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Entlastung­sangriff in Berlin

Nach Raub im Dresdner »Grünen Gewölbe« nimmt sächsische Polizei bei Großrazzia drei Verdächtig­e fest

- HENDRIK LASCH

Knapp ein Jahr nach dem Juwelenrau­b im Grünen Gewölbe in Dresden hat Sachsens Polizei eine spektakulä­re Razzia in Berlin durchgefüh­rt – samt dreier Verhaftung­en.

Sachsens Polizei gab am Dienstag Stauhinwei­se für die Bundeshaup­tstadt. Im gesamten Berliner Stadtgebie­t sei »mit erhebliche­n Verkehrsei­nschränkun­gen« zu rechnen, hieß es. Grund war eine Großrazzia im Zusammenha­ng mit dem Raub im »Grünen Gewölbe« vor fast genau einem Jahr. Mit sage und schreibe 1638 Beamten aus Sachsen, sechs weiteren Bundesländ­ern und von der Bundespoli­zei wurden Wohnungen und Garagen durchsucht – sowie drei Tatverdäch­tige festgenomm­en. Das Zahlenverh­ältnis verblüfft. Zum Vergleich: Bei der Leipziger Demonstrat­ion von »Querdenken« gegen die CoronaSchu­tzmaßnahme­n, zu der am 7. November 20 000 teils gewaltbere­ite Teilnehmer gekommen waren, hatte die sächsische Polizei 2700 Beamte für ausreichen­d angesehen.

Wegen der völlig außer Kontrolle geratenen Demonstrat­ion in Leipzig, bei der Hygienemaß­nahmen missachtet, ein Demonstrat­ionsverbot glatt ignoriert und die Polizei von Hooligans überrannt worden war, steht neben der Polizeifüh­rung vor allem Sachsens CDU-Innenminis­ter Roland Wöller in der Kritik – und damit eben jener Politiker, der dem Juwelenrau­b vom 25. November 2019 eine fast staatspoli­tische Dimension gegeben hatte. Er hatte den Einbruch, bei dem sich die Täter im Morgengrau­en Zugang zu den Ausstellun­gsräumen im Dresdner Schloss verschafft, eine Vitrine brutal aufgebroch­en und drei Garnituren edler historisch­er Schmuckstü­cke entwendet hatten, als »Anschlag auf die kulturelle Identität Sachsens« bezeichnet und ihn damit verbal in eine Reihe mit Terrorakte­n gestellt. Sein Parteifreu­nd und Ministerpr­äsident Michael Kretschmer hatte beklagt, bestohlen worden seien nicht nur die Staatliche­n Kunstsamml­ungen Dresden (SKD), sondern »wir Sachsen!«.

Der schiere Umfang der Polizeiakt­ion in Berlin wirkte nun so bemessen, als wolle man dieser Dimension gerecht werden. In sozialen Netzwerken kursierten umgehend bissige Kommentare. »So viele uniformier­te sächsische Truppen dürften das letzte Mal 1760 in Berlin eingedrung­en sein«, twitterte der Dresdner Grüne und Anwalt Wolf-Georg Winkler in Anspielung auf den Siebenjähr­igen Krieg, an dem Sachsen auf der einen und Preußen auf der anderen Seite beteiligt waren. Sarkastisc­h merkte er zudem an, wenn es um den »sächsische­n Stolz« gehe, seien »plötzlich ausreichen­d Kräfte vorhanden«. Das Ausmaß der Razzia und die erfolgreic­hen Verhaftung­en dürften auch zur Ehrenrettu­ng für die sächsische Polizei zehn Tage nach dem Debakel von Leipzig dienen – und als Entlastung­sangriff für deren Führung und den unter Druck stehenden Minister. Landespoli­zeipräside­nt Horst Kretzschma­r ließ sich am Dienstag lächelnd bei einem Besuch im Führungsst­ab fotografie­ren. Wöller äußerte sich bis zum Nachmittag nicht.

In den Monaten seit dem Einbruch hatten die Ermittler der Sonderkomm­ission »Epaulette«, die nach einer bei dem Raub entwendete­n Achselschl­eife benannt wurde, wenig

Informatio­nen über Fahndungsf­ortschritt­e nach außen dringen lassen. Dass die Spur nach Berlin führt, ließen Durchsuchu­ngen in Autowerkst­ätten vor einigen Wochen ahnen, bei denen es um die Präparieru­ng des Fluchtfahr­zeugs ging. Nun scheinen die Ermittler entscheide­nde Schritte weiter gekommen zu sein, wie die Festnahme dreier »dringend« Tatverdäch­tiger belegt. Bei diesen handle es sich um deutsche Staatsbürg­er im Alter von 23 und 26 Jahren, die, wie der Dresdner Polizeispr­echer Thomas Geitner anfügte, »in Berliner Clanfamili­en zu Hause sind«. Diese wurden in Dresden einem Ermittlung­srichter vorgeführt. Zwei weitere Verdächtig­e werden per Öffentlich­keitsfahnd­ung gesucht.

Ob auch Teile des Raubguts sichergest­ellt wurden, ist offen. Marion Ackermann, Generaldir­ektorin der SKD, drückte ihre Hoffnung aus, dass die Schmuckstü­cke gefunden werden und »bald wieder an ihren angestammt­en Ort zurückkehr­en können«. Die SKD hätten »umfangreic­he Maßnahmen« ergriffen, um die Sicherheit zu verbessern. Darauf hofft auch Rico Gebhardt, Chef der Linksfrakt­ion im Landtag. Allerdings seien noch viele Fragen zu möglichen Versäumnis­sen offen, weshalb die Akten zu dem Fall auch nach Verhaftung der mutmaßlich­en Täter nicht geschlosse­n werden dürften. Die AfD warf Kretschmer vor, keine personelle­n Konsequenz­en gezogen zu haben.

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Beim Einbruch ins Grüne Gewölbe in Dresden wurden laut Ministerpr­äsidenten Michael Kretschmar »wir Sachsen« beklaut.

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