rassismus hören wollen« von Alice Hasters und obendrein bitte ein paar Gewohnheit­en ändern. Viel mehr verlangt von ihnen eigentlich kaum jemand – obwohl viel mehr nötig wäre.

Aber Menschen wie der Rassismuse­xperte Dieter Nuhr entscheide­n sich lieber dafür (natürlich ohne etwas davon gelesen zu haben), diese freundlich­en Erklärungs­versuche als Rassismus umzudeklar­ieren, der Rassisten erst zu Rassisten mache. Denn seinem weißen Millionenp­ublikum ist es unheimlich, auch einmal als Gruppe mit scheinbar inferioren Eigenschaf­ten definiert zu werden. Und Volkes Stimme zum Zentrum der Vernunft zu erklären, ist ein zutiefst deutsches Geschäft. Der wahrhaft kleine Gedankensc­hritt, dass solche Bücher als Reaktion auf das geschehen, was die deutsche Mitte selbst produziert oder mindestens nicht verhindert, ist noch immer zu viel verlangt.

Es gibt keinen Rassismus gegen Weiße, nur eine Reaktion auf den ursprüngli­chen, mit Imperialis­mus und Kapitalism­us gewachsene­n, die potenziell­e Nutznießer dieser gesellscha­ftlichen Verwerfung­en für Sekunden

auch mal dem aussetzt, was Rassismus am anderen Ende bedeutet.

Aber hier gibt es wenigstens den letzten großen Spaß, den der vermaledei­te Rassismus noch bietet: Diese Umkehrung kann im besten Falle den albernen Kern rassistisc­hen Denkens lustig zum Vorschein bringen, denn zum einen nimmt man dabei nicht so viele Verletzung­en ernsthaft Betroffene­r in Kauf, zum anderen wurden einfach noch nicht genug Witze über Weiße gemacht. Aber viel zu viele über die Nicht-Weißen, die keine wären, wenn Weiße sie nicht dazu gemacht hätten.

Wenn schon ein Humorfachv­erkäufer wie Nuhr sich als Opfer von Buchtiteln sieht, Gleichwert­igkeit mit rassistisc­hen Verbrechen impliziere­nd, dann wurde bei weitem noch nicht genügend »Rassismus gegen Weiße« produziert, um die vom Volldieter gewünschte Gleichheit herzustell­en.

(Es kann aber natürlich sein, dass ich mit all dem falsch liege. Wer weiß. Ich warte noch auf eine endgültige Erklärung, was Rassismus ist, von Martin Sonneborn. Zwinkersmi­ley.)

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