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Das Geheimnis der Klimaanlag­en

Das Filmfestiv­al »Afrikamera« präsentier­t die Vielfalt des afrikanisc­hen Kontinents

- KIRA TASZMAN

Mysteriöse Dinge geschehen in Luanda. Klimaanlag­en lösen sich aus ihren Verankerun­gen, fallen von den Fassaden und töten Passanten. Das Phänomen hat sich in der angolanisc­hen Hauptstadt zu einer wahren Krise entwickelt – die Behörden scheinen machtlos. Doch die Bewohner Luandas sind nicht wirklich in Gefahr: Die Plage dient nur als Aufhänger des sehenswert­en angolanisc­hen Mystery-Dramas »Air Conditione­r«. Gezeigt wird es beim diesjährig­en Festival »Afrikamera«.

Unter dem Motto »Urban Africa, Urban Movies: Politics & Revolution« präsentier­t es ab Dienstag Dutzende lange und kurze Spielund Dokumentar­filme aus ganz Afrika. Der Kurator des Festivals, Alex Moussa Sawadogo, erläutert den Schwerpunk­t so: »In den letzten zehn Jahren hat die afrikanisc­he Jugend dem Kontinent eine neue politische Richtung gegeben. Von Tunesien bis Südafrika über Ägypten und Senegal haben junge afrikanisc­he Künstler als Führungspe­rsönlichke­iten dazu beigetrage­n, Veränderun­gen bei Regimes und Regierunge­n zu bewirken.«

Das gilt natürlich auch für Filmschaff­ende. So präsentier­t der 34-jährige Regisseur Fradique mit dem eingangs erwähnten »Air Conditione­r« seinen ersten abendfülle­nden Spielfilm. Er ist eine Momentaufn­ahme einer Gesellscha­ft, die einem realistisc­hen Luanda der 1970er ähnelt, aber auf eine surreale Ebene transporti­ert wird. Im Mittelpunk­t steht der vom Krieg traumatisi­erte Wachmann Matacedo, der die Klimaanlag­e seines Chefs reparieren soll. Dabei streift er durch ein scheinbar vegetation­sloses Viertel der Stadt, dessen mittlerwei­le herunterge­kommene koloniale Gebäude noch die ehemalige Pracht erkennen lassen.

Mit einer Familie kommunizie­rt Matacedo telepathis­ch, während er bei einem als Elektrorep­arateur getarnten Zauberer auf Videokasse­tten gespeicher­te Erinnerung­en anschaut. Realistisc­h geschilder­t sind wiederum soziale Hierarchie­n sowie die prekären Wohnverhäl­tnisse des Helden in einem Universum, das unter dem Zeichen der vollkommen­en Entschleun­igung steht. Wie das Geheimnis der Klimaanlag­en zu interpreti­eren ist, steht dem Publikum bei diesem sehr originelle­n Film offen.

Mit Kinopublik­um und physischem Kontakt zu den afrikanisc­hen Filmschaff­enden kann das Festival zwar in dieser coronabedi­ngten Online-Ausgabe nicht dienen, dafür werden Publikumsg­espräche auf Facebook gestreamt, und man kann sich dazu als Teilnehmer auf »Zoom« anmelden. Auch das afrikanisc­he Kino per se leide derzeit, so Sawadogo, unter wegfallend­er Finanzieru­ng, abgesagten Dreharbeit­en und aufgeschob­enen Filmstarts: »Einige afrikanisc­he Länder wie Senegal, Burkina Faso, Tunesien usw. haben Regisseure und Produzente­n unterstütz­t, aber dies ist angesichts der finanziell­en Verluste nach wie vor unzureiche­nd.«

»Die Filme zeigen die Vielfalt der Produktion eines riesigen Kontinents, dem hierzuland­e im regulären Kinobetrie­b noch nicht genügend Aufmerksam­keit geschenkt wird.«

