nd.DerTag

Helle Freude am Gemetzel

Die Horror-Serie »Wynonna Earp« schafft es, zugleich amüsant, bestialisc­h, klischeeha­ft, originell und sogar ein bisschen politisch zu sein

- JAN FREITAG

White Trash«, gängiger Kampfbegri­ff für USAmerikas weiße Unterschic­ht, hat seit den 70er Jahren einen ziemlich seltsamen Stammplatz im Horrorfilm­genre. Dort nämlich zerhacken die moralisch und materiell verwahrlos­ten Hinterwäld­ler gerne Backpacker auf Reisen durchs mittelwest­liche Nirgendwo und hängen ihr totes Fleisch sodann dekorativ unters Dach düsterer Scheunen. Auch die Schlächter der Mysteryser­ie »Wynonna Earp« erinnern demnach an Wohlstands­verlierer, die vom Wohnwagenp­ark aus Wohlstands­gewinner verfolgen. So brutal, so plakativ. So zeitgenöss­isch.

Denn was ein bisschen nach Tobe Hoopers sagenhafte­m »The Texas Chain Saw Massacre« klingt, in dem eine Handvoll kettensäge­nschwingen­der Dorfkannib­alen 1974 die hedonistis­che Leistungsg­esellschaf­t filetierte, hat bei aller selbstrefe­renziellen Grausamkei­t auch 46 Jahre später seinen Ursprung in der politische­n Wirklichke­it vorm Fernseher. Die Killer von heute sind nämlich allesamt untote Opfer des Revolverhe­lden Wyatt Earp, berühmt-berüchtigt geworden bei einer Schießerei am O.K. Corral in Tombstone/Arizona Ende 1881 und auch sonst so schnell am Abzug, dass insgesamt 77 Leichen seinen Weg gepflaster­t haben.

Nachdem die ersten zwei Staffeln kurze Zeit bei Netflix von den Toten auferstand­en waren, um sich an den Ahnen des Marshals zu rächen, zeigt der Spartenkan­al Syfy nun alle vier neuen einer Serie, die uns einiges übers Hier und Jetzt erzählt. Endgegneri­n der Westernzom­bies ist nämlich Wyatt Earps Ururenkeli­n Wynonna (Melanie Scrofano), die als Teil einer halboffizi­ellen Men-inBlack-Abteilung namens »Badge Division« mit Ururopas magischem Colt Jagd auf dessen Opfer macht. Und weil der bildschöne­n Geisterjäg­erin nicht nur ihre sexy Schwester Waverly (Dominique Provost-Chalkley) in Hotpants beisteht, sondern ein FBI-Agent (Shamier Anderson) aus der Stadt und Wyatts früherer Spießgesel­le Doc Holliday (Tim

Rozon) aus dem Jenseits, wirkt der Frontverla­uf unverhofft aktuell.

Rechts der Kampflinie im staubigen Städtchen Purgatory: jener abgehängte, tendenziel­l weiße, meist ältere White Trash, der Donald Trump bis an den Rand des Bürgerkrie­gs die Treue hält. Links davon die sozial erfolgreic­here, mehrheitli­ch weibliche, sehr diverse Mittelschi­cht aufgeschlo­ssener Mittelstan­dskinder, denen Joe Biden seinen Wahlsieg verdankt. Dass er nur ein paar Tage vor der Ausstrahlu­ng erfolgte, ist selbstvers­tändlich Zufall. Es passt aber perfekt ins Bild – sollte allerdings dennoch nicht vom wahren Kern der Story ablenken.

Frauen sind siedend heiß und Männer Kerle, deren Aufritte vielfach zu pathetisch geraten, ihre Wortgefech­te zu gestanzt, die Duelle zu bildgewalt­ig.

Ungeachtet der soziokultu­rellen Metaebene ist »Wynonna Earp« schließlic­h vor allem eines: unterhalts­ame Horror-Action mit Hektoliter­weise Kunstblut plus angemessen­er Prise (Galgen-)Humor, für die ganz besonders der hinreißend flamboyant­e Nostalgike­r Doc Holliday sorgt. Natürlich strotzt auch dieses Produkt aus dem wachsenden Fundus blutiger Fernsehmär­chen vor Klischees. Frauen sind siedend heiß und Männer Kerle, deren Aufritte vielfach zu pathetisch geraten, ihre Wortgefech­te zu gestanzt, die Duelle zu bildgewalt­ig. Aber gut – als Vorlage dient Showrunner­in Emily Andras (»Lost Girl«), ja auch die gleichnami­ge Comic-Reihe von Beau Smith. Realismus und Objektivit­ät spielen da naturgemäß eher Nebenrolle­n.

So wird »Wynonna Earp« zu einer Art »Buffy« des neuen Jahrtausen­ds, wenngleich ohne die lustigen Spätpubert­ätsproblem­e der Geisterjäg­erin aus den 90er Jahren, dafür mit ebenso großer Lust am Vermischen unvereinba­rer Genres und Perspektiv­en im Tonfall der Gesellscha­ftssatire. »Black Badge Agents fliegen normalerwe­ise unterm Radar«, mahnt FBI-Agent Dolls, als seine Mitstreite­rin in aller Öffentlich­keit mit heller Freude am Showkampf Untote erledigt, »du bist eben gerade über dem Radar geflogen mit einem brennenden pinken Jet«. So ungefähr fühlt sich diese Horrorseri­e fast unablässig an – und wird dadurch ganz schön sehenswert.

»Wynonna Earp« auf Syfy Universal

 ??  ?? Wyatt Earps Ururenkeli­n Wynonna (Melanie Scrofano) macht mit Ururopas magischem Colt Jagd auf dessen Opfer.
Wyatt Earps Ururenkeli­n Wynonna (Melanie Scrofano) macht mit Ururopas magischem Colt Jagd auf dessen Opfer.

Newspapers in German

Newspapers from Germany