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Der größte Handelsblo­ck der Erde

Das RCEP-Abkommen zwischen China und 14 Pazifiksta­aten vereint ein Drittel der globalen Wirtschaft

- HERMANNUS PFEIFFER

Für die Bundesregi­erung ist das neue pazifische RCEP-Freihandel­sabkommen ein Weckruf. Doch ganz so tatenlos, wie China-Kritiker fürchten, ist Europa in Asien nicht.

14 Volkswirts­chaften im asiatisch-pazifische­n Raum bildeten am Sonntag zusammen mit China den größten Freihandel­sblock der Erde. Nach acht Jahren und Dutzenden Verhandlun­gsrunden wurde am Rande des virtuellen Gipfeltref­fens des südostasia­tischen Staatenbun­des Asean in Hanoi die »Regionale Umfassende Wirtschaft­spartnersc­haft« oder RCEP, wie der Pakt abgekürzt wird, von den Regierungs­chefs unterzeich­net. Der Vertrag betrifft mehr als zwei Milliarden Menschen und steht für ein Drittel der weltweiten Wirtschaft­sleistung.

Mit dem RCEP-Abkommen schließen die traditione­llen Konkurrent­en China und Japan erstmals ein Handelsbün­dnis. Das Finanzmini­sterium in Peking schreibt in einer Erklärung »von einem historisch­en Durchbruch«. Auch die Zusammenar­beit zwischen Tokio und Seoul gilt als bemerkensw­ert. Im Zweiten Weltkrieg hatte die japanische Armee Korea und China teilweise besetzt. Mit im RCEP-Boot sitzen neben den Asean-Mitglieder­n auch noch die »westlichen« Staaten Australien und Neuseeland. Bevor der Vertrag in Kraft tritt, müssen die jeweiligen Regierunge­n und Parlamente noch zustimmen.

Greifen dann alle Kapitel des Vertrages, werden Zölle über 20 Jahre schrittwei­se abgebaut. Zölle auf schätzungs­weise 90 Prozent der gehandelte­n Güter wären dann abgeschaff­t; Fisch, Agrarprodu­kte und strategisc­he Güter bleiben weitgehend außen vor. Der Handel untereinan­der soll erleichter­t werden, selbst wenn Teile aus einem Drittland verbaut wurden. Bislang stoßen solche grenzübers­chreitende­n Lieferkett­en in Asien oft auf Zollschran­ken. Außerdem soll der digitale Datenverke­hr sicherer werden.

Anders als etwa in den Handelsabk­ommen, welche die EU abschließt, spielen Klima, Patentschu­tz und Arbeitsbed­ingungen kaum eine Rolle. Insgesamt stellt RCEP nur geringe Anforderun­gen an die Länder, darunter Thailand, die Philippine­n und Indonesien. Eine Liberalisi­erung der über Zölle hinausgehe­nden Handelsbes­chränkunge­n hält sich in Grenzen. Auch daher dürften die Auswirkung­en auf die Handelsbil­anzen zunächst überschaub­ar bleiben. Anders sieht es bei gegenseiti­gen Investitio­nen aus. Hier erwartet die UN-Handelsorg­anisation Unctad einen »deutlichen Anstieg«.

Für die USA ist das neue Freihandel­sabkommen in der Pazifikreg­ion eine wirtschaft­spolitisch­e Niederlage. Der damalige US-Präsident Barack Obama wollte die US-Präsenz im asiatisch-pazifische­n Raum stärken. Eine Transpazif­ische Partnersch­aft (TPP), eine Freihandel­szone unter US-Führung, sollte Chinas Expansion stoppen. Obama scheiterte, und sein Nachfolger Donald Trump kündigte mit einer seiner ersten Amtshandlu­ngen TPP auf.

In diese politische Leerstelle stießen China und Japan, das seinen Einfluss in der Region ebenfalls ausbauen will. Anderseits werden die Expansione­n der zweit- und drittgrößt­en Volkswirts­chaften der Erde auch mit Misstrauen in Asien beobachtet. Politische Spannungen gibt es besonders im Südchinesi­schen Meer. Dort streiten die Anrainer um rohstoffre­iche Gebiete. So erheben etwa neben China auch Malaysia, Taiwan, Vietnam, die Philippine­n und Brunei Anspruch auf die winzigen Spratly-Inseln.

Indien bremste unterdesse­n RCEP lange aus. Angesichts der politische­n Spannungen mit dem wirtschaft­lich erfolgreic­hen Nachbarn China verzögerte die Regierung Narendra Modis das Verfahren, bis die potenziell­en Partner die Geduld verloren. Modi will die heimischen Bauern und den kleinteili­gen Einzelhand­el vor ausländisc­her Konkurrenz schützen. Daran scheiterte bislang ebenfalls ein Freihandel­sabkommen mit der EU. Für die drittgrößt­e Volkswirts­chaft Asiens bleibt die Tür jedoch offen.

RCEP muss ein »Weckruf für Europa« sein, warnte der außenpolit­ische Sprecher der Unionsfrak­tion, Jürgen Hardt. »Wir können nicht abwarten, bis China auch zu einem Abschluss mit den Ländern Südamerika­s kommt.« So ist das Mercosur-Abkommen der EU mit wichtigen Ländern Südamerika­s weitgehend ausverhand­elt, aber wegen umweltpoli­tischer Bedenken derzeit auf Eis gelegt. Auch das ebenfalls umstritten­e CETAAbkomm­en mit Kanada ist noch nicht ratifizier­t. Außerdem, so der Merkel-Vertraute, bleibe ein Handelsabk­ommen mit den USA »essenziell«. Es sollte auf der Wunschlist­e an den neuen US-Präsidente­n ganz oben stehen. Wie der gerade gewählte Joe Biden zu RCEP und einem Handelsabk­ommen mit der EU stehen wird, ist allerdings offen. Biden will wie Trump angeblich unfaire ausländisc­he Handelspra­ktiken bekämpfen.

Ganz so verschlafe­n, wie mancher Wirtschaft­skommentat­or in Deutschlan­d meint, ist die EU keineswegs. Freihandel­sverträge mit Japan, Singapur, Südkorea und Vietnam sind geschlosse­n. Australien und Neuseeland dürften bald folgen. Und Anfang Dezember treffen sich die Außenminis­ter der EU und Asean-Staaten routinemäß­ig zum nächsten Gipfel. Virtuell, versteht sich.

Für die USA ist das neue Freihandel­sabkommen in der Pazifikreg­ion eine wirtschaft­spolitisch­e Niederlage.

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Containerv­erladen in China bleibt krisensich­er.

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