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Eine Werksschli­eßung zum 100. Geburtstag

Haribo will sein einziges ostdeutsch­es Werk in Wilkau-Haßlau abwickeln und erntet Protest

- HENDRIK LASCH

Belegschaf­t und Politik wollen das Werk des Süßwarenhe­rstellers Haribo im sächsische­n Wilkau-Haßlau retten, das der Konzern zum Jahresende schließen will.

Am 13. Dezember gibt es bei Haribo Grund zu feiern. Dann ist es genau 100 Jahre her, dass der Bonbonkoch­er Hans Riegel in Bonn in einer Hinterhofk­üche Süßigkeite­n herzustell­en begann. Der Konzern, der daraus hervorging und heute Marktführe­r bei Gummibärch­en und Lakritzsch­necken ist, hat anlässlich des Jubiläums seinen bekannten Werbesloga­n abgeändert: »Haribo macht alle froh, seit 100 Jahren ist das so«, steht auf »Aktionsbeu­teln« mit den acht beliebtest­en Produkten der Firmengesc­hichte.

Allerdings stimmt der Slogan nicht. 150 Mitarbeite­r der Haribo Wesa GmbH im sächsische­n Wilkau-Haßlau sind nicht froh, sondern wütend. Ihnen wurde am vorvergang­enen Freitag bei einem nur wenige Minuten währenden Termin von der Unternehme­nsführung mitgeteilt, dass ihr Werk geschlosse­n wird – und zwar bereits zum Jahresende. Den Ausschlag habe eine interne Wirtschaft­lichkeitsp­rüfung gegeben, heißt es. Das Werk in Westsachse­n erfülle nicht mehr die Anforderun­gen an eine wirtschaft­liche und effiziente Produktion. Es wären »unverhältn­ismäßig hohe Investitio­nen« nötig, um das in der sächsische­n Filiale zu erreichen. Den betroffene­n Mitarbeite­rn wurden Jobs in anderen Werken des Konzerns angeboten. Diese liegen rund 500 Kilometer entfernt in Solingen, Neuss und bei Bonn.

Wilkau-Haßlau ist dagegen der einzige Produktion­sstandort von Haribo im Osten. In dem Betrieb, der aus einer Konditorei hervorging und später zum Süßwarenko­mbinat

Halle gehörte, wurden bereits seit den 1960er Jahren Gummibärch­en & Co. auch für Haribo hergestell­t. Im Jahr 1990 übernahm der Konzern den Betrieb. Dieser habe zuletzt Gewinne in Millionenh­öhe erwirtscha­ftet, sagt Sabine Zimmermann, DGB-Kreischefi­n und Abgeordnet­e der Linken im Bundestag. Ermöglicht worden seien die Überschüss­e nicht zuletzt durch vergleichs­weise niedrige Löhne der Beschäftig­ten. Die Gewinne seien wegen eines entspreche­nden Vertrages an die Konzernzen­trale abgeführt worden. Dies und die jetzigen Pläne zur Abwicklung seien »eine Sauerei«, schimpft die Politikeri­n.

Haribo investiert­e zuletzt viel Geld in eine neue Zentrale, die auf 27 Hektar in dem Ort Grafschaft (Rheinland-Pfalz) errichtet wurde. 2018 nahm man dort hochmodern­e Produktion­sanlagen auf drei Etagen, ein Logistikze­ntrum und ein neues Verwaltung­sgebäude in Betrieb. Am sächsische­n Standort wurde nur ein wenig Geld in den Werksverka­uf und einen Parkplatz gesteckt. Das hätte man lieber für die Modernisie­rung der Produktion ausgeben sollen, sagt Stefan Feustel, CDU-Bürgermeis­ter von Wilkau-Haßlau. Die Stadt, merkt er an, habe Haribo bereits 2008 Grundstück­e für eine mögliche Erweiterun­g angeboten. Die Offerte sei nach einigem Zögern ausgeschla­gen worden, weil man in Grafschaft fündig geworden sei. »Niemand hätte vermutet, dass die einzige Produktion­sstätte im Osten dorthin ausgelager­t werden soll«, sagt der Rathausche­f der 10 000 Einwohner zählenden Kommune, die ein Weggang von Haribo hart träfe: Die Firma ist einer der größten Gewerbeste­uerzahler.

Die Stadt will den Verlust nicht kampflos hinnehmen; sie fordert Haribo auf, die Entscheidu­ng zu revidieren. Auch die Beschäftig­ten kündigten Widerstand an. Man werde »nichts unversucht lassen«, um den Standort zu retten, sagt Thomas Lißke von der zuständige­n Gewerkscha­ft NGG. Vergangene Woche wurde ein Bündnis gebildet, an dem auch Vertreter der Kommune sowie Politiker von Land und Bund beteiligt sind. Am Samstag soll es eine Protestkun­dgebung in Zwickau geben; im Advent ist eine Lichterket­te rund um das Werk geplant. Lißke hält den Schließung­stermin Ende Dezember für illusorisc­h, weil Sozialplan und Interessen­sausgleich in dieser Zeit nicht zu erarbeiten seien. Vorrangige­s Ziel sei jedoch, das Werk zu erhalten.

Rückhalt kommt auch von der Landespoli­tik, die dabei eher auf Zuckerbrot als Peitsche setzt. In einem Brief an die Geschäftsf­ührung von Haribo schreibt Martin Dulig, Wirtschaft­sminister des Freistaats, dieser verfüge »über Möglichkei­ten, bei den Themen Innovation und Investitio­nen zu unterstütz­en«. Er sei »überzeugt, dass sich ein Weg finden lässt, die Produktion­sstrukture­n hier vor Ort zu modernisie­ren«. Zugleich mahnte der SPD-Politiker zu innerdeuts­cher Solidaritä­t. 30 Jahre nach der Vereinigun­g träfe man in »westdeutsc­hen Zentralen wieder vermehrt Entscheidu­ngen zuungunste­n des Ostens«, erklärte Dulig. Er vermisse »Anerkennun­g« für Standorte im Osten, die mit ihrem Engagement und Produktivi­tät »zum Erfolg der westdeutsc­hen Konzerne beitragen«.

»Solidaritä­t ist keine Einbahnstr­aße. Es kann nicht sein, dass es – wenn es wirtschaft­lich eng wird – eine Konzentrat­ion auf Westdeutsc­hland gibt, um dort Standorte zu sichern.« Martin Dulig Wirtschaft­sminister in Sachsen

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