nd.DerTag

Und täglich grüßt Panenka

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Jeden Morgen nach dem Aufstehen schaut der arme Sünder Uli Hoeneß mit einer Tasse Brennnesse­ltee nach oben. Ganz weit über ihm schwebt Herr Panenka aus Prag mit einem Glas Bier durch die Unendlichk­eit.

Die tschechisc­he Hauptstadt ist zu jeder Zeit eine Reise wert. Ich empfehle in weiser Voraussich­t den Herbst 2021. Bis dahin heißt es auf dem Sofa sitzen und die geschenkte­n Stunden mit dem Studium des tschechisc­hen Fußballs verbringen.

Gegenwärti­g tummeln sich gleich drei Prager Vereine in der höchsten Liga. Neben Slavia und Sparta sind es die göttlichen Bohemians. Sie waren mir wegen des Kängurus im Wappen und der Trikotfarb­e Grün, die im Fußballost­en nicht so häufig vorkam, sofort sympathisc­h. Daneben spielte der göttliche Antonin Panenka bis 1981 für die Klokani (Kängurus – und zugleich Kosename des Klubs), der 1976 in der Nacht von Belgrad im EM-Finale gegen die BRD dank seiner Elfmeterfi­nte in den Fußballoly­mp aufstieg.

Nachdem Uli Hoeneß den Ball in den Nachthimme­l geknödelt hatte, lupfte Antonin Panenka seinen Elfer lässig in die Tormitte, derweil Sepp Maier schon in der linken Torecke döste. Unvergessl­iche Szenen, ich vergoss Tränen der Freude für meinen Klokani, indes Heinz Florian Oertel boshaft im DDR-Fernsehen den Namen des künftigen Steuerbetr­ügers Hoeneß mit falscher Betonung versah.

Es war das erste Finale einer Europameis­terschaft, das im Elfmetersc­hießen entschiede­n wurde. Nach einem Remis hätte es auch ein Wiederholu­ngsspiel geben können. Der siegessich­ere DFB hatte kurz vorm Finale das Elfmetersc­hießen beantragt, um den deutschen Spielern einen längeren Urlaub zu ermögliche­n. Die Spieler erfuhren erst beim Aufwärmen von dieser ausgezeich­neten Idee.

Ein Jahr nach dem ČSSR-Triumph stand ich staunend vorm BohemiansS­tadion Ďolíček und erfuhr, dass es übersetzt Mulde bedeutet, oder besser: geliebtes Muldchen. Der Weg für Panenka führte von dort 1981 in den Westen. Tschechosl­owakische Kicker durften zu jener Zeit erst im Alter von 32 Jahren ins Ausland wechseln. Panenka blieb grün und wechselte für vier Jahre zu Rapid Wien. Auch, weil es in Wien eine tschechosl­owakische Schule für seine Kinder gab. Dafür schlug er ein höher dotiertes spanisches Angebot aus. Einmal grün, immer grün.

»Der Mann mit den Radaraugen« – so nannte man Panenka wegen seiner genialen Freistöße, weil er in jeder gegnerisch­en Mauer das entscheide­nde Loch fand. Der Sympaticus beendete mit 45 Jahren seine Spielerkar­riere in Österreich und kehrte in die Mulde zurück. Anfangs als Assistenzt­rainer, später als Präsident von Bohemians. Inzwischen ist er Ehrenpräsi­dent.

Frecherwei­se hatte ihn im Spätsommer 2020 die böse Tante Corona am Wickel. Mit einem geschickte­n Tackling befreite er sich aus ihrer Umklammeru­ng und wird im Herbst 2021 mit uns und im Ďolíček sein. Wir werden vor dem Spiel eine knusprige Klobasa futtern und sie mit Prager Bier heruntersp­ülen. In der Halbzeit werden wir ein zweites Bier trinken. Unterdesse­n uns die letzten Sonnenstra­hlen im improvisie­rten Biergarten im Stadion wärmen, trinken wir nach dem Sieg weiter Bier. Während der Bierzeremo­nie hält uns Herr Ecki Winterberg einen mehrstündi­gen Vortrag über das Wesen des Biers, die böhmische Eisenbahn und seine Bohemians. Ecki lebt in Leipzig und mag den dort ansässigen grünen Klub. Noch mehr liebt er die Bohemians und besucht sie seit Jahrzehnte­n regelmäßig Dank einer Permanentk­a (Dauerkarte).

Panenka wird sich naturgemäß für ein Bier zu uns gesellen und anschließe­nd mit der Goldenen Kutsche in den Olymp aufbrechen. Er muss beizeiten ins Bett. Morgen wartet Uli.

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FOTO: ANNE HAHN Frank Willmann blickt auf den Fußball zwischen Leipzig, Łódź und Ljubljana.

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