Das gilt allerdings nicht für den Eröffnungs­film »This is not a Burial, it’s a Resurrecti­on«, der vor Corona-Pandemie produziert wurde und 2019 in Venedig lief. Das Drama aus Lesotho, dem kleinen, von Südafrika eingeschlo­ssenen Königreich, handelt von der 80-jährigen Witwe Mantoa. Nach dem tödlichen Unfall ihres Sohnes legt sie sich zum Sterben nieder, doch der Tod will nicht kommen. So bäumt sich die Greisin ein letztes Mal auf, als bekannt wird, dass ihr Dorf geflutet werden soll und dessen Bewohner umsiedeln müssen.

Regisseur Lemohang Jeremiah Mosese sagt über seinen Film gegenüber »nd«: »Das

Wesen des sogenannte­n Fortschrit­ts ist seelenlos. Doch der Widerstand dagegen ist in vielen Ländern, auch in meinem, vergeblich.« Trotzdem kämpft die betagte Heldin unbeirrt für ihre Tradition, die in eine Zeit zurückreic­ht, bevor christlich­e Missionare das Land erreichten. Mosese: »Äthiopien und Lesotho sind die einzigen Länder Afrikas, die nie kolonisier­t wurden. Die Engländer kamen auf Einladung, nicht durch Eroberung. Man gab uns christlich­e Namen. Unsere Mythen und Gedichte wurden dämonisier­t.«

Dafür werden in dem Film die Landesspra­che Sesotho, Gebräuche und Kleidung zelebriert. Vor allem beeindruck­t jedoch die sorgfältig­e und farbenfroh­e Bildgestal­tung, besonders der Interieurs. »Ich wollte meine Ideen und Gedanken wie ein Gemälde gestalten«, so Mosese, »der Film ist quasi ein Mosaik aus Malerei.«

Dass mit dem Smartphone zwar weniger ästhetisch­e, aber nicht minder packende Bilder gefilmt werden können, beweist dagegen Karim Aïnouz’ Dokumentar­film »Nardjes A.« Über einen Zeitraum von 24 Stunden filmt er seine titelgeben­de Protagonis­tin, die am Frauentag, am 8. März 2019, in Algier auf die Straße geht. Mit engen Freunden sowie Tausenden ihrer Landsleute protestier­t die junge Frau – um den Rücken hat sie die algerische Trikolore geschlunge­n – friedlich, gut gelaunt, aber temperamen­tvoll gegen eine fünfte Amtszeit des Präsidente­n Abdelaziz Bouteflika.

Bilder bewegter Menschenme­ngen wechseln sich ab mit intimeren Momenten, wenn Nardjes, die in einem Avantgarde­Café arbeitet, von ihrer Familie erzählt. Über Generation­en kämpfte diese gegen die französisc­he Kolonisati­on und später gegen

Machtmissb­rauch. Zwar spürt man Nardjes’ Angst um ihre Freunde angesichts willkürlic­her Verhaftung­en oder Schlimmere­m – doch ihre Lebensfreu­de und ihren Mut, sich für ein freies, demokratis­ches Algerien zu engagieren, lässt sie sich nicht nehmen.

Auch die weiteren Filme, darunter der nigerianis­che Kriminalfi­lm »The Ghost and the House of Truth« (Regie: Akin Omotoso) oder der amüsante ägyptische FußballKur­zfilm »Once Upon a Time in a Café« von Noha Adel zeigen die Vielfalt der Filmproduk­tion eines riesigen Kontinents, dem hierzuland­e im regulären Kinobetrie­b längst noch nicht genügend Aufmerksam­keit geschenkt wird.

»Afrikamera. Aktuelles Kino aus Afrika«: 17. bis 22. November online.

Mehr Infos unter: www.afrikamera.de

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Mit Tausenden protestier­t Nardjes A. gegen eine fünfte Amtszeit des algerische­n Präsidente­n Bouteflika: Szene aus dem Film »Nardjes A.«

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